Eisiger Schwimmgenuss

10.1.2018, 10:00 Uhr
Eisiger Schwimmgenuss

© Michael Fischer

Ich bin in eiskaltes Wasser gesprungen, habe legendäre Menschen getroffen und mich in der Sauna wieder aufgewärmt – und das alles für euch.

Aber lasst mich von vorne erzählen: Am Wochenende haben in Veitsbronn die "4. Aqua Sphere German Open" stattgefunden, ein Schwimmwettbewerb im eiskalten Becken. Das Wasser hat nur 3,9 Grad! Mein Kumpel Eric und ich wollen das Eisschwimmen auch ausprobieren.

Um die Umkleide herum geht es zu wie in einem Bienenstock. Durchtrainierte junge Sportler mit schrankbreitem Kreuz, muskulöse ältere Damen und Herren, ernste, entschlossene Elterngesichter. Ich sehe Leute aus allen Altersgruppen.

Und die wollen wirklich alle so wie ich ins Eis? Langsam werde ich nervös. Schaffe ich das? Mit meinem Training? Ich hatte etwas Eis daheim in die Badewanne gekippt, hie und da kalt geduscht und den Müll barfuß rausgebracht. Reicht das?

Und nun stehe ich im Freibad am Beckenrand, Anfang Januar, und nur mit einer Badehose bekleidet. Es fühlt sich etwas kühl an. "Das Wichtigste ist, nicht den Kopf zu verlieren und ruhig durch den Bauch zu atmen", rät mir Jochen lächelnd, "durch den Bauchnabel atmen, ganz locker. Und dann schwimmst du einfach los!"

Bewundernswerter Mut

Jochen kommt vom Chiemsee und schwimmt hier 200 Meter im kalten Wasser, das sind satte vier Bahnen. Ich fühle mich bei dem Wettbewerb gut aufgenommen, schüttle Hände mit netten Hamburgern, plaudere mit Burghausenern und Argentiniern. Jeder hat einen Rat, alle freuen sich, dass ich als Anfänger beim Eisschwimmen dabei bin.

Hanna aus Polen lächelt ungläubig, als ich ihr von mir erzähle: "Du warst wirklich noch nie in so kaltem Wasser, Ewan? Ehrlich? Das finde ich den Hammer. Ich bewundere deinen Mut." Wenn Hanna das sagt, dann heißt das etwas. Immerhin schwimmt sie kurz darauf neuen Weltrekord.

Damit es den Sportlern nicht zu kalt wird, versorgt sie ein netter Mann, der aufmerksam mit einer Thermoskanne herumeilt. Ich hole mir einen Becher, vermute Tee darin und bin überrascht, dass es sich um einen heißen Energydrink handelt. Neben mir lacht ein Mann in knappem Schwimmhöschen über mein erstauntes Gesicht. "Du hast gedacht, das ist Tee!", sagt Boguslaw aus Polen.

Er ist mit seinem Sohn angereist. "Hallo, ich bin der Maciej. Ich bin leidenschaftlicher Schwimmer", stellt er sich vor, "ich werde alle ,Ocean’s Seven‘ schwimmen. Das sind die längsten Schwimmstrecken dieser Erde auf allen sieben Kontinenten. Die Straße von Gibraltar habe ich schon mal im Sack, die bin ich schon mit 15 Jahren geschwommen. Zum Üben ist dieser Wettbewerb heute genau der richtige!" Maciej muss es wissen, immerhin ist er Weltmeister der Saison 2016/2017.

Mir allerdings reichen erst mal die 50 Meter im kalten Wasser, mulmiges Gefühl breitet sich in mir aus. Eric ist auch schon aufgeregt. "Ich bin gespannt, wer in der Staffel mit uns schwimmt", sagt er, "hoffentlich keine Laschis!" Wir schwimmen nämlich mit der Wildcard in der Staffel und treffen jetzt die beiden anderen im Staffelzelt. Da drinnen ist es schön warm. Für den Moment ist das gut, aber es macht das Wasser dann umso kälter.

Unsere Mitstreiter, zwei durchtrainierte Sportbrocken, warten schon auf uns. Beide haben das ganze Jahr für die Ice Swimming Challenge trainiert. "Könnt ihr schwimmen, Jungs?", fragen sie scherzhaft. Ich bin mir gerade nicht mehr so sicher. Als wir aus dem Zelt herauslaufen, fühlen wir uns wie Gladiatoren. Zu Musik von AC/DC stellen wir uns an den Startplatz.

Die Zuschauer jubeln. Ich friere und bin noch nicht einmal im Wasser. "Take off your clothes", kommandiert die Stadionstimme. Die Menge verfällt in eine angespannte Stille. Ich stehe jetzt zitternd am Rand des Beckens und in meinem Bauch tobt ein Schmetterlingswirbelsturm.

"Get into the water!" – dort ist es kalt, so elend kalt. "Daran gewöhnst du dich nie", hat Hanna gesagt. Sie hat ja so recht. Ich fühle mich wie beschichtet. Doch ich habe keine Zeit zu fühlen, denn unmittelbar danach höre ich das "Go!".

Kalt und warm

Alles in mir explodiert. Ich drücke mich so fest ich kann vom Rand weg. Die Menge tobt, und alle brüllen gleichzeitig. Mein Körper weiß gar nicht, was er zuerst fühlen soll. Kalt? Nein, als Erstes wird mir warm! Ich katapultiere mich mit ein, zwei kräftigen Armschlägen nach vorne. Mein Körper wird vom Adrenalin gesteuert.

Eisiger Schwimmgenuss

© privat/Schück

Langsam merke ich die beißende Kälte, als ob sie mich einholen wollte. Sie kriecht über jeden Zentimeter meines Körpers und nimmt mich schließlich komplett ein. Doch da ist auch schon das Ende in Sicht. Meine Arme fühlen sich wie Blei an. Ich kämpfe mich trotzdem weiter, der Hand meines Staffelkameraden entgegen. Und dann bin ich am Ziel. Ich klatsche kräftig ab und ziehe mich mit letzter Kraft aus dem Wasser.

Dort wartet schon ein Helfer. Noch nie war ich einem Unbekannten so dankbar für einen flauschigen Bademantel. Ich spüre weder Mantel noch die Umarmung der Teamkollegen. Mein Körper ist so gefroren, dass ich nicht einmal meine Füße fühlen kann. Geschafft! Ich habe 50 Meter in diesem Eiswasser überlebt.

Ein bisschen später in der Sauna klatschen wir uns alle ab. Eine starke Leistung war das. Langsam taue ich wieder auf und ich spüre meine Zehen. Was für ein Tag! Beim Heimgehen winkt mir Maciej zu: "Auf Wiedersehen, Ewan – kommst du auch nach Murmansk?"

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