"Nudging"-Treffen in Bayreuth

Problem innerer Schweinehund: Manchmal genügt ein kleiner Schubs

14.2.2019, 11:21 Uhr
Manchmal braucht es einen "Stupser", wie einen Alarm auf dem Handy, damit Leute am Schreibtisch öfter aufstehen.

© Sven Appel/dpa Manchmal braucht es einen "Stupser", wie einen Alarm auf dem Handy, damit Leute am Schreibtisch öfter aufstehen.

Claas Christian Germelmann will unbedingt einmal wieder Joggen gehen. "Aber es ist so kalt zurzeit, da kostet das doppelte Überwindung", sagt der Professor für Marketing und Konsumentenverhalten an der Uni Bayreuth. Für nächstes Wochenende hat er sich fest vorgenommen, einen Wecker auf seinem Smartphone zu stellen, der sagt: "Los, geh joggen!" Seine Sportsachen will er schon am Abend vorher bereitlegen. "Ich muss es mir möglichst leicht machen."

Germelmann weiß, wie geschicktes "Anstupsen" funktionieren kann, um seinen inneren Schweinehund zu überlisten. "Seit ich zum Beispiel auf meiner Uhr sehe, wie viele Schritte ich am Tag schon gegangen bin, bewege ich mich viel mehr", sagt er. "Bei mir funktioniert dieses 'Informations-Nudging' toll", sagt er.

Das Anstupsen, in der Fachsprache "Nudging" genannt, ist tatsächlich eine Wissenschaft für sich. Experten überlegen, wie sich Menschen dazu bringen lassen, kluge Entscheidungen zu treffen. Die Treppe statt den Aufzug zu nehmen. In der Kantine Salat statt Pommes zu essen. "Jeder weiß, dass zu viel Sitzen ungesund ist, aber jeder macht es trotzdem den ganzen Tag", erklärt Germelmann. "Das ist wirklich ein großes Problem." Es gibt genügend Studien, die zeigen, dass zu wenig Bewegung und ungesundes Essen Auslöser für viele Volkskrankheiten sind, wie etwa Herz-Kreislaufbeschwerden. Das kostet die Gesellschaft viel Geld und den Einzelnen womöglich sein Leben.

Vor roten Wänden essen die Leute unvernünftiger

Die Unis Bayreuth und Regensburg haben deshalb ihre Studenten in einem Wettbewerb aufgefordert, sich Projekte für mehr Bewegung auf dem Campus zu überlegen. 42 Ideen kamen zusammen, vom Bodentrampolin über Aktivpausen bis hin zu Stehpulten in den Hörsälen. Gewonnen hat der Vorschlag "Meilenstein": Die Uni stellt jetzt Wegmarken auf, damit alle auf typischen Strecken wie zwischen Mensa und Seminarraum wissen, wie weit sie gelaufen sind. Und sie animiert gezielt zu Umwegen. "Die Schafe sind heute auf der Weide - schau mal vorbei!", steht dann auf einem Schild. Es gibt eine Herde im Botanischen Garten der Universität. Oder: "Seit heute blühen die Schneeglöckchen, sieh sie dir an!"

Sogar Farben können "stupsen". Dipayan Biswas, Professor an der University of South Florida, hat untersucht, dass rote Wandfarbe in der Mensa zu mehr Unvernunft bei der Essenswahl führt als blaue. Rot aktiviert im Gehirn das Lust- und Genussempfinden. Salzige, fettige Pommes bringen eben mehr Spaß als Salat. In einer blauen Umgebung siegt hingegen das kühle, rationale Denken. "Gerade wenn man Hunger hat, kommt es sehr auf das Bauchgefühl an", sagt Germelmann.

Das lässt sich unbewusst beeinflussen. Die Uni Bayreuth plant derzeit eine Zweigstelle in Kulmbach. Dort entsteht die neue Fakultät für Lebensmittel- und Gesundheitswissenschaften. "Das wird ein Experimentierfeld, um genau solche Konzepte auszuprobieren." Alle, die dann dort in die Mensa gehen, wissen, dass sie gerade Versuchskaninchen sind.

Licht kann die Besucher dazu anstupsen, die gut ausgeleuchtete Treppe zu bevorzugen, auf die sie direkt zulaufen, statt den Aufzug in der dunklen Ecke zu nehmen. "Auch für Architekten und Städteplaner ist es also interessant, wie Nudging funktioniert", sagt der Professor. Zur Tagung kommen auch Vertreter aus Behörden und Institutionen, die sich mit Gesundheit und Ernährung befassen.

Das Stupsen hat aber Grenzen. Niemand mit Kinderwagen oder Rollstuhl soll einen besonders weiten Weg zum Aufzug nehmen müssen. "Wir wollen es den Konsumenten erleichtern, kluge Entscheidungen zu treffen, aber sie nicht bevormunden", erklärt Germelmann. "Das wäre falsch und gefährlich." Bei der Konferenz sind Ethiker und Juristen dabei. Die Stupser sollen den inneren Schweinehund freiwillig verscheuchen.

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