Wenn mich der Lachflash trifft

26.10.2016, 11:36 Uhr
Narkoleptiker haben mit vielen Vorurteilen zu kämpfen. In der Schule zwischendurch ein Schläfchen zu halten, ist für sie kein Spaß, sondern bittere Notwendigkeit.

© Bild: Paulina Rebbe Narkoleptiker haben mit vielen Vorurteilen zu kämpfen. In der Schule zwischendurch ein Schläfchen zu halten, ist für sie kein Spaß, sondern bittere Notwendigkeit.

„Irinaaa, aufwachen!“ Nein, es ist nicht früh morgens, sondern mitten am Nachmittag. Und nein, ich gönne mir auch keinen kleinen Mittagsschlaf. Ich bin in der S-Bahn auf dem Nachhauseweg eingeschlafen und hätte meine Station verpasst, wäre meine hilfsbereite Freundin nicht gewesen. Mal wieder.

Dass ich tagsüber oft extrem müde bin, ist für mich Alltag. Und zwar nicht, weil ich bis spät in die Nacht gefeiert oder gepaukt habe. Aber das checken die wenigsten Leute: Ich habe Narkolepsie, eine seltene Schlafkrankheit. Doch das war nicht immer so.

Der Ausbruch

Rückblende: Ein strahlender Maitag vor vier Jahren. Es ist Mittagspause in der Schule, und ich bin mit meinen Freundinnen bei unserem Lieblingsimbiss. „Mensch, was war denn los in Deutsch? Dir sind ja fast die Augen zugefallen, dabei war’s doch total spannend diesmal!“ Ich zucke mit den Schultern: „Weiß auch nicht“, entgegne ich der Freundin.

Ich bin schon seit voriger Woche viel müder als sonst und das ohne ersichtlichen Grund. Aber es ist auch recht stressig zur Zeit, mit den ganzen Schulaufgaben. Also mache ich mir keine weiteren Gedanken.

Meine Freundinnen albern unterdessen weiter rum und erzählen von einem lustigen Erlebnis in Mathe. Wir prusten los, es ist einfach zu komisch. Plötzlich merke ich, dass mein Kopf leicht nach vorne sackt. Mein Lachen wird seltsam tonlos, und meine Mundwinkel zucken. „Nicht umfallen, Irina, soo lustig war’s auch wieder nicht“, sagt eine Freundin grinsend.

Ich bin total verwirrt; so einen krassen Lachflash hatte ich noch nie. „Findet ihr auch, dass meine Lache anders ist als sonst?“ „Ach, meine verändert sich doch auch ständig“, beruhigt mich Sina.

Ich habe die Sache schon wieder vergessen, als ein paar Tage später in der Mittagspause etwas passiert, das mich alarmiert: Wieder erzählt jemand einen Witz, und das Lachen blubbert in mir hoch. Aber ich kriege keinen Ton raus. Meine Mundwinkel sacken nach unten, die Muskeln in meinem Arm erschlaffen schlagartig, und mein Apfel fällt mir aus der Hand.

Die Odyssee

Jetzt ist klar: Mit mir stimmt was nicht! Unsere Hausärztin kann sich die „Anfälle“ auch nicht erklären, die ich jetzt ständig bekomme — beim Laufen, beim Treppensteigen, aber vor allem, wenn etwas lustig ist. Die Ärztin tippt auf zu viel Stress, aber da meine Schilddrüsenwerte normal sind, wird die starke Tagesmüdigkeit zum Rätsel.

Meine Eltern fahren mit mir ins Krankenhaus. Dort werde ich auf alles Mögliche hin untersucht: Epilepsie, Herzerkrankungen, Gehirntumor. Aber da meine Werte alle ganz normal sind, bleibt den Ärzten nach zwei Tagen Untersuchungen nur eine Erklärung: psychische, durch Schulstress bedingte Überlastung. Was sonst kann für solche Symptome, die aus heiterem Himmel auftreten, verantwortlich sein?

Meine Mutter sucht inzwischen im Internet nach Erklärungen und stößt auf eine seltene Erkrankung: Narkolepsie. Sie spricht mit den Ärzten im Krankenhaus darüber, aber die schließen diese Möglichkeit aus, ohne die Spur weiterzuverfolgen. „Sie schläft ja nicht andauernd ein“, lautet die Begründung. Obwohl mein Vater ihnen sogar eine Aufnahme zeigt, auf der meine Muskeln – wie bei Narkolepsie typisch – plötzlich erschlaffen, sind die Ärzte sich sicher: Meine Beschwerden sind rein psychischer Natur. Ihr genialer Einfall: Einweisung in die Jugend-Psychiatrie.

Das Schlaflabor

Zum Glück stimmen meine Eltern dem nicht zu, denn meine Mutter ist überzeugt, dass sie auf der richtigen Spur ist. Wir bewirken eine Überweisung in ein Schlaflabor, wo man mich am ganzen Körper mit Elektroden verkabelt. Fünfmal am Tag werde ich in ein dunkles Zimmer gebracht, wo ich mich für 20 Minuten auf ein Bett legen soll, während mein Schlaf überwacht wird.

Das Ergebnis ist verblüffend: Bei vier von fünf Messungen bin ich innerhalb weniger Minuten im Traumschlaf (REM-Schlaf genannt) und einmal sogar im Tiefschlaf. Menschen ohne Narkolepsie kommen tagsüber längst nicht so schnell in den REM- beziehungsweise Tiefschlaf.

Die Diagnose

Na, toll: Ich bin fast 15, habe eine neurologische, bisher unheilbare Krankheit, schlafe am Tag mehrmals ein, wache dafür nachts häufig auf, kann mich oft nicht sehr lange konzentrieren – und, ach ja: Bitte bringt mich nicht zum Lachen, wenn ihr nicht wollt, dass ich zusammensacke wie eine Marionette, der man die Fäden abschneidet.

Anfangs ist das alles sehr belastend für mich. Am liebsten will ich gar nicht mehr lachen. Ich weiß, dass es andere erschreckt, wenn sich meine Augen plötzlich verdrehen, mein Körper die Muskelspannung verliert und ich mit dem Kopf auf die Tischplatte knalle. Oder meine Knie nachgeben und ich manchmal zu Boden falle.

Damals schäme ich mich dafür, immer meine Umwelt damit zu erschrecken. Das Schlimmste ist, dass ich während dieses sogenannten Tonusverlusts, also dem Erschlaffen der Muskeln, nichts sagen kann. Ich kann also den anderen nicht erklären, dass ich nicht bewusstlos bin, nicht in Lebensgefahr schwebe und dass es in ein paar Sekunden wieder vorbei ist.

Der Arzt erklärt mir, dass diese „Anfälle“ beim Lachen von meiner chronischen Müdigkeit herrühren und daher, dass ich das Schlafen immer unterdrücken wollte. Der Körper imitiert dann die Muskelentspannung, die er sonst im Tiefschlaf hat – nur, dass ich eben wach bin.

Der (Schul)alltag

In meiner Schule bekomme ich einen Ruheraum, und es wird tatsächlich besser, da ich jetzt auf meinen Körper höre und mich nicht bis zum erschöpften Einschlafen auf der Schulbank durchquäle. Wenn ich merke, dass ich müde werde, schlafe ich 30 Minuten. Merke ich es nicht rechtzeitig, schlafe ich auf der Schulbank ein. Ich informiere die Lehrer und meine Klasse. Die verpassten Hefteinträge bekomme ich von Freundinnen. Ich versuche, immer vor den Schulaufgaben zu schlafen, damit ich währenddesen nicht müde werde.

Eine Zeit lang geht das gut. Aber in der 9. Klasse tun sich weitere Probleme auf: Meine Müdigkeit verschlechtert sich; 30 Minuten vormittags und 30 Minuten nachmittags reichen nicht mehr. Ich halte höchstens zwei Schulstunden durch, bis ich wieder müde bin und schlafen muss.

Mein behandelnder Arzt beantragt einen Nachteilsausgleich, damit ich, wenn ich während einer Schulaufgabe müde werde, abgeben und 45 Minuten schlafen „darf“. Viele Mitschüler sind neidisch und begreifen nicht, dass diese Maßnahme keinen „Vorteil“ für mich darstellt: Kein „Nachteilsausgleich“ der Welt kann den permanenten Nachteil ausgleichen, den eine Narkoleptikerin gegenüber „normalen“ Menschen hat.

Der Abschluss

Die Oberstufe habe ich an einem anderen Gymnasium gemacht, wo ich mehr Unterstützung erhielt als an meiner alten Schule. Inzwischen habe ich mein Abi und kann mich schlapp lachen, ohne umzufallen – weil ich gelernt habe, meinem Körper Schlafpausen zu gönnen. Und wenn meine Beine zu Pudding werden, weiß ich: Jetzt ist mal wieder Zeit zu schlafen.

Narkolepsie – bis sie 14 war, hatte Irina (Name geändert) selbst keine Ahnung, was das ist. Dann bekam sie plötzlich diese Krankheit, seitdem lebt sie damit. Hier erzählt sie euch ihre Geschichte.

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