Was ist das Abi noch wert?

3.5.2017, 10:00 Uhr
 Was ist das Abi noch wert?

© Symbolfoto: dpa

Unser deutsches Bildungssystem hat im vergangenen Jahrzehnt ganze Arbeit geleistet: "41 Prozent der Jugendlichen machen inzwischen Abitur", titelte Die Welt. Die Zeitung beruft sich auf den Nationalen Bildungsbericht 2016 des Bundesbildungsministeriums. Demnach absolvierte noch vor zehn Jahren nur jeder dritte Schüler das Abitur.

Darüber hinaus ist der Anteil der Schüler mit mittlerer Reife seit 2006 von 46 auf 56 Prozent gestiegen. Der Mittelschulabschluss dagegen ist vor dem Aussterben bedroht. Nur noch jeder fünfte Mittelschüler verlässt nach der 9. Klasse die Schule.

Bald wird die Hälfte eines Jahrgangs den höchstmöglichen Schulabschluss machen. Sind die deutschen Schüler schlauer geworden oder die Anforderungen niedriger? Die nächste Frage ist dann: Wenn jeder zweite Abitur hat, was ist das Abi dann noch wert?

Die Umstellung von G9 auf G8 hat bekanntlich das bayerische Schulsystem auf den Kopf gestellt. Zwar nimmt man den Stoff in kürzere Zeit durch, aber die Benotung in der Oberstufe etwa wurde schülerfreundlicher. Während früher noch Klausuren doppelt so viel zählten wie alle mündlichen Noten zusammen, hat man heute eine Eins-zu-eins-Gewichtung.

Das bedeutet: Wer früher die Klausur vergeigt hat, hatte wenig Chancen, die Gesamtnote zu verbessern. Heute kann jemand null Punkte im Schriftlichen haben und mündlich zehn Punkte, dann kommt er im Zeugnis auf fünf Punkte. Das entspricht einer glatten Vier.

Einerseits ist es sehr zu begrüßen, dass mehr Wert auf Mitarbeit und mündliches Engagement gelegt wird. Andererseits bestehen mehr Schüler die Abiturprüfung, auch zunehmend mit Spitzennoten. Doch jetzt wird wieder umgekrempelt: Das G9 feiert sein Comeback, die Möglichkeit, das Gymnasium auch in acht Jahren zu machen, bleibt für gute Schüler allerdings bestehen.

Es wird sich zeigen, ob das G9 nur weniger Stress bedeutet oder auch wieder höhere Anforderungen. Unsere Wirtschaft will mehr Akademiker, und diese Entwicklung ist auch in der Gesellschaft angekommen. Das aktuelle Bildungssystem produziert mehr Akademiker als je zu vor. Mit den, aufgrund des großen Ansturms, immer niedriger werdenden NCs an den Unis können allerdings viele nur über Umwege oder lange Wartezeiten das Fach ihrer Wahl studieren.

Früher ging es darum, überhaupt Abitur zu haben, heute übt man sich oftmals in Geduld, wenn man kein Einser-Abi hat – außer man möchte eine Ausbildung machen, denn hier wird neuerdings auch gerne mehr als die mittlere Reife gesehen. Zudem bleiben tausende Ausbildungsplätze jedes Jahr unbesetzt.

Mit der Kampagne "Elternstolz" wollen Wirtschaftsministerium, bayerische IHK und Handwerkskammer Eltern und ihren Kindern eine Berufsausbildung schmackhaft machen. Eltern sollen wieder stolz auf ihr Azubi-Kind sein. Erschreckend, dass es solche Kampagnen überhaupt geben muss. Doch das zeigt auch, dass immer mehr Eltern ihr Kind aufs Gymnasium schicken, damit aus dem Kind etwas "Gescheites" wird.

Diese Entwicklung ist mit großer Sorge zu beobachten. Ein leichteres Abitur und die damit verbundenen Entwicklungen und Folgen sind letztlich meist nicht zum Vorteil des Schülers. Der Leistungsdruck steigt, oft zahlen sich jedoch gute Leistungen aufgrund der Masse nicht aus. Man kann hoffen, dass mit dem G9 die Anforderungen wieder steigen, so dass das Abi unabhängig vom Notenschnitt wieder an Wert gewinnt und damit auch alle anderen Abschlüsse.

 

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