Vor-sich-herschieben für Fortgeschrittene

13.3.2018, 17:36 Uhr
Eigentlich müsste man an seiner Hausarbeit weiterschreiben. Aber ein bisschen in den Social Media unterwegs sein, kann sicher nichts schaden.

© Bjrön-Hendrik Otte Eigentlich müsste man an seiner Hausarbeit weiterschreiben. Aber ein bisschen in den Social Media unterwegs sein, kann sicher nichts schaden.

Es regnet. Ich bin in der Bibliothek gefangen. Außer ich möchte durch den Sturm heimlaufen. Lustlos schaue ich das leere Word-Dokument in meinem Laptop an. Dort soll eine Zusammenfassung meiner Statistikvorlesung entstehen.

Die Situation ist eine gute Gelegenheit, mal richtig etwas zu schaffen. Sollte man meinen. Doch das menschliche Gehirn ist kreativ. Und meines ist offenbar besonders kreativ darin, Arbeit zu vermeiden.

Meine Finger beginnen zu tippen: "Prokrastination für Experten". Ich will unbedingt einen Artikel über das Prokrastinieren schreiben – denke ich. Was macht effektives Arbeiten aus?

Die meisten Ratgeber sagen einem, man solle seine individuellen Zeitkiller finden, also die Sachen, mit der man seine Zeit verbringt anstatt effektiv zu arbeiten.

Für viele meiner Generation ist das Facebook. Für manchen Studenten mag das auch mal Wohnung putzen sein. Bei mir ist es Texte schreiben. Erst mal kurz "Prokrastination" googeln und Artikel mit Tipps dagegen lesen. Prokrastinieren, "das Verschieben, Aufschieben von anstehenden Aufgaben, Tätigkeiten" sagt mir der Duden.

Wie oft habe ich schon meine Zeit damit vertrödelt, darüber zu lesen, wie ich effektiver arbeite – anstatt einfach mal effektiv zu arbeiten? Ja, ich habe schon viele Arten der Prokrastination in meiner Bildungskarriere hinter mir. In meiner Schulzeit war es noch der Harry-Potter-Band – unter dem Schreibtisch aufgeschlagen. Nur noch schnell das Kapitel fertig lesen.

Im Bachelor-Studium verbrachte ich meine Arbeitszeit vornehmlich damit, Tagesnachrichten zu lesen. Ich studierte schließlich Politik. Da war das eine wichtige Aufgabe für mich, mindestens genauso wichtig wie die Klausur morgen. Oder?

Nun, im Master-Studium sollte ich unbedingt kreativer werden. Mit jeder Art der Prokrastination, die ich überwunden habe, konnte ich auch eine neue entwickeln.

Als ich eine Hausarbeit zu schreiben hatte, kam mir eine geniale Idee für einen Zeitungsartikel. Ich begann, mich derart in diesen Artikel zu stürzen, telefonierte, recherchierte, interviewte, bis der Artikel zu einer kleinen Hausarbeit geworden war – und die eigentliche Hausarbeit immer noch nicht existierte.

So, jetzt habe ich schon eine Dreiviertelstunde mit diesem Text hier verbracht anstatt mit der Statistik-Vorlesung. Wenn ich es gut anstelle, kann ich mit dem Überarbeiten und der Suche nach dem richtigen Schluss noch einmal eine gute Stunde rumbringen.

Dann mache ich mich doch durch den Regen auf nach Hause, weil mein Magen knurren wird. Und auf dem Heimweg werde ich das angenehme Gefühl haben, heute wirklich etwas geschafft zu haben. War es das, was ich heute unbedingt schaffen wollte? Falsche Frage! Darüber denke ich besser nicht nach. Erst einmal schauen, was es Neues auf Facebook gibt.

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