Vips mit Grips: Was man nicht hören kann, ist überflüssig

1.6.2015, 15:11 Uhr
Vips mit Grips: Was man nicht hören kann, ist überflüssig

© Foto: Michael Matejka

Nachkriegs-Deutschland brauche keine Ingenieure, es werde ohnehin ein Agrarland bleiben. Mit dieser Begründung riet ein Berufsberater Dieter Seitzer (heute 82) von seinem Elektrotechnik-Studium ab. Zum Glück hat er nicht auf diesen Rat gehört und sich in sein Studium gestürzt.

Denn dieser Weg war goldrichtig. Er führte den Mikroelektroniker zum Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen (IIS) in Erlangen, das er leitete, bis er 1998 in den Ruhestand ging. Auch heute noch ist Seitzer einmal wöchentlich in seinem Büro. „Dann bereite ich Gastvorträge vor, erstelle Präsentationen oder verfasse Festschriften, zum Beispiel zur Verleihung der Helmut-Volz-Medaille.“

Und hin und wieder kommt es auch vor, dass ihn Mitarbeiter um Rat fragen. „Auch nachdem ich in den Ruhestand gegangen bin“, erzählt er, „haben mich Studenten gefragt, ob ich ihre Doktorarbeit betreuen würde.“ 25 Doktoranden hat er in dieser Zeit durch die Doktorprüfung gebracht. Insgesamt waren es 80.

„Schon als Jugendlicher begeisterte mich die Technik“, erzählt der Mikroelektroniker. Seine Lieblingsfächer in der Schule waren Mathematik, Physik und Chemie. „Und nach der Schule habe ich gerne am Radio gebastelt oder an meinem Fahrrad geschraubt.“

Mit einem Notendurchschnitt von 1,0 bestand Dieter Seitzer als bester Schüler seines Jahrgangs das Abitur. Und stellte sich die Frage: Was will ich studieren?

„Maschinenbau wäre eigentlich naheliegend gewesen, aber ich habe lieber gerechnet als technische Zeichnungen anzufertigen“, erzählt Seitzer. „Die Maschinenbauer mussten sechs Zeichnungen abgeben, wir Elektrotechniker nur drei. Und als ich die drei Zeichnungen fertig hatte, war ich heilfroh.“

Vips mit Grips: Was man nicht hören kann, ist überflüssig

© Foto: Kurt Fuchs

Dieter Seitzer selbst schloss das Ingenieur–Studium an der TH Stuttgart mit Bestnoten ab, wurde 1961 auf dem Gebiet der Nachrichtentechnik promoviert und arbeitete anschließend am IBM-Forschungslabor in Rüschlikon/Schweiz in der Elektrotechnik-Abteilung. Zuerst als wissenschaftlicher Mitarbeiter und später als Abteilungsleiter. 1970 folgte er dem Ruf an den Lehrstuhl für Technische Elektronik der Friedrich-Alexander-Universität (FAU) Erlangen-Nürnberg. „Ich habe die Themenbereiche aus der Forschung mit an die FAU gebracht und hier weitergearbeitet.“ Daher setzte er den Forschungsschwerpunkt auf die Datenreduktion für Bild- und Tonsignale.

Als Technologiebeauftragter der Technischen Fakultät (1979 bis 1985) gründete Seitzer 1981 die Kontaktstelle für Forschungs- und Technologietransfer. Und unter seiner Geschäftsführung entstand 1984 das Zentrum für Mikroelektronik und Informationstechnik. Ein Jahr später ging daraus die Fraunhofer-Arbeitsgruppe für Integrierte Schaltungen hervor. Dann 1990 das Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen.

Genialer Einfall

Vips mit Grips: Was man nicht hören kann, ist überflüssig

© Foto: Kurt Fuchs

Ein Patent, das Seitzer mit seiner Forschungsgruppe einreichte, sollte die Welt verändern: Die Audiocodierung von Musik. Der Grundgedanke der Entwicklung war, dass Geräusche die das Ohr nicht wahrnehmen kann, weggelassen werden können. So war es den Forschern möglich, die Datenmenge von Musik- und Sprachdateien drastisch zu reduzieren. Denn eine MP3-Datei braucht nur ungefähr zehn Prozent des Speicherplatzes im Vergleich zur Originaldatei.

Wichtige Grundlagen für die Technik schufen Seitzers Doktoranden – beispielsweise Karlheinz Brandenburg mit seiner Dissertation „Ein Beitrag zu den Verfahren und der Qualitätsbeurteilung für hochwertige Musikcodierung“. Und Heinz Gerhäuser, später Nachfolger von Dieter Seitzer, entwickelte 1980 einen digitalen Signalprozessor, mit dem Audiocodierung in Echtzeit möglich wurde.

Dank der Entwicklung des MP3-Formates können heute ganze Medienbibliotheken auf USB-Sticks und Smartphones übertragen und überall abgespielt werden. Und wir können unsere Lieblingslieder bequem im Internet kaufen.

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