WG-Bewohner gehen seltener zur Wahl

13.9.2017, 08:00 Uhr
WG-Bewohner gehen seltener zur Wahl

© Britta Pedersen/dpa

Die Union würde die Wahl gewinnen. Allerdings nur mit 20,5 Prozent. Dahinter kämen die Grünen mit 15,8 Prozent. Die SPD bekäme 14,2 Prozent der Stimmen, die Linke 7,4 und die FDP 6,8. Mit nur 1,8 Prozent wäre die AfD nicht im Bundestag vertreten. So sähe das deutsche Parlament aus, wenn es nach den Erstwählern ginge. Studenten der Katholischen Universität (KU) Eichstätt haben sie befragt.

"Wir wollten uns nicht nur anschauen, welche Parteipräferenz Erstwähler haben, sondern auch von welchen Faktoren ihre Wahlentscheidung abhängt", sagt Dozentin Eveline Hermannseder. Sie hat im Sommersemester das Seminar "Parteien, politische Kontrolle und Opposition in Deutschland" geleitet. In der ersten Hälfte des Kurses beschäftigten sich die Teilnehmer mit dem Handlungsspielraum der Oppositionsparteien im Bundestag und außerparlamentarischen Kontrollinstanzen wie etwa Medien, Bevölkerung und Petitionen. In der zweiten Hälfte planten und organisierten sie die Erstwähler-Umfrage. "Das bietet sich im Jahr der Bundestagswahl natürlich an", sagt Hermannseder. "Außerdem hatten die Studenten viel Spaß daran, weil es eben nicht nur Theorie war, sondern Feldforschung vor Ort, die direkt mit der aktuellen Politik in Deutschland verbunden ist."

Politik ist vielen jungen Leuten zu altbacken

Politik-Student Philip Schneider hat vor allem gelernt, "wie schwierig es ist, Menschen zu motivieren, an einer Umfrage teilzunehmen". Mit Leiterwagen und Wassereis als Belohnung für die Befragten zogen die Studenten durch Eichstätt. Im Seminar haben sie einen Fragebogen entwickelt, den die Passanten anonym und ungestört ausfüllen konnten. "Ich hoffe, dass die Leute dadurch möglichst ehrlich waren", sagt die Dozentin. "Bei einem mündlichen Interview hätte es mehr Verzerrung gegeben, weil viele dann antworten, wie es gesellschaftlich erwünscht scheint." Die meisten Teilnehmer füllten die Umfrage ohnehin online aus. Außerdem schrieben die Studenten auch Schulen an und verschickten den Link zum Fragebogen im Freundes- und Bekanntenkreis.

"Es ist schwierig, junge Menschen für Politik zu interessieren, weil sie ihnen zu verstaubt, altbacken und teilweise zu kompliziert vorkommt", sagt Schneider. Er studiert im Master Politikwissenschaften in Eichstätt. "Manche sehen auch nicht, welchen Einfluss die Politik und ihre Teilnahme an der Wahl ganz konkret auf ihr tägliches Leben hat."

650 Personen haben bei der Umfrage der Studenten mitgemacht, 444 vollständige Datensätze konnten sie auswerten. "Damit die Umfrage repräsentativ wäre, hätten wir 1000 Teilnehmer gebraucht", sagt Hermannseder. "Aber es gibt bislang kaum Forschung zu Erstwählern, deshalb zeigen unsere Ergebnisse immerhin eine Tendenz." Besonders beeindruckt war die Dozentin vom großen politischen Interesse der Erstwähler. 46 Prozent geben an, sich stark oder sogar sehr stark für Politik zu interessieren. 34 Prozent schätzen ihr Interesse als mittelmäßig ein. 19 Prozent sind weniger interessiert und nur knapp vier Prozent bezeichneten sich als gar nicht politisch interessiert. "Das hat mich wirklich positiv überrascht, das hatte ich so nicht erwartet."

80 Prozent der Befragten wollen zur Bundestagswahl gehen. Sieben Prozent haben das nicht vor und zehn Prozent wissen es noch nicht. Bei der vergangenen Wahl 2013 lag die bundesweite Beteiligung bei 71 Prozent. "Gerade in Zeiten von Politikverdrossenheit und einem weltweiten Zuwachs an Wählern extremer Parteien ist es interessant, ein Augenmerk auf Personen zu legen, die zum ersten Mal an diesem Grundbaustein eines demokratischen Staates teilnehmen", sagt Student Schneider.

Die Schule scheint bei Erstwählern deutlich weniger Einfluss auf den Urnengang zu haben als die Eltern. Egal wie häufig die Befragten im Unterricht über Politik sprechen – das Vorhaben, zur Wahl zu gehen, ändert sich dadurch nicht. Ganz anders ist das bei Gesprächen mit den Eltern. Diejenigen, die in der Familie "gar nicht" über Politik sprechen, wissen zu 42 Prozent noch nicht, ob sie zur Wahl gehen. 37 Prozent geben an, wählen zu wollen, und 21 Prozent wollen das nicht tun. Bei denjenigen, die "sehr viel" mit ihren Eltern reden, haben bereits alle eine Entscheidung getroffen: 97 Prozent gehen zur Wahl und nur drei Prozent wollen nicht.

Sogar die Wohnsituation hat Auswirkungen auf das Wahlverhalten. Befragte, die alleine wohnen, beabsichtigen am häufigsten, ihre Stimme abzugeben. Dann kommen diejenigen, die in einer WG wohnen, gefolgt von Befragten, die noch bei den Eltern wohnen, und mit Abstand diejenigen, die mit ihrem Partner zusammenleben. "Andere Studien zeigen, dass Mitglieder einer Freiwilligen Feuerwehr und von Schützenvereinen besonders häufig konservativ oder noch weiter rechts wählen", berichtet Hermannseder. "Dieses Ergebnis haben unsere Erstwähler aber nicht bestätigt."

Soziale Netzwerke machen wahlmüde

Dafür untersuchten die Studenten erstmals den Zusammenhang zwischen der Aktivität in sozialen Netzwerken und dem Wahlverhalten: Befragte, die viel Zeit dort verbringen, haben seltener vor, zur Bundestagswahl zu gehen. "Woran das genau liegt, zeigt die Studie nicht", sagt die Dozentin. "In dieser Richtung würde es sich lohnen, weiter zu forschen."

Die meisten der Befragten gehen aufs Gymnasium oder studieren bereits. Nur wenige Auszubildende und Berufstätige haben an der Umfrage teilgenommen. "Junge Menschen wollen meist schnell informiert werden und das geht nicht, wenn man sich mit den einzelnen Parteiprogrammen auseinandersetzt", sagt Schneider. Er meint, um Jugendlichen die Politik näher zu bringen, müsse in der Schule mehr dafür getan werden, ein generelles Verständnis für Demokratie zu fördern, wie etwa durch nachgespielte Wahlen und das gemeinsame Auswerten der Ergebnisse.

Die Master-Studenten im Kurs sind noch nahe an der Altersgruppe der untersuchten Erstwähler dran. Sie selbst haben alle schon einmal den Bundestag gewählt. Das schlechte Abschneiden der SPD hat sie überrascht: "Gerade mal 14 Prozent und damit noch hinter den Grünen – ein so schlechtes Ergebnis hatten wir nicht erwartet", sagt Hermannseder. "Die Grünen schneiden bei jungen Leuten aber generell immer sehr gut ab."

Die Untersuchung der Erstwähler findet die Politik-Dozentin spannend, weil sich hier "eine gewisse Tendenz ablesen lässt, wie sich die Parteienlandschaft in den nächsten Jahren entwickeln wird". In ihrer Umfrage hat sich gezeigt, dass die Befragten keineswegs Protestwähler sind, sondern eher angepasst und konservativ.

Student Philip Schneider will am 24. September selbstverständlich zur Wahl gehen: "Wir können froh sein, in einer Demokratie zu leben, in der wir die Möglichkeit haben, auf diesem Weg aktiv die Zukunft unseres Landes mitzugestalten." Dozentin Hermannseder meint: "Eigentlich sollte man ein Fest feiern – ja, jetzt darf ich endlich wählen!"

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