Half die Bravo beim großen Wurf?

25.3.2017, 10:00 Uhr
Half die Bravo beim großen Wurf?

© Zink/HMI

Rückblick ins Jahr 2013, erste Runde von "Deutschland sucht den Superstar": Wincent Weiss, Schüler aus Schleswig-Holstein, begeistert die Vorjury. Er schafft es in die zweite Runde. Die findet auf der Karibikinsel Curaçao statt. Doch dieses Mal kommt er nicht gut an. DSDS-Juror Dieter Bohlen nennt ihn den "schlechtesten Kandidaten des Abends".

Weiss ist raus. Doch seiner Karriere scheint dies nicht zu schaden. Gut drei Jahre später, an Silvester 2016, ist Wincent Weiss einer von 14 Künstlern, die vor dem Brandenburger Tor auf der Bühne stehen. Gestern ist in München die Tour für sein erstes Album gestartet. Auf Facebook schreibt Weiss in diesen Tagen: "Unfassbar, was in den letzten Monaten alles passiert ist . . ."

So unfassbar ist das gar nicht, denn hinter der Karriere des Künstlers steckt auch eine nützliche Beziehung. Sascha Wernicke, der Manager von Wincent Weiss, arbeitete gleichzeitig bis Ende 2016 als Redakteur beim Magazin Bravo. Die beiden hätten sich kennengelernt, nachdem Weiss bei DSDS ausgeschieden sei, sagt Wernicke auf Anfrage. Da er selber jahrelang als Songwriter gearbeitet habe, hätten er und Wincent Weiss angefangen, musikalisch zusammenzuarbeiten. Später, so Wernicke, habe er dann auch Management-Aufgaben für Weiss übernommen.

Es ist eine überaus nützliche Verbindung. Denn in den vergangenen Jahren pusht die Bravo-Redaktion Wincent Weiss auf ihren Online-Kanälen, beim Streamingdienst Spotify, auf Instagram und Twitter. Auf der Spotify-Playlist "Bravo Top Hits – die Lieblingslieder aus der Bravo-Redaktion" taucht Wincent Weiss mit gleich zwei Titeln auf. Der Künstler steht auf der Hälfte aller Playlists der Redaktion und hat insgesamt mehr Erwähnungen als Weltstars wie Justin Bieber oder Rihanna.

Oder Twitter: 2013, nach dem Rauswurf Weiss’ bei DSDS, twittert die Bravo: "Schock! Wincent Weiss raus bei DSDS??????!!!!! Und Mega-Sängerin Diyana Hensel auch???" Dem Twitter-Account folgen heute 240 000 Nutzer.

Auch bei Instagram postet die Redaktion immer wieder nette Bilder von Wincent Weiss. Juni 2016: Bravo auf seinem Konzert in Augsburg. Ebenfalls im Juni 2016: ein Video von Weiss beim Trampolinspringen. Davor, im April 2016: ein Gewinnspiel. Zu gewinnen gibt es je fünf Bilder, einmal von Wincent Weiss, einmal von Disney-Star Martina Stoessel. Teilnahmebedingung: Die Nutzer müssen die Ankündigung unter dem Hashtag #musiksein (ein Songtitel von Wincent) teilen und sowohl Wincent Weiss als auch Martina Stoessel auf Instagram folgen.

Sascha Wernicke sieht darin kein Problem, wie er auf Anfrage mitteilt. Er sagt, er habe gegenüber der Bravo-Redaktion seine Nebentätigkeit offengelegt, außerdem habe er selbst nie in dem Magazin über Wincent Weiss geschrieben.

Bravo hat in ihrer Geschichte schon oft junge Künstler gepusht. Tokio Hotel zum Beispiel hat das Magazin von Anfang an nach vorn geschrieben. Doch ist die Redaktion in ihren Empfehlungen noch unabhängig, wenn ein Redakteur gleichzeitig der Manager des Künstlers ist?

Vergangenes Jahr ging in der Sache Weiss/Wernicke eine Beschwerde beim Deutschen Presserat ein. Der Vorwurf: Die Bravo verstoße mit ihrer Berichterstattung über Wincent Weiss gegen den Pressekodex. In diesem steht, dass Journalisten oder Verleger prinzipiell Funktionen neben ihrer publizistischen Tätigkeit ausüben dürfen. Dann allerdings müssen alle Beteiligten auf strikte Trennung dieser Funktion achten.

Der Presserat prüfte die Beschwerde, stellte allerdings keinen Mangel fest. Er argumentierte: Es sei nicht feststellbar, dass der betreffende Redakteur selbst vermehrt über den Künstler geschrieben habe. Außerdem: "Ein Medium wie die Bravo ist grundsätzlich frei darin zu entscheiden, über jemanden mehr oder weniger zu berichten", sagt Jens Radulovic vom Presserat.

Entscheidend sind heute die Online-Kanäle, auch für die Bravo. Spotify etwa hat 40 Millionen zahlende Kunden. Wenn eine Redaktion dort einen Song einsortiert, hat das kommerzielle Auswirkungen. Wernicke äußerte sich nicht zu der Frage, welchen Zugang er zu den Social-Media-Kanälen der Redaktion hatte.

Die Bravo erscheint im Bauer-Verlag. Auch dort sieht man keine Verfehlung. "Der Verlag und die Redaktion waren über die Nebentätigkeit von Sascha Wernicke informiert und die Verantwortlichkeiten haben die Berichterstattung zum Musiker Wincent Weiss dahingehend bewusst abgewogen. Die Aktivitäten zu Wincent Weiss entsprechen seiner Relevanz für die Bravo-Zielgruppe", teilt der Verlag auf Anfrage mit. Der Verlag rechtfertigt die Berichterstattung der Bravo damit, dass es in der jungen Zielgruppe keinen anderen deutschsprachigen Künstler mit vergleichbarem Potenzial gebe.

Seit Anfang 2017 arbeitet Sascha Wernicke nicht mehr bei Bravo. Sein Abschiedspost auf Instagram vom 29. Dezember 2016: "13 Jahre durfte ich als Bravo-Redakteur einen der für mich wohl schönsten Jobs überhaupt machen. (. . .) Jetzt ruft die Musik."

Am Neujahrstag 2017 verschickt Wernicke dann einen weiteren Post zum neuen Jahr: eine verschwommene Schwarz-Weiß-Aufnahme von ihm und Wincent Weiss.

Die Autorin ist Redakteurin des Recherchezentrums Correctiv, mit dem unsere Zeitung kooperiert. Mehr Infos: correctiv.org

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