Menschen sollten barfuß durch den Wald laufen

24.3.2015, 21:44 Uhr
Menschen sollten barfuß durch den Wald laufen

© Foto: Sabine Rempe

Dreimal am Tag eine halbe Stunde gehen, das würde den Füßen gefallen – am besten barfuß, am besten im Wald. Doch stattdessen sitzen die meisten Menschen auf dem Weg ins Büro in der U-Bahn, dann acht Stunden am Schreibtisch und abends auf dem Sofa. Wenn sie laufen, tun sie das in bequem gepolsterten Schuhen oder auf hohen Absätzen, die den Fuß unnatürlich belasten und stets auf geradem Untergrund, so dass der Fuß nichts zu tun hat.

Thomas Stumptner trägt breite, vollkommen flache schwarze Schuhe zu seinem Anzug. „Ein gesunder Fuß ist an den Zehen am breitesten“, sagt er. High Heels sind deswegen gleich doppelt schlecht: „Der Absatz schiebt die Wadenmuskulatur zusammen und wir können sie beim Gehen nicht mehr ganz durchstrecken.“ Außerdem rutscht der Fuß in hohen Schuhen nach vorne und die Zehen werden zusammengequetscht. „Unser Gehmuskel ist die Hauptvenenpumpe“, erklärt der Arzt. Der Muskel in der Wade sorgt dafür, dass das Blut wieder aus den Beinen herausgepumpt wird. Wenn das nicht gelingt, werden die Venen weiter, die Klappen können nicht mehr richtig schließen und das Blut fließt rückwärts. Es staut sich und der Druck belastet das umliegende Gewebe. „Das ist wie bei einem Bach, der versandet“, erklärt Stumptner. „Das Ufer versumpft.“

Zur Neueröffnung seiner Praxis hat Stumptner zu einem Fachsymposium eingeladen. Ein Zahnarzt, ein Orthopäde und der Phlebologe sprechen über die „Balance der Systeme“, denn im Körper hängt alles zusammen. Ein schiefer Biss kann zu Haltungsschäden führen und umgekehrt. Stumptner ist von der Nürnberger Innenstadt aufs ehemalige AEG-Gelände gezogen, „weil hier wieder ein derartiges Leben und Aufbruchstimmung herrscht“. Seine Medizin füge sich da gut ein. Als die Gäste vom Vortragsraum zu den Praxisräumen laufen, traut sich kaum einer den Aufzug nehmen. Denen, die es doch tun, rufen die Treppensteiger zu: „Denkt an eure Venenpumpe.“

Füße auf dem Asphalt, Augen aufs Smartphone

Eine falsche Körperhaltung merkt der Betroffene immer erst durch die Folgen – wenn Knie, Hüfte, Rücken, Schultern oder Kopf weh tun. „80 Prozent unserer Alltagsprobleme sind chronische Schmerzen durch eine Verspannung“, sagt Stumptner. Schuld daran ist das moderne Leben. „Wenn wir in Schuhen auf geradem Asphalt, Pflaster, Parkett oder Teppich laufen, spüren unsere Füße nichts und das Gehirn bekommt keine Informationen über die Notwendigkeit einer Korrektur.“ Der Fuß ist eigentlich ein Greif- und Tastorgan. Beim Bergauflaufen spürt er die Steigung und der Körper gleicht sie aus. Würde der Mensch barfuß durch den Wald, über Stock und Stein laufen, würde der Fuß ständig trainieren, Informationen aufzunehmen und die Haltung automatisch anpassen. „Unsere Vorfahren haben barfuß den ganzen Erdball besiedelt, das hätten sie nicht mit schmerzenden Füßen getan“, sagt der Arzt. Deswegen ist eine fünfstündige Wanderung in den Bergen auch weniger anstrengend als eine Stunde gehen und stehen in der Fußgängerzone oder im Museum. „Unsere Kultur sorgt dafür, dass wir unserem Gehirn Hinweise vorenthalten und dadurch stehen wir so lange schief, bis etwas weh tut.“

Zwar gab es schon vor 40 000 Jahren Schuhe zum Schutz der Zehen und vor Kälte, aber noch vor 100 Jahren liefen viele Kinder im Sommer barfuß zur Schule, weil Schuhe teuer waren. Stumptner empfiehlt seinen Patienten tatsächlich, barfuß über Wald und Wiesen zu laufen, um im wahrsten Sinne des Wortes ihr Gleichgewicht wieder herzustellen. Wer bereits Schmerzen hat, muss sich dazu überwinden, denn oft sind die Muskeln verkümmert und der Fuß hat keinen Halt. „In der Stadt ist das natürlich schwierig, da trete ich gleich in Hundekot oder eine Glasscherbe.“ Aber schon holpriges Kopfsteinpflaster hilft den Füßen, auch mit Schuhen.

„Wir bräuchten ein Design, das schick aussieht, aber trotzdem fußfreundlich ist“, sagt der Experte. „Der Gesundheitsmarkt boomt, aber auf die Füße schaut keiner.“ Immerhin haben es die – lange als Gesundheitslatschen verschrienen – Birkenstocks bei der vergangenen New York Fashion Week auf den Laufsteg geschafft. Der Ausgleich hilft: Wer zehn Stunden in gesunden Schuhen unterwegs ist, gibt seinen Füßen ausreichend Kraft, um vier Stunden in High Heels zu tanzen. „Ein kaputter Fuß ist auch in einem Stiletto nicht sexy.“

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