Hinter den Kulissen bei den Paralympics

14.9.2016, 09:00 Uhr
Hinter den Kulissen bei den Paralympics

© Thilo Rückeis/Tagesspiegel

Eine alte Dame stürzt, rutscht auf dem nassen Boden des Maracanã-Stadions aus. Dem Publikum stockt der Atem. Denn die Frau hält eine Fackel. Die mit dem paralympischen Feuer, das keinesfalls erlöschen darf. Aber die ehemalige Athletin steht wieder auf, läuft weiter. Die Fackel, sie brennt noch, trotz Sturz und starkem Regen. Die Menge erhebt sich zu einem tobenden Applaus, ich habe Gänsehaut. Die Paralympischen Spiele in Rio de Janeiro sind eröffnet. Und ich bin mittendrin.

Als Reporter der Paralympics-Zeitung lebe und arbeite ich in einem Hostel am Meer. Bei gutem Wetter sammeln sich Surfer und Familien vor unserer Haustür. Doch es bleibt keine Zeit zum Planschen: Jeden Morgen geht es mit den Shuttles für Medienvertreter ins Stadion, Mittagessen gibt’s im Medienzentrum, abends wieder ins Stadion —wenn nicht ein Empfang im Deutschen Haus oder Deutschen Konsulat ansteht.

Ständig bin ich umgeben von professionellen Journalisten aus der ganzen Welt, mit meiner Presseakkreditierung komme ich überall rein. Manchmal wundert es mich, wie einfach das geht. Ich zeige ein Stück Plastik vor und schon bekomme ich Zugang zu den über 4000 Athleten, die hier antreten, und den ebenso vielen persönlichen Geschichten, die ich als Reporter aufspüren und erzählen soll.

Die meisten Paralympics-Sportler haben schwere Unfälle erlitten oder kämpfen tagtäglich mit einer Krankheit. Doch im Stadion ist davon nichts zu spüren. Oft passiert es mir, dass ich bei einem Wettkampf zuschaue und mich frage: „Welche Behinderung haben die eigentlich?“ Zum Beispiel bewegen sich die Sportler mit Bewegungsstörung beim Rennen so flüssig, dass mir das Zucken oft erst beim Interview in der Mixed Zone auffällt.

Interview mit der „Boyband“

Hinter den Kulissen bei den Paralympics

© dpa

Auch bei der Pressekonferenz mit der Boyband der deutschen Leichtathletik – Markus Rehm, David Behre, Johannes Floors und Felix Streng – will niemand etwas über Schicksalsschläge und Tragödien wissen. Es geht um Qualifikationen, Bestzeiten, Trainingsmethoden.

In diesem Moment vergisst man die Prothese, die aus Rehms rechtem Oberschenkel ragt. Jetzt ist er nur noch Leistungssportler, Behinderung hin oder her. Dementsprechend aufgeregt bin ich auch, als ich ihm bei der Konferenz eine Frage stelle und er mir diese ausführlich beantwortet.

Die Aufregung ist nach einer Woche Arbeit immer noch nicht ganz verschwunden. Aber ich merke bei jedem Interview, wie ich routinierter und selbstbewusster werde.

Wenn doch mal ein Problem auftritt, bin ich umgeben von hilfsbereiten Leuten. Zuerst einmal meine zwei Kolleginnen Isabella und Miriam, mit denen ich mich auf die Sportarten Leichtathletik und Bogenschießen spezialisiert habe. Die meisten Aufgaben lösen wir im Team — egal ob die Fakten für einen Artikel zu prüfen sind oder ob dringend ein Statement vom iranischen Komitee gebraucht wird.

Für alles, was journalistisches Know-how betrifft, ist Ronja Ringelstein vom Tagesspiegel zuständig. Sie hat mit Isabella und mir zum Beispiel die Fragen für ein Interview mit der Staatssekretärin Gabriele Lösekrug-Möller vorbereitet.

Unser Projekt hat mittlerweile die Halbzeit erreicht. Kaum zu glauben, dass in zwei Tagen, am 16. September, schon Redaktionsschluss für die zweite Ausgabe ist. Jetzt heißt es noch einmal: richtig hart arbeiten! Die eigenen Worte gedruckt zu sehen — die PZ erscheint am 8. und 22. September als Beilage in der Zeit und im Handelsblatt — macht die ganze Anstrengung wieder wett. Und wenn das alles vorbei ist, haben wir vielleicht auch einmal Zeit, in die Wellen zu springen.

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Extra-Info:

Die Paralympics-Zeitung ist ein Gemeinschaftsprojekt von Tagesspiegel und Deutscher Gesetzlicher Unfallversicherung (DGUV). Dabei berichtet ein Team von 22 Nachwuchsredakteuren aus Deutschland, Großbritannien und Brasilien über die Leistungsfähigkeit von Menschen mit Behinderung und über Inklusion. Jonathan ist einer der Reporter.

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