Seit 50 Jahren auf Wachstumskurs

12.11.2015, 16:35 Uhr
Seit 50 Jahren auf Wachstumskurs

Was ist denn da schon wieder los? Auf dem Weg in die Vorlesung kommen Studierende der Technischen Fakultät in Erlangen an einem Pulk von Anzugträgern vorbei, die sich um ein paar Tische mit Gebäck und Kaffee versammelt haben. Hat die Uni etwa beschlossen, wegen der „schwerwiegenden technischen Havarie“ an der WiSo in Nürnberg einen Teil der BWL-Studenten auf den Erlanger Süd-Campus auszulagern?

Nein, alles halb so schlimm! Grund für das Gedränge um die Häppchen im Foyer des Departements Werkstoffwissenschaften (WW) war ein Jubiläum: 50 Jahre Lehrstuhl Werkstoffwissenschaften 1 (Allgemeine Werkstoffeigenschaften). Auf Einladung des gegenwärtigen Lehrstuhlinhabers Prof. Mathias Göken waren zahlreiche Gäste und viele ehemalige Studenten aus aller Welt zum Symposium „50 Years of Materials Research in Erlangen“ angereist.

Rückblick: Im August 1965 wird Prof. Bernhard Ilschner auf den Lehrstuhl WW1 berufen. Die Technische Fakultät, zu der er heute gehört, gibt es damals noch gar nicht. Die wird erst im Herbst 1966 offiziell gegründet. Ohne ein entsprechendes Umfeld ist der Start schwierig. Aber Ilschner, einer der Pioniere der Werkstoffwissenschaften, holt diese interdisziplinäre Fachrichtung aus dem Schatten der Metallurgie und des Maschinenbaus heraus und etabliert sie als eigenständigen Studiengang .

Heute zählen die Werkstoffwissenschaften in Erlangen zu den Topadressen im europäischen Vergleich und sind mit ihren inzwischen neun Lehrstühlen einzigartig in Deutschland. In den 50 Jahren haben allein am Lehrstuhl WW1 weit über 500 Studierende ihre Abschlussarbeiten gemacht, 149 davon zusätzlich eine Doktorarbeit. An fast allen Universitäten in Deutschland finden sich inzwischen Erlanger Absolventen als Professoren oder Mitarbeiter. Viele davon stehen jetzt zur Jubiläumsfeier rund um die Tische.

Ein guter Anlass, mal nachzufragen: Was hat sich im Vergleich zwischen „der guten alten Zeit“ und heute verändert? Und was ist gleichgeblieben?

Betritt man die Gebäude der Werkstoffwissenschaften fällt sofort auf: Sie stammen aus den Anfangszeiten der Technischen Fakultät. Der Charme der 1960er Jahre und die eher zweckmäßige Architektur dieser Zeit sind unverkennbar – auch wenn versucht wird, die eher nüchterne Atmosphäre durch verschiedene farbliche Akzente und wissenschaftliche Poster aufzupeppen.

Gleichgeblieben ist auch der besondere Typus Mensch, der hier nicht nur studiert und arbeitet. Er feiert auch gerne in geselliger Runde – nicht nur erfolgreiche Prüfungen.

Doch die ganze Art des Studiums hat sich über das halbe Jahrhundert grundlegend gewandelt. Im Diplomzeitalter hatten die Studenten noch viele große Freiheiten, welche Kurse sie wann belegten. Seit Einführung von Bachelor- und Master-Abschlüssen ist das Studium eine ständige Hatz nach ECTS-Punkten.

Einen Vorteil hat die Umstellung jedoch: Es ist im Vergleich zu damals deutlich einfacher, ein Auslandssemester an einer der vielen Partner-Unis einzulegen und sich die Kurse von dort anrechnen zu lassen.

Doch nicht nur die Zahl von Kooperationen mit anderen Unis im In- und Ausland sowie mit der Industrie hat über die Jahre hinweg zugenommen. Im Vergleich zu damals ist die Anzahl der WW-Studenten geradezu explodiert. Im Jahr 1969 zum Beispiel waren in Erlangen ganze 22 Studierende für das Fach Werkstoffwissenschaften eingeschrieben. Die aktuelle Zahl der WW-Studierenden beträgt 1046.

Eine Erklärung für das wachsende Interesse ist die große Zahl von WW-Studiengängen, die man inzwischen wählen kann. Unter anderem gibt es heute neben Materialwissenschaften und Nanotechnologie auch einen Elite-Studiengang.

Die große Anzahl an Studierenden hat auch dazu geführt, dass der Platz für Forschung und Lehre immer enger wurde. Inzwischen haben die Werkstoffwissenschaften schon die Erlanger Stadtgrenze verlassen und eine Zweigstelle in der Fürther Uferstadt eröffnet.

Auch die für die Forschung eingesetzten Geräte sind immer komplexer geworden – und teurer. Erst kürzlich wurde eine sogenannte Atomsonde am Lehrstuhl WW1 in Betrieb genommen. Diese erlaubt den Forschern, bis auf die atomare Ebene der Werkstoffe zu schauen.

Davon träumten die Materialforscher vor 50 Jahren. Heute ist dieser Traum wahr geworden und ermöglicht, die Entwicklung hochkomplexer, nanostrukturierter Materialien für vielfältige Anwendungsfelder, wie zum Beispiel neue Turbinenwerkstoffe, Werkstoffe für die Automobilindustrie, für die Medizintechnik, für regenerative Energien und die Informationstechnologie.

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