Fürther will hoch hinaus für den Klimaschutz

31.5.2017, 11:00 Uhr
Fürther will hoch hinaus für den Klimaschutz

© Foto: privat

Herr Sörgel, der Atto ist 325 Meter hoch und damit zehnmal höher als die meisten Bäume um ihn herum. Sie steigen da regelmäßig hoch. Kennen Sie gar kein Schwindelgefühl?

Matthias Sörgel: Doch, ganz schwindelfrei bin ich nicht. Mir wird auch manchmal mulmig, wenn ich hochsteige. Schließlich ist der Turm eine komplett offene Konstruktion. Aber deshalb ist man immer mit einem Klettergeschirr gesichert. Am schlimmsten ist der Aufstieg ab 35 Metern, wenn die Bäume aufhören. Ab 80 Metern ist es dann wieder egal, da ändert sich nicht mehr viel. Einmal oben angekommen, wird man mit einer gigantischen Sicht belohnt. Richtung Nordosten blickt man über 800, 900 Kilometer nur auf Regenwald. Keine Straße, kaum Dörfer.

 

Das war ja eine der Bedingungen für den Turm, dass er irgendwo im Nirgendwo steht. Von der nächsten großen Stadt Manaus dauert die Anreise etwa sechs Stunden. Warum dieser Standort?

Sörgel: Wir wollen wissen, wie die Natur abläuft, wenn der Mensch nicht auf sie einwirkt. Dafür untersuchen wir, wie Treibhaus- und andere Gase zwischen der Atmosphäre und dem Regenwald ausgetauscht werden — und das auf einer möglichst großen Fläche. Dank der Höhe des Turms können wir ein Gebiet von mehreren hundert Kilometern abbilden. Im Gegensatz zu Europa oder Nordamerika fehlen für den Regenwald noch großflächige Messungen. In der Regenzeit kommen wir den gewünschten "menschenfreien" Bedingungen ziemlich nahe.

 

Nur in der Regenzeit? Was ist denn in der Trockenzeit anders?

Sörgel: In der Trockenzeit, die auch "burning season" genannt wird, ändern sich alle Werte – weil großflächig Wald abgefackelt wird. Ich leite die Gruppe, die reaktive Spurengase misst; dazu zählt das Ozon. In der Regenzeit ist immer sehr wenig Ozon vorhanden, weil die Luft reingewaschen ist. Das war schon in den 1980er Jahren so. In der Trockenzeit hingegen steigt der Wert dramatisch an. Diese ganz großen Sprünge können wir klar den durch Menschen verursachten Bränden zuordnen.

 

Der Turm ist seit 2015 in Betrieb. Liegen denn schon erste Ergebnisse vor?

Sörgel: Bisher geht man davon aus, dass große Waldflächen – allen voran der Regenwald — den Gehalt an Kohlendioxid senken und damit die Luft reinigen. Aber das ist nicht immer so. Unsere Messungen zeigen, dass der Regenwald in "Dürrejahren" mehr CO2 abgibt als aufnimmt. Beim Ozon ist es andersherum: Da überprüfen wir, ob der Wald mehr aufnimmt, als Chemiemodelle bisher berechnen.

 

Sie sind mindestens einmal im Jahr selbst an der Atto-Forschungsstation und arbeiten eng mit brasilianischen Kollegen zusammen. Wie läuft das?

Sörgel: Größtenteils ist das eine sehr fruchtbare Zusammenarbeit. Auch mit den brasilianischen Studenten läuft es gut: Das sind sehr motivierte, fitte Leute. Nur mit der Bürokratie hapert’s. Dass Messgeräte im Zoll festhängen, ist der Klassiker. Da kannst du dich auf nix verlassen.

 

Und das Klima? Wie kommen Sie klar, so mitten im Regenwald?

Sörgel: Es ist immer feucht und heiß; ein frisches Hemd hat man nach 15 Minuten durchgeschwitzt. Im März war ich zum ersten Mal in der Regenzeit im Amazonas. Da war es so feucht, dass mein Rucksack und mein Koffer verschimmelt sind. Und die Klamotten sind nur mit viel Glück getrocknet.

 

Nun sind Sie ja zum Arbeiten im Urwald. Können Sie die Natur trotzdem genießen?

Sörgel: Oh ja! Am meisten mag ich die Flussfahrt zum Atto hin, dann sehen wir oft Reiher, Fischadler oder Flussdelfine. Im Wald selbst ist mal eine ganze Affenfamilie wenige Meter entfernt an mir vorbeigezogen. Abends machen die Tukane oft ziemlich Krach. Und im Camp begegnen wir immer wieder giftigen Schlangen, Vogelspinnen oder einer Feuerraupe. Am Boden kreucht und fleucht dort alles. Deshalb schlafen wir in Hängematten und hängen unsere Schuhe auf — damit kein Tier das als Versteck nutzt.

 

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