Wenn es mal brenzlig wird . . .

20.1.2016, 10:00 Uhr
Wenn es mal brenzlig wird . . .

© Szenenfoto: privat

Der Tod von Dominik Brunner schockierte ganz Deutschland. Im September 2009 wollte der 50-jährige Manager Schüler vor den Angriffen älterer Jugendlicher schützen – und bezahlte dafür mit dem Leben. Ein anderes Beispiel ist der Jugendliche Jonny K., der starb, als er sich für andere einsetzte.

Wie konnte es zu diesen Tragödien kommen? Diese Frage stellte sich auch Johannes Mann, Pfarrer in der Hugenottenkirche Erlangen. Um weitere solche Vorfälle zu vermeiden, rief er 2010 das Projekt „Mutwerk – Courage Erlangen“ ins Leben, dessen Aktionen sich gegen eine Kultur des Wegschauens richten.

So auch ein Werbespot, der seit eineinhalb Monaten in den Erlanger Kinos läuft und den ich auf Initiative des Vereins mit Schulfreunden gedreht habe. In diesem wird ein Mädchen von einem Gorilla verschleppt, während Passanten achtlos zuschauen – symbolisiert durch die drei Affen, die nichts sehen, nichts hören, nichts sagen. Die zentrale Botschaft darin lautet: Mach dich nicht zum Affen. Zeig Zivilcourage. Wähl die 110.

Der letzte Satz ist der wichtigste. Er ist beispielhaft für die erste Regel der Zivilcourage: Ich hole Hilfe! Denn als Dominik Brunner versuchte, sich im Alleingang gegen zwei Jugendliche zur Wehr zu setzen, missachtete er diesen Grundsatz leider mit schweren Folgen. Dabei ist Hilfe holen meist kein Problem.

In der Schule könnt ihr euren Lehrer verständigen, zum Beispiel bei Mobbing. In der Straßenbahn macht ihr den Fahrer auf Pöbeleien aufmerksam. In der Diskothek kümmern sich die Türsteher darum, dass Gewalt nicht eskaliert. Und bei einer Straftat ist die Polizei der richtige Ansprechpartner.

Doch bevor ihr Hilfe holen könnt, solltet ihr die Situation erst mal richtig beobachtet haben. Das ist die zweite Regel der Zivilcourage. Ist der Mann, der sich in der Innenstadt laut mit einer Frau streitet wirklich ihr Ehemann? Oder belästigt er vielleicht eine Fremde? Wenn euch bei genauerem Hinsehen etwas nicht ganz koscher vorkommt, solltet ihr euch möglichst viele Personenmerkmale einprägen und euch diese irgendwo notieren.

Falls der Mann wirklich eine Straftat begeht und handgreiflich wird, könnt ihr der Polizei eine detaillierte Personenbeschreibung geben. Dabei ist es wichtig, die dritte Regel der Zivilcourage zu beachten: Ich halte Abstand!

Ihr solltet euch bei der Hilfeleistung niemals selbst in Gefahr bringen. Stattdessen handelt ihr aus einer sicheren Distanz heraus und versucht, die Aggression des Täters nicht auf euch selbst zu ziehen. Körperliche Einmischung ist deswegen immer die allerletzte Möglichkeit und kommt nur in Frage, wenn ihr dem Täter körperlich und im besten Fall auch zahlenmäßig klar überlegen seid!

So kommen wir auch zur vierten Regel: Ich suche mir Mitstreiter! Wenn ihr in der Innenstadt Anfeindungen mitbekommt, solltet ihr Passanten unbedingt um Unterstützung bitten. Statt einfach „Hilfe!“ zu schreien, sprecht ihr Leute am besten direkt an, damit sie sich verantwortlich fühlen. Wenn ihr diese Mitstreiter gefunden habt, ist es oft ein Leichtes, den Täter zu verschrecken, da sich dieser jetzt nicht nur einem, sondern einer Menge von Menschen stellen muss.

Wenn ihr den Konflikt auf diese Art lösen konntet, handelt ihr nach der fünften Regel der Zivilcourage: Ich kümmere mich um die Opfer! Es nützt nichts, dem Täter hinterherzurennen, wenn dabei das Opfer bewusstlos auf der Straße liegen bleibt. Und auch wenn oberflächlich keine Verletzungen sichtbar sind, steht das Opfer an erster Stelle. Denn Beeinträchtigungen wie zum Beispiel ein Schock sind nicht sofort erkennbar.

Ihr habt alle diese Schritte beachtet und die Situation erfolgreich entschärft? Dann solltet ihr nur noch eine letzte Regel im Hinterkopf behalten: Ich bin Zeuge! Durch eure Aussage helft ihr der Polizei, den Täter zu fassen, und macht eure Stadt so ein kleines bisschen sicherer.

Mehr Infos zu Zivilcourage gibt’s auf www.mutwerk-erlangen.de oder www.iamjonny.de

Extra-Senf:

Wer Zivilcourage zeigt, läuft Gefahr, sein Leben zu verlieren: dieses Bild von Zivilcourage ist in unserer Gesellschaft leider immer präsenter. Zivilcourage scheint ein teures Gut geworden zu sein. Dazu beigetragen haben die Fälle von Dominik Brunner oder vor einem Jahr Tugçe Albayrak, die aufgrund ihres besonders couragierten Handelns gestorben sind. Ein Gut, das man im Extremfall mit seinem Leben bezahlen muss.

Durch ihre tragischen Schicksale wurden diese Menschen zu Symbolfiguren der Zivilcourage. Doch genau darin liegt der Fehler. Dominik Brunner und Tugçe haben zwar ein großes Maß an Zivilcourage bewiesen – nur leider war es die falsche Art davon. Beide haben sich in die Situation eingemischt, statt Abstand zu halten. Sie haben selber eingegriffen und so ihr Leben aufs Spiel gesetzt.

Wenn man Zivilcourage tatsächlich im Supermarkt kaufen könnte, würde auf der Verpackung keine Warnung stehen, die besagt: „Benutzung auf eigene Gefahr!“ Stattdessen würde man folgendes lesen können: „Benutzung nur bei Schutz des eigenen Körpers!“

Die richtige Art von Zivilcourage zeigt man, wenn man zuerst an sich denkt und dann an die anderen. Wenn man Hilfe holt, statt sich selbst einzumischen. Diese Art von Zivilcourage kennt aber auch keine Schlagzeilen von Helden, die sich selbstlos für andere opfern. Und doch rettet sie täglich viele Leben, nicht nur das des couragierten Helfers. Es ist Zivilcourage, die jeder leisten kann.

 

Verwandte Themen


Keine Kommentare