LiteratuReise: Die Magie der Mauer

7.9.2018, 14:38 Uhr
Der Name des Ladens erinnert an die frühere Mauer in Berlin

© Vanesaa Kolb Der Name des Ladens erinnert an die frühere Mauer in Berlin

Warmer Sommerwind weht mir die Spitzen meiner Haare ins Gesicht, ein kühles Bier in der linken Hand, die Rechte baumelt leicht über derWasseroberfläche. Ab und an weht mir der süßliche Duft von Marihuana vom Ufer entgegen, ab und an schimpft eine Mutter: „Jan-Philipp, komma wech vom Ufer, dit is jefährlich!“.

Man sagt ja, der Sommer sei in Berlin besonders magisch und schön. Auf meinem kleinen Privatschiffchen lässt es sich aber auch ziemlich gut aushalten. Uns gehen die Getränke aus. Wir paddeln mit unserem Bötchen an den Rand des Maybachufers, wo der Landwehrkanal in Richtung Spreeabbiegt.

Am Festland angekommen, biegen wir beim „Ost-West Späti“ in der Onckenstraße ein. Vor der Tür sitzen drei Männer, trinken Sternburg-Bier und rauchen Marlboro. Der Name lässt mich stutzig werden, und ich versuche mich zu orientieren.

Statt aber nach der markanten Spitze des Fernsehturms zu suchen, geht mein Blick nach unten auf den Boden. Ich stehe auf einer Linie, bestehend aus zwei Reihen Kopfsteinpflaster, parallel zueinander verlaufend, sich die Straße hinabschlängelnd. Ich stehe auf einem Stück Berliner Geschichte: mit einem Fuß im ehemaligen Ost-Berlin, mit dem anderen in Ex-West-Berlin.

Wenn man nicht gerade vor dem bunt bemalten, noch stehenden Mauerabschnitt steht und sich an Touristengruppen und Schulklassen vorbeiquetscht, lässt sich der Verlauf der ehemaligen Stadtteilung häufig nur an den zweispurigen Pflastersteinen im Boden verflogen. Ab und zu findet man noch eingelassene Bodenplatten mit der Aufschrift „Berliner Mauer 1961-1989“.

Mein Blick verfolgt die Pflastersteinreihe und endet an einem Bauzaun, dahinter ein Kran, gefolgt von einem massiven, grauen Betonklotz im Baugerüst. Ist das jetzt Zerstörung der eigenen Stadtgeschichte oder eher eine Form von „Wir machen das Beste aus unserer Vergangenheit und bauen auf ehemaligen Grenzen“? Der Autos Thomas Brussig erzählte einmal in einem Interview, der Mauerfall sei doch der „schönste Moment seines Lebens gewesen“.

Brussig wird uns später noch einige Male begegnen. Während damalige Grenzübergänge wie an der Bernauer Straße oder Checkpoint Charlie noch als „Must Visit“-Punkte im Reiseführer angepriesen werden, scheinen die anderen Hunderte von Kilometern Mauer schnell vergessen zu werden.

Mit der S-Bahn geht es nach Neukölln. An der Sation Sonnenallee/ Baumschulenweg findet man solch einen fast vergessenen Mauerabschnitt. Aufmerksamkeit erhielt der Grenzübergang erst durch den Film „Sonnenallee“.

Ich spaziere die wenigen Meter Sonnenallee entlang, die auf der Ostseite der Mauer lagen und sowohl im besagten Film als auch im Roman „Am kürzeren Ende der Sonnenallee“ für den zentralen Handlungsort stehen. Allerdings erschien damals zuerst der Film, unter anderem mit Thomas Brussig in der Regie.

Nach den Dreharbeiten hatte er das Gefühl einige wesentlichen Informationen nicht genug dargestellt zu haben und schreib seinen Roman. Als Grundlage dienen seine Erinnerungen. Der gebürtige „Ossi“ lässt seine Eindrücke aus dem Kind- und Jugendalter einfließen.
Dennoch sind es keine Nacherzählungen. Wer Schauplätze aus seinen Büchern oder dem Film „Sonnenallee“ sucht, wird nur schwer fündig. Ich spaziere am ehemaligen Oststück der Sonnenallee entlang und versuche, Gebäude aus dem Film wieder zuerkennen. Altbauten, eventuell der alte Obstladen am Eck.

Oder eine Aussichtsplattform, welche die „Wessis“ über die Mauer zu den „Zonis" hat blicken lassen. „Jibbet nisch“, bekomme ich als Antwort, als ich schon knapp eine Stunde an der Bezirksgrenze zu Treptow entlang stolpere und etwas verzweifelt an einigen Haustüren klingele.
Wer nach Übereinstimmungen sucht, findet höchstens eine ähnliche Aussichtsplattform an der BernauerStraße/Eberswalder Straße. Am Set des Filmpark Babelsberg kann dann noch der Zeitungskioskbesichtigt werden. Ostalgie? An der Sonnenallee? Fehlanzeige!

Ich sehe nach unten, die Kopfsteinpflasterreihe schlängelt sich zuverlässig an mir vorbei, entlang von Häuserblocks im 80er Jahre Stil und über eine große Hauptverkehrsstraße. Im Zweiminutentakt, zu jeder Ampelschaltung, brettern Autos über die ehemalige Grenze.
Ich beobachte diese Szenerie für einen Moment und frage dann meine Begleitung – jemanden aus der mittlerweile rar gewordenen Kategorie „waschechter Berliner“ und „Ex-Wessi“ – was sich für ihn denn eigentlich nach dem Mauerfall geändert hat.

„Überall sind jetzt Häuser“, lautet die Antwort, „früher hab ich dort hinten in so ’nem verlassenen Haus jespielt. Da steht jetzt so ’ne Mall. Und der Lotto heißt jetzt Späti. Aber sogar mein Dönermann an der Adalbertstraße ist noch der Gleiche.“

 Also alles übertrieben, dieses Ost-West-Ding? Am Ende seines Romans zur Sonnenallee schreibt Brussig, dass Erinnerungen das Wunder vollbringen, „einen Frieden mit der Vergangenheit zu schließen, in dem sich jeder Groll verflüchtigt und der weiche Schleier der Nostalgie über alles legt, was mal scharf und schneidend empfunden wurde“.

Als ich in das Flugzeug steige, ist es bereits dunkel. Knapp 5000 Meter über dem Erdboden blicke ich zum Abschied noch einmal hinunter auf die glitzernden Lichter Berlins. Mir strahlt eine Stadt entgegen, die im Westen etwas heller und kühler leuchtet als der östliche Teil. Denn irgendwie hat es Berlin geschafft, auch knapp 30 Jahre nach dem Mauerfall noch immer keine einheitlichen Straßenlaternen zu besitzen.


Extra-Info:


Der gebürtige Ost-Berliner Thomas Brussig ist Autor und Schriftsteller. Geboren 1964, wuchs er die ersten 25 Jahre seines Lebens gemeinsam mit der Berliner Mauer auf. Nachdem er zusammen mit Leander Hausmann in der Komödie „Sonnenallee“ eine eigene, satirische Inszenierung zu dem Leben an der Mauer entwickelte, verarbeitete er seine Gedanken und Eindrücke in den Wende-Romanen „Helden wie wir“ oder „Am kürzeren Ende der Sonnenallee“. Für den Film erhielt er den Deutschen Drehbuchpreis. Brussig lebt bis heute in Berlin und Mecklenburg.

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