LiteratuReise: Vom Jura-Studenten zum Philosophen

18.9.2018, 18:37 Uhr
Die 11. Feuerbach-These von Karl Marx ziert den Eingangsbereich der Humboldt-Universität in Berlin.

© Sebastian Spallek Die 11. Feuerbach-These von Karl Marx ziert den Eingangsbereich der Humboldt-Universität in Berlin.

Ein Sommertag in Berlin: Um die Mittagszeit versammeln sich die ersten Reisegrüppchen am Alexanderplatz. Sie sind bewaffnet mit Kameras, Sonnenhüten, German Beer. Die Straße runter, am Marx-Engels-Forum nahe der Spree, bemüht sich eine asiatische Touristin – neben ihr sitzt ein grimmig blickender Karl Marx – den richtigen Winkel mit ihrem Selfie-Stick zu finden.

Eine Passantin bietet Hilfe an. Die junge Asiatin beginnt zu posieren: breites Lächeln, den Kopf leicht zur Seite, sie knickst possierlich ihr Knie ein, schlingt ihren linken Arm um den bärtigen Marx, mit der rechten Hand zeigt sie das Peace-Zeichen.

Nachdem das Foto geschossen wurde, bedankt sie sich und geht zu ihrer Gruppe zurück. Bei dem Anblick möchte man glauben, der real existierende Sozialismus würde vielleicht doch funktionieren. Die Fanbase wäre da.

Personenkult ist zurück

200 Jahre nach Karl Marx’ Geburtstag – 150 Jahre nach dem "Kapital" — ist der Großdenker wieder en vogue. Denn im Jahr 2018, dem Marx-Jahr, erhebt sich das rote Tuch der marxistischen Lehre aus der leninistisch-stalinistischen Ursuppe und ist zurück in den Köpfen.

Davon zeugen deutschlandweite Veranstaltungen zu Ehren des Philosophen. Beispielsweise die "Marx-Wochen" im Berliner Literaturhaus. Der offene Diskurs über Marx’ Schriften, seine Thesen und ja, auch der Personenkult um ihn sind zurück.

War er je weg? Auch nach der Wende gibt es noch einige Denkmäler, die an den radikalen Denker erinnern. Fast gegenüber des Marx-Engels-Forums entsteht derzeit – für fast 600 Millionen Euro – das Humboldt-Forum. Es liegt nicht weit von der Humboldt-Universität entfernt. Dort – damals hieß sie noch Friedrich-Wilhelms-Universität – hat Marx mit 18 Jahren im Oktober 1836 sein Studium begonnen.

Zuvor hatte er in Bonn Rechtswissenschaften studiert. In Berlin wird er fünf Jahre bleiben, bis Mai 1841. Er wird zur Philosophie wechseln, und hier seine Doktorarbeit schreiben. Er wird das erste Mal in intellektuellen Kreisen verkehren und das Leid des Proletariats mitbekommen.

"Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu verändern", prangt in großen Lettern über der Treppe zur Eingangshalle der Humboldt-Universität. Die Inschrift ist Marx’ 11. Feuerbach-These und wurde 1953 auf Anordnung der SED angebracht.

Wie damals unter Studenten üblich, bezog auch der junge Marx viele verschiedene Wohnungen. Die meisten davon lagen im Bezirk Mitte, in Laufweite zur Uni. Nur im April 1837 verschlug es ihn auf Anraten seines Arztes kurzzeitig ins Grüne, in den Bezirk Friedrichshain.

Also: Zurück zum Alexanderplatz, in die U5 bis Frankfurter Allee, dann mit der S41 zum beschaulichen Treptower Park und dann nur noch über die Spreebrücke. Dort steht sie: die Karl-Marx-Erinnerungsstätte – zwei schlichte Reliefstelen aus rotem Sandstein. Auf der Linken ein wie immer grimmig dreinblickender Marx, auf der anderen erneut die Feuerbach-These. Dazwischen eine Gedenktafel. Alles recht schlicht gehalten; Prunk ist schließlich Kapitalismus.

Die Erholung in der Natur muss gewirkt haben, denn der Philosoph zog schon im Spätsommer 1837 in das Zentrum der Hauptstadt zurück. War Marx also ein Naturbursche?

In seinen Ökonomisch-philosophische Manuskripten von 1844 schrieb er: "Dass das physische und geistige Leben des Menschen mit der Natur zusammenhängt, hat keinen anderen Sinn, als dass die Natur mit sich selbst zusammenhängt, denn der Mensch ist ein Teil der Natur." Mit dieser Ansicht ist er gar nicht so weit von Wilhelm von Humboldt entfernt. Wieder in die Ringbahn S41 und zurück zur Frankfurter Allee. Hier, bis zum Alexanderplatz, liegt wohl eines der offensichtlichsten Relikte des Sozialismus: die Karl-Marx-Allee. Der geschichtsträchtige Stil-Mix der sich auf den drei folgenden Kilometern vollzieht, ist pure Berlin-Nostalgie – die es ohne Marx’ Thesen so nie gegeben hätte.

Noch in Friedrichshain steht das Frankfurter Tor, im Stil des Sozialistischen Klassizismus. Der eher abwertende Begriff Zuckerbäckerstil lässt sich noch immer anbringen, ist Friedrichshain doch der Berliner Partybezirk schlechthin. Protzig trifft auf billig. Arm, aber sexy.

Das hätte Marx bestimmt gefallen, wurde er doch im Wintersemester 1837/38 aufgrund nächtlicher "Straßenexzesse" angezeigt. Höchstwahrscheinlich handelte es sich um Ruhestörung im Suff. Er kam aber glimpflich davon.

Zwei Volksaufstände

Weiter geht’s auf der Straße, die noch vor der Wende Stalinallee hieß. Zwei Volksaufstände hat es auf ihr gegeben, den ersten 1953, den zweiten 1989. Letzterer war erfolgreich.

Der Baustil ändert sich: Im Bezirk Mitte dominieren die Plattenbauten der 1960er Jahre. Mittlerweile muss man den Kopf in den Nacken legen, um die Spitze des Fernsehturms noch zu sehen.

Nur noch ein paar hundert Meter bis zum Alexanderplatz. Dort, im gentrifizierten Glück des touristischen Wohlgefallens, lässt sich das herausgeputzte Berlin betrachten. Marx wäre es ein Dorn im Auge gewesen.

Er verließ Berlin 1841 als gereifter Mann, und statt eine Professur anzutreten wurde er Journalist bei der neu gegründeten Rheinischen Zeitung in Köln. Der Rest ist Geschichte.

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