Jura-Studenten simulieren die Praxis

20.7.2015, 17:26 Uhr
Jura-Studenten simulieren die Praxis

„Werner Weber“, 36 Jahre, ist gefesselt, als er den Sitzungssaal 5 des Amtsgerichts Erlangen betritt. Als ihm die Wachtmeisterin feixend „Glück“ wünscht, lachen die Zuschauer und sogar Webers Anwälte. „Werner Weber lacht nicht. Er blickt so ernst zu Boden, als hätte sein letztes Stündlein geschlagen, und nimmt neben seinen Verteidigern Platz.

Natürlich hat die Situation etwas von einer Theaterbühne, denn die Studierenden tun so, als verhandelten sie im Schwurgericht einen Mordversuch – aber die Sache ist ernster als sie scheint. Es dauert nur wenige Minuten, bis in diesem Saal mächtig geschwitzt statt gelacht wird.

Einige der jungen Männer und Frauen, die im 6. Semester Jura studieren, wollen künftig tatsächlich im Gerichtssaal stehen, als Richter, Ankläger oder Anwälte. Und nun merken sie, wie schwierig es ist, eine widerspenstige Zeugin oder einen stillen Angeklagten auszufragen.

Die Ankläger werfen Werner Weber vor, am 17. Januar auf seine Verlobte Rita Rot mit einem Küchenmesser eingestochen zu haben – aus Eifersucht. Die Staatsanwaltschaft, gemimt von fünf Studentinnen, nennt die Tat heimtückisch und spricht von niedrigen Beweggründen.

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Prof. Christoph Safferling, Inhaber des Erlanger Lehrstuhls für Strafrecht, und seine Mitarbeiter Christian Rückert und Svenja Wunder haben für dieses Spiel eine Strafakte erstellt. Sogar ein Foto von der mutmaßlichen Tatwaffe, einem mit Ketchup beschmierten Küchenmesser, klemmt in der Akte. Der Fall ist vorgegeben, doch einstudiert ist nichts. Und am Ende wird es ein Urteil für alle geben – für die vier Ankläger, die vier Anwälte und die sechs Richter.

Zeugin: mit Genuss patzig

Denn natürlich sollen sich die Studenten in freier Rede, Teamarbeit und juristischer Argumentation üben. Am Ende des Rollenspiels werden sie zugeben, dass die Abläufe vor Gericht kompliziert sind, die „dummen Formalitäten“ einen leicht ins Straucheln bringen und überhaupt die ganze Sache leichter aussieht, als sie ist.

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Da wäre bereits die erste Zeugin, die sich mit sichtlichem Genuss patzig gibt und im Zeugenstand weder Alter noch Beruf nennen will. Das müsse sie aber, hallt ihr von der Richterbank entgegen. Ach ja? Und wo steht das bitte? Die nächstes Zeugin, Rita Rot, die Verlobte des Angeklagten, beruft sich auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht. Kein Problem, meinen die Richter, Rot habe bereits früher, beim Ermittlungsrichter, ausgepackt. Dann werde eben diese Aussage verlesen.

Protest von Verteidigerseite. Rot sei beim Ermittlungsrichter ohne Zeugenbeistand gewesen, kein Anwalt wurde benachrichtigt, dies verletze die Grundsätze des fairen Verfahrens. „Beweisverwertungsverbot“ tönen die Verteidiger. Aha. Den Richtern stehen die Fragezeichen ins Gesicht geschrieben, sie ziehen sich zur Beratung zurück.

Als sich das Gericht erhebt, steht auch das Publikum brav auf, und die Profis coachen abwechselnd die einzelnen Grüppchen. Safferling, Rückert und Wunder helfen mit Rechtstipps – und auch Wolfgang Pelzel, der im wahren Leben am Richter Amtsgericht Erlangen ist, dient dieser Rollenspiel-Justiz als Stütze.

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„Wohl oder übel“, bekommt die Verteidigung nun von den Richtern zu hören, müsse man der Verteidigung „recht geben“. Es wurde verpasst, über Rita Rots Anhörung beim Ermittlungsrichter zu informieren. Richter Pelzel zuckt, als würde er den Befangenheitsantrag schon ahnen. Dieser kommt prompt. Eine Formulierung wie „wohl oder übel“ deute auf Befangenheit der Richter hin, wettern die Verteidiger. Eine Viertelstunde später kappt das Gericht das Fragerecht der Verteidiger – im echten Leben der nächste Revisionsgrund. Und so schleppt sich das Verfahren von einer Beratungspause zur nächsten.

Freundlich, aber hart

Sie haben sich wacker geschlagen, werden Richter Pelzel und Professor Safferling die Studenten nach drei Stunden Spiel loben – und tatsächlich zeigten einige, die anfangs mit ihren Kommilitonen noch vorsichtig umgingen, Kampfgeist. So wird deutlich, dass die rechtliche Bewertung in einem Strafverfahren nur einen Teil der Arbeit ausmacht. Im Gerichtssaal müssen sie in der Lage sein, sollten sie sich im richtigen Leben tatsächlich für eine Tätigkeit bei Gericht entscheiden, im Umgang freundlich, aber in der Sache hart zu bleiben.

Werner Weber wird, obwohl er die Tat laut Aktenlage wirklich begangen hat, freigesprochen – am Ende reichen die Beweise gegen ihn nicht aus. Also von wegen „dumme Formalitäten“.

Ohne handwerkliches Geschick wird jeder Prozess zum Hindernislauf – und wer, wie im Fernsehgericht, einfach mal die Formalitäten ignoriert, stolpert von einer Unterbrechung zur nächsten. Und nur, wenn „richtig“ verhandelt wird, kann es auch „gerecht“ zugehen.

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