Ab ins Ausland: Neapel

16.12.2014, 16:33 Uhr
Ab ins Ausland: Neapel

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Mit der Wahl des italienischen Kul­turraums als Schwerpunkt für mein Studium der Kulturwirtschaft stand für mich bald fest, den von der Uni vorgesehenen Auslandsaufenthalt in bella Italia zu verbringen. Statt Eras­mus wollte ich lieber die Zeit für Prak­tika nutzen, um mich schon einmal auf das zukünftige Arbeitsleben einzu­stimmen. Hierauf bewarb ich mich fast 15 Monate im Voraus bei allen italienischen Standorten eines deut­schen Kulturinstituts.

Die Zusage erfolgte vom Standort Neapel. N-E-A-P-E-L? Oh mio dio! Ist das nicht die Stadt, in der wochen­lang der Müll nicht abtransportiert wird? Die Stadt, in der sich Frauen nicht alleine auf die Straße wagen kön­nen? Die Stadt, in der Raubüberfälle auf der Tagesordnung stehen? Die Stadt, die von der Camorra mit ihren eigenen Gesetzen regiert wird?

Um mich selbst und vor allen Din­gen meine Mutter, die schon beim Gedanken an Neapel Panikattacken bekam, zu besänftigen, bat ich einige italienische Freunde um Rat. Auf die Frage, ob es in Neapel denn wirklich so schrecklich sei, wie alle Welt behauptet, fiel die Antwort einstim­mig aus. „Bella, es ist noch viel schlim­mer als du es dir überhaupt vorstellen kannst. Wenn du unversehrt nach Hause kommen willst, dann bleibst du am besten gleich da.“ Wenig erleichtert entschied ich mich, ein Zimmer bei einer neapolita­nischen Familie in einem besseren Viertel zu mieten und darüber hinaus ganz italienisch die Dinge auf mich zukommen zu lassen.

L’arrivo - die Ankunft

Im Stadtteil Chiaia, mit meinem vor­übergehenden Zuhause, lag nicht nur mein Arbeitsplatz fünf Gehminuten entfernt, sondern auch „il lungoma­re“, die wunderschöne Uferpromena­de. Noch am gleichen Abend wurde ich von meiner überaus liebenswürdi­gen und herzlichen Gastmutter Sara mit Pasta und Wein empfangen. Aber die Flasche des guten kampanischen „Greco di Tufo“ leerte sich kaum, da, wie ich später erfahren sollte, die Ita­liener kaum Alkohol trinken - und auf­grund dessen auch am Oktoberfest in München eher weniger gern gesehene Gäste sind.

Am nächsten Morgen wurde ich gleich mit der dortigen Art des Einkau­fens vertraut gemacht. Man geht nicht wie bei uns in den Supermarkt oder zum Bäcker, sondern ruft bei dem Tan­te­-Emma-Laden seines Vertrauens an. Der liefert dann die Einkäufe etwa fünf Minuten später ohne Aufgeld bis vor die Wohnungstür. Jede Familie sucht oft schon seit Generationen den­selben Laden auf, bei dem sie auf­grund ihrer Bekanntheit sowohl die besonders guten Lebensmittel als auch einen ordentlichen Rabatt erhält.

Damit auch ich von diesen Vorzü­gen profitieren konnte, stellte mich Sara in den folgenden Tagen dem gesamten Viertel vor. Diese Vorstel­lungsrunde beinhaltete aber nicht nur Händler und Geschäftsleute, sondern auch sonstige Freunde, Bekannte und Verwandte. Schnell war ich im gan­zen Viertel bekannt und wurde von da an nur noch liebevoll „la tedesca“ (die Deutsche) genannt.

Lo stage - das Praktikum

Ein Treffer ins Schwarze. Ein Sech­ser im Lotto. Die Arbeit, das Team, die Räumlichkeiten und die Atmo­sphäre waren einmalig. Die Unterstüt­zung bei Planung, Marketing und Durchführung von Veranstaltungen im Bereich Film, Literatur, Musik und bildende Kunst, war genau die Art von Tätigkeit, die ich mit deutschem Organisationssinn und italienischer Kreativität meistern wollte. Bei der Künstlerbetreuung drufte ich sogar einige bekannte deutsche Regisseure kennenlernen.

Besonders aufregend war es, eine eigene Veranstaltungsreihe auf die Beine zu stellen. Diese fand in Koope­ration mit der Universität zum Thema „Deutsches Gegenwartskino“ statt. Dabei lernte ich viel über die Arbeits­weise der Neapolitaner. Grundsätz­lich wird all das, was man über Wochen organisiert hat, plötzlich hin­fällig. In letzter Minute wird der gesamte Plan über den Haufen geworfen. Aber am Ende funktioniert doch immer alles.

La vita a Napoli - das Leben in Neapel

Das Leben in Neapel spielt sich überwiegend draußen ab. Natürlich liegt dies an den warmen Temperatu­ren, aber vor allem an dem neapolita­nischen Volkssport: Smalltalk, Flirten und „bella figura“ machen.

Überhaupt ist das Leben dort ganz anders als in Deutschland. Es ist lang­samer und spontaner zugleich. Es ist voll von Gewohn- und Eigenheiten, die dem Deutschen fremd sind. Es beginnt schon beim Frühstück in der Bar. Hier nimmt man mit mindestens zehn anderen Personen aufgereiht an der Theke stehend Hörnchen und Cappuccino zu sich. Wer sich zum Zei­tunglesen lieber an den Tisch setzt oder - noch viel schlimmer - es wagt, nach 12 Uhr einen Cappuccino zu bestellen, outet sich sogleich als ahnungsloser Tourist.

Apropos Kaffee. Neapel ist Meister im Zelebrieren des Kaffeekults. So hat der Durchschnitts-Neapolitaner noch vor Beginn seiner Arbeit bereits drei Espressi intus. Einen trinkt er zu Hause, einen auf dem Weg zur Arbeit und einen nach Ankunft im Büro.

Das Thema Essen und Trinken scheint sowieso den Alltag zu beherr­schen. Nach einem eher sporadischem „Come stai?“ zielt die nächste Frage meist darauf ab, was man heute schon gegessen hat oder noch essen wird.

"Motori" auf der Straße

Neapel ist auch ein Augenschmaus: vielseitig, überaus köstlich und maß­los unterschätzt. Neapel bietet zwar den perfekten Ausgangspunkt für Aus­flüge nach Capri, Ischia, an die weltbe­rühmte Amalfiküste, zu den antiken Ausgrabungsstätten Pompeji und Her­culaneum - doch ist sie selbst die Hauptattraktion.

Neapel ist die Heimat der mit Wäsche behangenen Gassen, durch die lautstark die „motorini“ (Roller) mit bis zu fünf Personen brausen - ohne Helm versteht sich. Zudem prä­gen das lange größte Opernhaus Euro­pas, zahlreiche Museen, eine der kunstvollsten U-Bahn-Linien, einer der gefährlichsten Vulkane der Welt (der aber nicht als Gefahr, sondern als väterlicher Beschützer angesehen wird) und der tiefblaue Golf von Nea­pel nicht nur das Stadtbild, sondern auch das vielseitige Leben in Neapel.

Zu diesem Facettenreichtum tragen auch in besonderem Maße die Einwoh­ner bei, die Neapolitaner: ein Volk, das vor Optimismus, Lebensfreude, Kreativität, Mut, Flexibilität, Gelas­sen- und Ausgelassenheit, Zufrieden­heit und Großzügigkeit nur so strotzt. Ein Volk, für das es das größte Glück bedeutet, in Neapel geboren zu wer­den, dort zu leben und auch zu ster­ben. Denn wer in Neapel geboren wird, der ist kein Italiener, sondern durch und durch Neapolitaner!

Und doch zeigen Buchtitel wie „Se muore il sud“ (Wenn der Süden stirbt) wie das derzeitige Leben ohne die rosa­rote Brille aussieht. Viele der jungen Studierten, die ich während meiner Zeit in Neapel kennengelernt habe, finden keine Arbeit und müssen gezwungenermaßen ihre geliebte Hei­mat verlassen. Doch sie verlassen ihre Stadt erhobenen Hauptes, motiviert und optimistisch.

Das ist nämlich die wahre Kunst des Neapolitaners, in allem, und mag es noch so schrecklich sein, sieht er immer auch etwas Positives. Gerade diesbezüglich war mein Aufenthalt in dem Land, von dem man glaubt, es schon von zahlreichen Urlauben längst zu kennen, eine ganz außerge­wöhnliche und lehrreiche Erfahrung.

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