LiteratuReise: Auf den Spuren von Jakob Wassermann

10.9.2018, 17:25 Uhr
In der Mathildenstraße erinnern die doppelten Schwingtüren aus Holz an die Zeit der kleinen Handwerksbetriebe in den Hinterhöfen.

© Jakob Wassenaaar In der Mathildenstraße erinnern die doppelten Schwingtüren aus Holz an die Zeit der kleinen Handwerksbetriebe in den Hinterhöfen.

„Das würde ich an deiner Stelle nicht pachten!“. Ich drehe mich verwundert um. Vor mir sitzt eine Gruppe Männer mittleren Alters auf Plastikstühlen. Alle trinken Bier, beinahe alle rauchen. Es ist Freitagmittag gegen halb zwölf, die Sonne scheint kräftig an diesem Tag.
Das habe ich auch nicht vor“ erwidere ich mit einem kurzen Lächeln in die Runde. Ich richte mich wieder nach vorne und versuche, ein ansprechendes Foto von der Hausfassade auf der anderen Straßenseite zu machen. Es gelingt mir nicht.

Ich stehe in der Alexanderstraße in Fürth vor der Hausnummer 13 und schaue auf ein unspektakuläres, dreistöckiges Haus mit senfgelbem Anstrich. Das Erdgeschoss hat eine Glasfront, in der vereinzelte Plakate abgelaufener Veranstaltungen hängen. Eine dicke Schicht Staub liegt auf den Scheiben.

„Das ist es?“ frage ich mich ungläubig im Stillen, während ich das Gebäude mustere. Mein Blick fällt auf die unscheinbare Tafel: „An dieser Stelle stand das Haus in dem der berühmte Schriftsteller JAKOB WASSERMANN am 10. März 1873 geboren wurde. Er starb am 1. Jan. 1934 in Alt-Aussee“.

„Mach’s nicht, du bereust es nur.“ Ich drehe mich erneut um. Einer der Männer zeigt mit seiner Hand, in der er eine brennende Zigarette hält, auf die andere Straßenseite. Er ist Mitte bis Ende 50 und hat dünnes, graues Haar. „Außer da kommt auch ne Kneipe rein!“ Er lacht herzlich - dabei bemerke ich, dass ihm ein paar Zähne fehlen.

Auf den Spuren des vielleicht berühmtesten Schriftstellers aus Fürth war meine erste Station wohl ein Reinfall. Mit schnellen Schritten gehe ich weiter zu meiner nächsten Anlaufstelle, dem ehemaligen israelitischen Schulhof in der Geleitsgasse.

Dort angekommen fällt mein Blick sofort auf das außergewöhnliche Synagogen-Denkmal. Es ist oval, aus rotem Marmor, und aus dem oberen Teil ragen steinerne Flammen in Richtung Himmel. In der Reichspogromnacht 1938 zerstörten hier SA-Schergen das 400 Jahre alte religiöse Zentrum der Fürther Juden. Unter anderem vier Synagogen, die Lehrhäuser und die Ritualbäder.

Als Jakob Wassermann in Fürth lebte war der sogenannte Schulhof noch intakt. Wassermann stammte aus einer jüdischen Familie und kam in seinen jungen Jahren zum Religionsunterricht hierher. In seiner Autobiografie „Mein Leben als Deutscher und Jude“ berichtet er davon, findet aber weder für das Judentum noch die Religionslehrer ein gutes Wort: „Die Religion war eine Disziplin und keine erfreuliche. Sie wurde von einem seelenlosen Manne seelenlos gelehrt. Sein böses, eitles, altes Gesicht erscheint mir noch jetzt bisweilen im Traum.“

Jakob Wassermann erlebt weder zuhause noch in der Synagoge das Judentum als etwas Bereicherndes, das im Leben Sinn und Halt gibt. In seiner Autobiografie äußert er sich dazu, wie er und seine Geschwister im Alltag der christlichen Arbeiterschicht zu Gast waren.
Sie gingen bei den Familien ein und aus, wurden zu Weihnachten mit eingeladen – aber blieben immer nur Gäste. Wassermann empfand seine Religion als Mangel, im Elternhaus wurde dem nichts Positives entgegengesetzt.

Auf dem Weg zur nächsten Station biege in die Theaterstraße ein. Ein Linienbus schlängelt sich an den geparkten Autos vorbei. Vor einer Tanzschule steht eine Menschentraube, mehrere Leute verlassen gerade das Gebäude.

Etwas die Straße runter, vor der Hausnummer 17, treffe ich Barbara Ohm. Die Stadthistorikerin ist Autorin von über 20 Büchern rund um das Thema Fürth, unter anderem hat sie auch Literatur über Wassermann veröffentlicht.

„Für mich“, sagt sie, „ist es das bedeutendste Haus für Jakob Wassermann, hier starb seine Mutter als er gerade einmal neun Jahre alt war.“ Wir blicken auf die schlichte Fassade aus hellem Stein, die im Laufe der Zeit um die Fenster dunkel angelaufen ist. Mit dem Tod bricht für Wassermann eine Welt zusammen, denn die Mutter ist die einzige Person die ihn liebt und versteht – das Verhältnis zu seinem Vater ist ausgesprochen schlecht.

Mit seiner neuen Stiefmutter war er einer unglaublichen Hartherzig- und Lieblosigkeit ausgeliefert. Wassermann schildert eine Stiefmutter wie aus Grimms Märchen. Die Fürther Historikerin kennt noch mehr Details aus seiner Kindheit: Der junge Jakob Wassermann zweigte beim wöchentlichen Einkauf immer einen kleinen Betrag ab um seinen Lesehunger zu stillen.

Sein kleiner Bruder kommt ihm auf die Schliche und will ihn verraten. So liest Wassermann ihm regelmäßig abends etwas vor, und immer an der spannendsten Stelle stoppt er seine Erzählung – damit sein Bruder ihn nicht verrät. Aus der Not geboren lernt er somit früh das Erzählen von Geschichten.  Thomas Mann bezeichnet ihn einmal als „Fabulierer von Geblüt und Instinkt“.

Wassermann ist von seiner schlimmen Kindheit in Fürth geprägt. Die Themen wie Humanität und das verlassene Kind begleiten ihn sein Leben lang. „Das ist das faszinierende bei Jakob Wassermann, denn bei vielen Schriftstellern spielt die Herkunft kaum eine Rolle. Aber das Erlebte geht durch all seine Werke, bis in seinen letzten Roman“, erklärt Barbara Ohm

Sie war auch auf Wassermanns Spuren in Wien und Alt-Ausee. Sie schlägt eine Seite in ihrem Buch über den Schriftsteller auf. Sofort wird mir klar, warum er dort seinen Lebensabend verbrachte. Direkt am Wasser steht das große Haus mit ausladendem, hölzernem Balkon. „Von seinem Arbeitszimmer aus hatte er diesen wunderschönen Ausblick über den See.“

Ich bedanke mich bei Barbara Ohm und biege nach ein paar Metern in die Mathildenstraße ab. Im Haus mit der Nummer 17 lebt die Familie von 1887 bis 1889. Der Vater versucht im Hof, ein neues Gewerbe auf die Beine zu stellen, eine „Schatullenfabrik“ – er scheitert, mal wieder.
 Wie bei vielen Häusern hier im Viertel erinnern die doppelten Schwingtüren aus Holz an die Zeit der kleinen Handwerkbetriebe in den Hinterhöfen. Vor nicht allzu langer Zeit ist sie petrol-grün gestrichen worden. Dennoch sieht sie so alt aus, als wäre der junge Jakob Wassermann noch durch genau diese Türe gegangen.

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