LiteratuReise: Philosoph und Religionskritiker

27.8.2018, 14:38 Uhr
Eine Tafel zum Gedenken an Ludwig Feuerbach

© Sven Grillenberger Eine Tafel zum Gedenken an Ludwig Feuerbach

Es ist kurz vor 11 Uhr vormittags. Einer dieser kälteren Sommertage, an dem sich Sonne und graue Wolken um die Vorherrschaft am Himmel streiten. Während ich noch überlege, ob ich nun Sonnenbrand oder Unterkühlung fürchten sollte, laufe ich am Osteingang des Johannisfriedhofs in Nürnberg auf und ab.

Pünktlich wie verabredet nähert sich eine Frau, Mitte 60, in lila Windjacke und fragt mit einem freundlichen Lächeln: „Sind Sie wegen Feuerbach hier?“ „Ja.“, erwidere ich und bekunde meine Freude darüber, dass sie sich für mich Zeit nimmt. Ulrike Ackermann-Hajek ist pensionierte Grundschullehrerin. Ihr Interesse für Philosophie brachte sie zur Ludwig-Feuerbach-Gesellschaft Nürnberg. Dort ist sie Schriftführerin, hat sich ausgiebig mit der Familie Feuerbachs beschäftigt und hält Vorträge.

Wir begeben uns auf die Suche nach Ludwig Feuerbachs letzter Ruhestätte. Die Gräber hier sind imposant und faszinierend. Riesige, überirdische Quader aus Stein, teilweise meterhohe Stelen und Büsten der Verstorbenen lassen erahnen: Hier sind wichtige Persönlichkeiten aus Nürnbergs Geschichte begraben.

Albrecht Dürer ist hier beigesetzt, genau wie Martin Behaim, der Erfinder des Globus. Während wir zum südöstlichen Teil des Friedhofes gehen, denke ich mir: „Warum wollen eigentlich so viele Touristen den Friedhof in New Orleans besuchen? Die sollten mal hierherkommen.

Nach kurzer Suche sind wir am Ziel: dem Grab von Ludwig Feuerbach. Ein massiver grauer Stein, der an einen Sarkophag erinnert. Der Zahn der Zeit haben ihm zugesetzt. Verschiedene Moosflechten wuchern darauf. Die einst bronzene Büste Feuerbachs hat sich längst türkisgrün verfärbt. Der einzige Farbklecks auf dem rund 150 Jahre alten Grau: Ein frischer Blumenstock mit roten und weißen Blumen, den anscheinend die Stadt Nürnberg spendiert hat. Hier ist er also begraben: Der Philosoph und bedeutendste Religionskritiker des 19. Jahrhunderts.

Vor der Ruhestätte kramt Ulrike Ackermann-Hajek in ihren Unterlagen, und erklärt mir, dass es Ludwig Feuerbach in Nürnberg nicht wirklich gefallen hat. Für den Philosophen war das Domizil ein Kompromiss – dem Nachwuchs zuliebe. „Seine Tochter konnte hier Französisch lernen und eine standesgemäße Ausbildung genießen, die im Landkreis Ansbach nicht möglich war.“, erklärt sie. Denn Feuerbachs eigentliche Wirkungsstätte war Bruckberg bei Ansbach. Dort hat er auch eines seiner wichtigsten Werke geschrieben: „Das Wesen des Christentums“. Als er durch den Konkurs der Bruckberger Porzellanfabrik Vermögen und Wohnrecht verloren hatte, war Nürnberg für ihn ein Kompromiss. 

Nachdem er die Ruhe im ländlichen Idyll sehr genossen hat, musste eine möglichst vergleichbare Umgebung in Nürnberg her. Der Rechenberg bei Nürnberg sollte es werden. Die jetzige Parkanlage lag damals noch außerhalb der Stadt.

Wir machen uns auf den Weg dorthin. Die Straßenbahnline 6 schlängelt sich behäbig durch Sankt Johannis. Am Wegesrand eine Mischung aus historischen Gebäuden und hässlichen 60er-Jahre-Bauten. „Auf dieser Seite war ja alles zerbombt“, erklärt Ulrike Ackermann-Hajek ein. Sie hat wohl meinen leicht angewiderten Gesichtsausdruck beim Anblick der lieblosen Betonklötze registriert.

Nach einer scharfen Rechtskurve ein vertrauter, schöner Anblick: Die Kaiserburg, wie sie über der Altstadt Nürnbergs thront. Wir steigen um in die U-Bahn. Der Rathenauplatz ist unsere nächste Etappe. Während wir die Rolltreppe nach oben nehmen, macht mich die 64-Jährige auf die Konterfeis aus Mosaik an der Haltestellenwand aufmerksam: „Das hier ist Walther Rathenau und daneben ist Ludwig Feuerbach.“ „Oh“, entgegne ich peinlich berührt, „und ich dachte immer, das wäre Rathenau in Jung und Alt.“ Tatsächlich ist mir das Mosaik, das sich erst in voll entfaltet, wenn man oben angekommen ist, schon häufig aufgefallen. Aber Ludwig Feuerbach hatte ich dabei nie auf dem Schirm.

Nach einer weiteren kurzen Fahrt mit der Straßenbahn sind wir am Ziel angekommen: Dort, wo die Winzelbürgstraße in die Äußere Sulzbacher Straße mündet, stand einst Feuerbachs Wohnhaus. Leider wurde es im Jahre 1916 abgerissen. Doch es gibt in der Nähe noch ein Denkmal zu Ehren des Freidenkers.

Wir erklimmen den Rechenberg auf dem sogenannten Philosophenweg. In unregelmäßigen Abständen sind dort silberne Tafeln mit Zitaten des Religionskritikers angebracht: „Die Liebe ist Leidenschaft, und nur die Leidenschaft ist das Wahrzeichen der Existenz.“

Feuerbachs bronzenes Konterfei, das bis zum Abriss seines Wohnhauses als Gedenktafel dort angebracht war, steht jetzt eingelassen in einer Sandstein-Stele in der Parkanlage des Rechenbergs. Unweit davon erinnert ein weiteres Denkmal an den Philosophen: Ein Kenotaph, also ein „leeres Grab“, welches wortwörtlich dem Freidenker gewidmet ist. Unter den Nationalsozialisten wurde es 1933 entfernt und erst zehn Jahre nach Kriegsende wiedererrichtet. Freidenken war eben noch nie die Stärke von Nazis.

Ulrike Ackermann-Hajek und ich suchen uns ein Kaffeehaus. Mich interessiert vor allem der Einfluss, den Ludwig Feuerbach auf andere große Denker gewirkt hat. „Der Mensch schuf Gott nach seinem Bilde“, zitiert meine Begleitung Feuerbach und erklärt mir, dass Friedrich Nietzsche ein Bewunderer des Religionskritikers war.

Nietzsche schrieb später „Gott ist tot“ – vielleicht ja inspiriert durch Feuerbach. „Die Befreiung des Volkes aus den Banden geistiger Sklaverei“ haben ihm ebenfalls Sympathien eingebracht: Bei Karl Marx und der aufstrebenden Arbeiterbewegung.

Dagegen haben allerdings seine „Gedanken über Tod und Unsterblichkeit“ dazu geführt, dass die Laufbahn als Dozent in Erlangen verbaut war. Mit dieser Frühschrift hat er den Zorn einflussreicher Größen in der Nachbarstadt auf sich gezogen. „Fortan bezeichnete er Erlangen als ‚pietistische Mistpfütze‘“, lacht die 64-Jährige. Hämisch schmunzelnd nippe ich an meinem Kaffee und freue mich über die Gemeinsamkeit mit dem Freidenker.

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