Plötzlich zeigen die Enkel der Oma, wo es lang geht

28.9.2015, 08:36 Uhr
Plötzlich zeigen die Enkel der Oma, wo es lang geht

© dpa

Der Geist ist weg. Das bedeutet das lateinische Wort Demenz übersetzt. So erklärt Christine Brendebach auch vielen Kindern, was mit Oma und Opa passiert, wenn sie diese Diagnose bekommen und das Denken schwierig wird. „Es geht viel von dem, was wir mit dem Verstand können, verloren“, erklärt die Professorin. Manche können sich Namen nicht mehr merken, andere vergessen den Weg nach Hause, vertraute Personen sind ihnen auf einmal fremd. „Die Menschen empfinden und fühlen noch genauso wie vorher, sie können froh sein und traurig. Aber es verwirrt sie, wenn sie sich in ihrer eigenen Welt nicht mehr auskennen.“

Brendebach ist Psychologin und Professorin für Gerontologie an der Evangelischen Hochschule Nürnberg. Unter dem Titel „Warum ist Oma so komisch?“ sprach sie bei der Kinderuni vor drei Jahren zum ersten Mal mit Jüngeren über Demenz und stellte fest, wie viel Redebedarf es gab. Daraufhin initiierte sie das Projekt „Kidz – Kinder und Demenz“. „Ich war total überrascht, wie viel die Kinder schon wussten, durch die Medien, viele gute Kinderbücher, die es dazu gibt, und aus ihrem Verwandten- und Bekanntenkreis. Trotzdem gab es noch viele Fragen. „Kann man das sehen? Ist das ansteckend? Geht das wieder weg?“, wollten sie wissen.

Die Ursache einer Demenz ist im Gehirn zu sehen. In der Hälfte aller Fälle ist das die Alzheimer-Krankheit, bei der abgelagertes Eiweiß
das Weiterleiten von Nervensignalen stört. Auch verengte Hirnaterien können zu Demenz führen. Ansteckend ist das nicht, denn schuld ist das Alter. 40 Prozent aller Menschen, die älter sind als 90 Jahre, sind betroffen. Ein Gegenmittel gibt es bislang nicht.

„Kinder verstellen sich nicht, sie gehen emotional auf alte Menschen zu und das ist genau die Ebene, die bei Demenzkranken noch intakt ist“, sagt Brendebach. Manch professionelle Einrichtung macht sich das sogar zu Nutze und organisiert gemeinsame Spielenachmittage oder Singstunden von Kindergärten und Pflegeheimen. „Oft fällt Enkeln der Kontakt mit betroffenen Großeltern sogar leichter als ihren Eltern.“

Die Professorin schätzt, dass aufgrund der durchschnittlichen Enkelanzahl in Deutschland rund 900.000 Kinder und Jugendliche im näheren Umfeld mit Demenz konfrontiert sind. Aber wissenschaftlich erhobene Zahlen gibt es nicht. Ihre Mitarbeiterinnen und sie bieten Beratungsgespräche für Kinder, Jugendliche und Familien an, sie besuchen Kindergärten und Schulen und bilden Erzieherinnen und Pädagogen weiter, die sich mit diesem Thema näher beschäftigen wollen.

Kinder spüren, dass die Oma, die sie kannten, sich verändert und irgendwann nicht mehr die ist, die sie einmal war. „Diesen Verlust und die Trauer, die die Familie mit dem Fortschreiten der Erkrankung schon vor dem Tod trifft, nehmen Kinder sehr deutlich wahr.“ Eltern sollten sie daher mit ihren Fragen und Ängsten ernst nehmen und nicht alleine lassen. „Jeder weiß, dass die Pflege eines Angehörigen belastend ist, trotzdem darf die Sicht der Kinder nicht hinten runterfallen“, sagt die 45-Jährige. „Wenn sie verstehen, was los ist, bringen Kinder oft sehr viel Verständnis auf und stellen eigene Bedürfnisse hinten an.“

In den Kursen fragen Kinder auch, wie sie selber Oma und Opa helfen können. Brendebach rät ihnen dann: „Habt keine Angst, fragt bei euren Eltern nach, wenn ihr etwas nicht versteht und behandelt Oma und Opa wie immer, ihr könnt kuscheln, spielen, streiten, weinen wie bisher auch.“ Aus Erzählungen weiß sie, dass es manchen Grundschülern peinlich ist, Freunde einzuladen, wenn sich die demente Oma zu Hause komisch verhält. „Aber wenn sie wissen, dass das ein Symptom der Krankheit ist und die Oma nichts dafür kann, reagieren sie nicht patzig, sondern können sehr einfühlsam sein.“

Für alle, die noch mehr wissen wollen, empfiehlt Brendebach die Informationsseite für Kinder und Jugendliche der Deutschen Alzheimer Gesellschaft e.V.:
www.alzheimerandyou.de

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