Kreisch-Alarm am roten Teppich

22.9.2015, 10:43 Uhr
Starkult und Massenauflauf der Fans sind fester Bestandteil jeder Oscar-Verleihung.

© afp Starkult und Massenauflauf der Fans sind fester Bestandteil jeder Oscar-Verleihung.

„Schatz, fändest du es verrückt, wenn ich am Wochenende meinen Job gegen Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll eingetauscht hätte?“ Genau das waren die Worte von Ulrich an seine Frau, als er nach einer Geburtstagseinladung des Rolling Stone Ron Wood nach Hause kam. Es war verrückt, aber es war sein Traum. Über Nacht wurde er vom Bausparberater zum persönlichen Galeristen von Ronny.

Uli ist seit über 50 Jahren ein Hardcore Rolling-Stones-Fan, sammelte von Beginn an alles, was mit der Band zu tun hatte und führt heute das weltweit einzige Rolling-Stones-Fan-Museum in Lüchow. Die Stones persönlich wählten ein Bild von ihm für ihren Bildband zum 50-jährigen Band-Jubiläum aus. Fan sein ist für Uli kein Hobby, es ist sein Leben.

Bewusst oder nicht, Stars beeinflussen unser Leben. „Sie sind in der Öffentlichkeit hoch angesehen, haben ein dargestelltes Idealleben und entsprechen dem Schönheitsideal“, erklärt Diplompsychologin Johannah Elhardt. „In unserer Gesellschaft gibt Starkult neue Trends an, ein Star wird vermarktet und beeinflusst etwa die Mode. Manche Menschen sind nur neugierig, andere geben sich dem Starkult bedingungslos hin.“

Aber was genau tut ein richtiger Fan? Darauf hat Nicole eine Antwort: „Ich informiere mich täglich und like auf Facebook alles, was mit ihm zu tun hat“. Gemeint ist der Fußball-Weltmeister Mario Götze. Nicole ist seit über einem Jahr Fan des Bayern-Spielers und hat auf Instagram eine eigene Fanseite. Sie ist über soziale Netzwerke täglich in Kontakt mit anderen Fans. „Wir tauschen Bilder und helfen uns gegenseitig.“ Persönlich kennt sie jedoch keinen der Leute.

Bei Stones-Fan Uli ist das anders. Er kennt die meisten Hardcorefans aus aller Welt persönlich und viele besuchen ihn in seinem Museum. „Ich war bis heute auf 167 Konzerten. Irgendwann kennt man die Leute in der ersten Reihe einfach.“ Und nicht nur die, auch die Band persönlich begrüßt Uli mit seinem blinkenden Zylinder in der ersten Reihe immer mit einem Daumen nach oben.

Als er sein Museum aufgemacht hat, stand er vor einem Problem: den Kosten. Die Erwerbskosten waren zwar gedeckt, jedoch blieb für Sanierungsarbeiten nicht mehr viel übrig. „Es dachten sich wohl viele, diesem durchgeknallten Typ muss man helfen.“ So packten viele Stones-Fans mit an. Auch bei seiner Sammlung erhält Uli Unterstützung. Er zeigt auf eine Bilderwand in seinem Museum mit Portraits des Stones-Frontmannes Mick Jagger. „Die hat mir seine ehemalige Englischlehrerin überlassen, als sie starb.“ Bei einem Ehepaar aus Magdeburg sei Uli sogar schon im Testament aufgeführt. „Sie wollen nicht, dass ihre Kinder die Stones-Artikel später auf Ebay verscherbeln, deshalb setzten sie mich als Erben ein.“

Das zeigt: Starkult kennt keine Grenzen. Auch Jennifer verehrt ihren Star ohne Kompromisse. Sie ist seit 2009 ein „Belieber“, also ein Fan des Popsängers Justin Bieber. Irgendwann kein Fan mehr zu sein, kann sie sich nicht vorstellen. In jüngster Zeit sorgte der Teenie-Star zwar vermehrt für negative Schlagzeilen wie Drogen-Eskapaden und Fahren unter Alkoholeinfluss, doch all das verzeiht ihm Jennifer. Er sei schließlich auch nur ein Mensch. „Aber ich finde es doof, dass er Drogen nimmt. Ich habe einfach Angst um ihn“, sagt sie. Ihr großer Traum ist es, ihr Idol einmal live zu sehen. „Koste es, was es wolle.“ Auf die Frage, ob sie auch vor seinem Hotel campen würde, antwortet sie selbstverständlich mit „Ja“.

Es gibt allerdings auch einen Punkt, ab dem der Starkult zu weit geht, erklärt die Psychologin. „Wenn das Leben der Stars im Lebensmittelpunkt steht, kann dies in extremen Fällen zur Besessenheit führen. Werden dadurch eigene Grundbedürfnisse wie reale Freundschaften oder die Familie vernachlässigt, besteht Gefahr.“

Uli kennt einige Härtefälle aus seiner Jugend. „Viele nahmen sich die Stones zum Vorbild, trugen lange Haare, nahmen Drogen und flogen von Zuhause raus.“ Er selbst sparte jede Mark um auf Konzerte zu gehen und sich T-Shirts zu kaufen. „Nur die langen Haare hatte ich auch. Deshalb gab es in der Bank einige Vorstandsbeschwerden“, verrät er schmunzelnd. Die Haare sind bis heute geblieben und Ulis Begeisterung auch. „Musiker sind sterblich. Es ist die Aufgabe von uns Fans, ihre Musik weiterzutragen.“

Beliebers, Little Monsters oder doch lieber Directioners? Das sind momentan die angesagtesten Fangemeinden der Popstars Justin Bieber, Lady Gaga und der Boyband One Direction. Aber nicht nur Sänger haben eine Vielzahl von Followern, sondern auch Serien- und Filmstars. Fan sein ist gut, denn so findet jeder Freunde. Der Nerd, der heimlich für Star Trek schwärmt, oder das Mädchen in schwarzen Klamotten, das gerne Metal hört, gehören so dazu und werden nicht mehr ausgeschlossen.

Ein weiteres Gruppenphänomen kristallisiert sich in WM- und EM-Jahren heraus: Millionen von Menschen kommen zum gemeinsamen Fußballschauen zusammen, um ihre Nationalelf anzufeuern. Fremde beginnen, gemeinsam die Gewinnchancen abzuschätzen oder sich bei Toren freudig in die Arme zu fallen. Fan Sein verbindet uns, sogar eine ganze Nation im Fußballfieber. Filme, Musik oder Sport bereichern unser Leben mit Erfahrungen.

Der gemeinsame Sieg einer Fußballmannschaft, das Konzert unserer Lieblingsband, auf dem wir neue interessante Leute treffen, oder der Kinobesuch, der für neuen Gesprächsstoff sorgt. Fan Sein bündelt gemeinsame Vorlieben in Interessengruppen, in denen wir das machen können, worauf wir Lust haben und uns nicht verstellen müssen!

Stans – so werden Fans genannt, die die Grenze zwischen normalem Starkult und Stalking schon längst überschritten haben. Wie so was aussehen kann, haben einige Promis bereits auf schmerzliche Weise erfahren müssen. Justin Timberlake etwa, der 2009 öfters von einer älteren Frau besucht wurde.

Sie glaubte, den Auftrag Gottes bekommen zu haben, Justin zu heiraten, um mit ihm gemeinsam über die Welt zu herrschen. Blöd nur, dass Justin darauf weniger Lust hatte und die geistig verwirrte Frau anzeigte. Anscheinend göttliche Eingebungen muss auch ein Stalker von Beyoncé 2012 gehabt haben. Er schien zu wissen, dass die Frau, die wir alle als Beyoncé zu kennen meinen, die wahre Beyoncé 2009 ermordet hat und sich nun als die Sängerin von Hits wie „Halo“ ausgibt. In seinen unzähligen Briefen forderte er die Scharlatanin auf, zu ihrer Tat zu stehen.

Diese Liste könnte noch mit unzähligen weiteren Beispielen fortgeführt werden. Justin Bieber, Selena Gomez, Miley Cyrus, Madonna – sie alle mussten schon gerichtlich gegen ihre Stalker vorgehen.

Wer jetzt denkt, Stans gibt es erst seit Popstars existieren, irrt gewaltig. Der früheste bekannte Fall von „Stanning“ führt uns in das Jahr 1838 nach England. Ein 14-jähriger Junge namens Edward Jones war damals öfters in das Zimmer der Queen eingebrochen. Als der junge Einbrecher festgenommen wurde, fand die Polizei königliche Unterwäsche bei ihm.

Bald wurde er selbst zur Berühmtheit und ganz London kannte ihn nur noch als „The boy Jones“. Heute gibt es zu viele Stans, als dass sie alle berühmt werden könnten. Aber auch für „normale“ Fans besteht ein nicht zu unterschätzendes Risiko, die Grenze zum Stalker zu überschreiten: Die ganze Wohnung mit Bildern des Schwarms dekorieren, ihm überall hinterherreisen und immer auf dem neuesten Stand bei seinem Privatleben sein . . .

Das alles ist nicht nur Standard-Verhalten eines Hardcore-Fans, sondern auch bei Stalkern üblich. In dem Sinne steckt wohl in jedem Fan ein Stalker.

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