Witzig, schön – und verboten

5.12.2016, 09:00 Uhr
Witzig, schön – und verboten

© privat

Alle Jahre wieder bestimmen die Zwölftklässler ihr Motto für ihren bevorstehenden Abschluss – und in diesem Jahr sind meine Mitschüler und ich dran. Um passende und witzige, schön zweideutige Sprüche zu finden, hing monatelang eine Liste am Oberstufenbrett. Jeder, der Lust hatte, konnte hier einen originellen Spruch eintragen.

Langsam, aber stetig füllte sich die Liste – mit größtenteils langweiligen, schon viel zu oft verwendeten Mottos wie „Abi heute, Captain Morgan“ oder „Mit dem Abi in den Händen werden Helden zu Legenden“. Aber auch ein paar gute waren dabei, wie etwa „Hakuna MatABI — ohne Sorgen Könige von morgen“.

Bevor wir zur Wahl schritten, wurde allerdings die Hälfte der Sprüche gleich von unserer Oberstufenleitung gestrichen, da sie „dem Ansehen der Schule schaden würden“. Darunter „CanABIs — mit einer Schultüte fing alles an“ oder „GABI — eng, aber geil war’s!“. Zugegeben nicht die niveauvollsten Sprüche, aber darum geht’s ja gar nicht!

Was an meiner Schule, dank dem verpflichtenden jahrelangen Altgriechisch- und Lateinunterricht natürlich besonders beliebt ist, sind Sprüche in ebenjenen Sprachen. Die sind dann wirkliche Schul-Insider und werden von der Oberstufenleitung gern gesehen. Der vorige Jahrgang wählte beispielsweise den wohl berühmtesten Ausspruch von Sokrates: „Oida ouk eidos“ (Ich weiß, dass ich nichts weiß).

Sokrates und die verdorbene Jugend

Besonders gelungen fand ich die Wahl vor einigen Jahren, die „tous neous diaphteirein“ zum Abi-Motto auserkoren hatte. Dieser Satz, mit dem Sokrates’ Todesurteil begründet worden war, bedeutet übersetzt: „die Jugend verderben“. Sokrates wurde tatsächlich zum Tode verurteilt, weil er die athenische Jugend durch kritische Diskussionen auf der Agora zum eigenständigen Denken anregte und sie somit „verdarb“.

Die athenische Oberschicht und Priesterschaft fürchtete nun diese eigenständig denkende Jugend und wollte den Unruhestifter Sokrates ausschalten. Als Abi-Motto hatte der Satz eine wunderbar ironische Komponente, denn natürlich sollen wir Jugendlichen durch die allgemeine Hochschulreife zum eigenständigen Denken erzogen werden.

Wie dem auch sei, sobald zwei volle Listen an unserem Oberstufenbrett hingen, richteten unsere Jahrgangsstufensprecher eine Doodle-Umfrage aus, um so unseren Favoriten zu küren. Der Sieger war: „1,7 Promille — meist Dichter als Denker“.

Doch erneut stellte sich unsere Oberstufenleitung quer und verbot den Spruch. Jetzt kann man sich fragen, wozu wir für unseren Abi-Spruch überhaupt die Zustimmung der Schule brauchen, da wir nach dem Abschluss ja weg sind. Aber da wir das Schullogo auf unseren Abi-Shirts drucken wollen, brauchen wir eben doch die Erlaubnis unseres Gymnasiums.

Also stehen wir jetzt vor einem Dilemma: Die einen wollen unbedingt an dem Spruch festhalten und sagen: Lasst uns komplett unabhängig unsere Abi-Shirts drucken – ohne Schul-Logo. Der Rest ist für eine erneute Abstimmung.

Noch steht das Ergebnis nicht endgültig fest. Ich jedenfalls finde die ganze Aufregung wegen so eines Spruchs etwas übertrieben. Deshalb habe ich auch die inzwischen ungefähr 370 Nachrichten, die sich in unserem Jahrgangsstufen-Chat auf WhatsApp um dieses Thema drehen, weitestgehend ignoriert . . .

Verwandte Themen


Keine Kommentare