Tausche Großstadt gegen Ödnis

31.1.2015, 10:00 Uhr
Tausche Großstadt gegen Ödnis

© Fotos: privat

Jeden Morgen stand ich um sieben Uhr auf, denn dann hieß es: Ab in den Stall und Kühe melken! Ich band die Tiere an, wusch ihre Euter, fütterte die Kälber und mistete später den Stall aus. Abends stand das gleiche Programm nochmal an.

Diese Arbeit im Kuhstall umrahmte meine Tage auf der Farm Stóra-Mörk. Sie beherbergt etwa 100 Kühe und Kälber, dazu einige hundert Schafe. Und nur wenige Menschen: Neben der isländischen Farmerin gab es dort nur einen bulgarischen Arbeiter und mich. Der nächste Ort Hvolsvöllur, der 800 Einwohner zählt, liegt etwa 30 Kilometer von der Farm entfernt; die isländische Hauptstadt Reykjavík ganze 100 Kilometer.

Stall- und Hausputz

Bei diesen Entfernungen wird nur ein- oder zweimal in der Woche eingekauft, und so sah ich kaum andere Menschen außer meiner kleinen internationalen WG. Selbst die Verwandten, die gleich nebenan wohnen, kamen selten vorbei, da sie selbst eine etwas größere Farm betreiben. Ich lebte also ganz schön abgeschieden in Islands wunderschöner Natur.

Tagsüber erledigte ich Aufgaben wie den Stall- oder Hausputz. Und wenn nichts anstand, unternahm ich bei gutem Wetter Spaziergänge – immer auf denselben Wegen. Um die Schafe brauchte ich mich kaum kümmern, da sie bei meiner Ankunft noch überall auf den Wiesen grasten. Trotzdem hatte der Höhepunkt meines Farmlebens mit Schafen zu tun: der Schafabtrieb in den Bergen.

Tausche Großstadt gegen Ödnis

© privat

Zu dieser Aktion reisten extra ein paar Verwandte an, und auch die Familie der Nachbarfarm war dabei, da sich ihre Schafe in denselben Bergen befanden. Dick eingepackt — trotz allerschönstem Sonnenschein und blauem Himmel — ging es mit dem Auto im Schneckentempo auf einem holprigen, schmalen Weg hoch in die Berge. Oben angekommen liefen wir alle in einer Linie mit mehreren hundert Metern Distanz zueinander hinunter, um so die Schafe schon von Weitem bergabwärts zu treiben.

Ich fühlte mich, als wäre ich ganz allein in den Bergen! Die Natur, die Ruhe, die Aussicht – ich genoss alles in vollen Zügen. Auch wenn ich kaum ein Schaf beim Abtrieb selbst sah, war es der schönste Tag auf der Farm. Das Tollste war die Ankunft im Tal, als von jeder Bergseite Helfer herbeiströmten und eine ausgelassene Atmosphäre verbreiteten.

Freilich nutzte ich meine Zeit auch, um die Insel zu erkunden. Die freien Tage, die einem bei „Work and Travel“ zustehen, sammelte ich, um mit einer anderen deutschen Farmarbeiterin mehrere längere Ausflüge zu machen. Dabei merkte ich immer wieder: Das Beste an Island sind die sagenhafte Natur und die vielen Farben! Am liebsten hätte ich an jedem Ort tausend Fotos geschossen.

Die Natur ist sehr abwechslungsreich: Wasserfälle, Vulkanlandschaften, heiße Quellen, Geysire. Auch wenn die natürlichen, heißen Quellen gewaltig nach Schwefel – also nach verfaulten Eiern – stinken, baden die Isländer stundenlang darin und unterhalten sich dabei mit Freunden. Hier sollte man unbedingt darauf achten, welche Quellen als „Hot Pot“ ausgeschrieben sind. Denn wer sich in so eine heiße Quelle hockt, kann schwere Verbrennungen bekommen.

Tausche Großstadt gegen Ödnis

Ich selbst war auch in drei verschiedenen Naturbädern — und ich hätte Stunden in dem heißen Wasser mit einer Freundin quatschend verbringen können. Wenn das Wasser dann doch zu heiß wird, steht man einfach auf, lässt sich vom Wind abkühlen und setzt sich wieder hin.

Wenn ich in Island außer Haus ging, hatte ich immer Handschuhe, Jacke, Schal und Mütze an, denn es ist immerzu stürmisch. Je mehr es auf das Jahresende zuging, desto kälter wurde es, und desto kürzer wurden die Tage. Bald wurde es nicht vor elf Uhr vormittags hell, und nachmittags ging die Sonne schon um halb vier unter.

Absperren ist nicht nötig

Doch es gibt noch mehr Dinge, die mich staunen ließen: die fetten Jeeps, mit denen die Isländer herumfahren, oder die Tatsache, dass Island das sicherste und friedlichste Land der Welt ist. Die Autos werden vor dem Supermarkt nicht abgesperrt, Haustüren erst recht nicht. Die Isländer, die ich kennengelernt habe, sind gastfreundlich, offen und herzlich. So war es auch überhaupt kein Problem, auf der Insel zu trampen.

Noch eine Sache werde ich nie vergessen: Auf meiner Farm kam ich etliche Nächte in den Genuss von Polarlichtern. Ich war jedes Mal total glücklich, die Lichter am Himmel zu sehen — besonders dann, wenn sie tanzten und sich bewegten. Inzwischen habe ich mein Stall-Outfit zurückgetauscht ins Stadtoutfit. Fazit: Eine Auslandsreise nach dem Schulabschluss kann ich jedem nur empfehlen!

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