Zu Bethlehem geboren . . .

22.12.2014, 17:22 Uhr
Zu Bethlehem geboren . . .

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„Und du, Bethlehem, bist keineswegs die kleinste unter den Städten in Juda; denn aus dir wird kommen der Fürst, der mein Volk Israel weiden soll.“ (Mt 2,6)

Morgens um vier Uhr stehe ich mit meinen Kolleginnen am Checkpoint 300. Jeden Morgen warten hier 6000 Palästinenser ungeduldig darauf, nach Israel zur Arbeit zu kommen. Dicht an dicht stehen die Männer in den vergitterten Gängen und zwischen den diversen Drehkreuzen.

Dabei kommt es immer wieder vor, dass jemand stürzt oder gegen die Gitter gedrückt wird und das Bewusstsein verliert. Die Arbeiter wissen, dass sie von den Launen der schwer bewaffneten israelischen Soldaten und privaten Sicherheitsleute abhängig sind. Wenn es denen zu langweilig wird, spielen sie mit ihren Handys herum, anstatt die Wartenden zu kontrollieren, oder sie greifen sich Einzelne für besondere Schikanen heraus.

Doch aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit im Westjordanland und der höheren Löhne in Israel nehmen viele die aggressive Behandlung in Kauf und versuchen, alles ruhig über sich ergehen zu lassen. Denn wer nicht rechtzeitig auf der israelischen Seite ankommt, muss sich möglicherweise eine neue Arbeit suchen.

Zu Bethlehem geboren . . .

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Für Alte, Kranke, Kinder und Frauen gibt es eigentlich einen eigenen Eingang, um ihnen das Gedränge im überfüllten Hauptgang zu ersparen. Doch oft ist das sogenannte humanitäre Tor geschlossen. Auch das Bitten der 14-jährigen Taghrid, die in Ost-Jerusalem zur Schule geht, nützt nichts. Sie muss sich zwischen den Arbeitern einreihen und hoffen, dass sie ihren Bus noch erreicht.

„Ein Leben lang eingetrichtert“

An diesem Morgen stehen auch zwei Frauen von der israelischen Menschenrechtsorganisation Machsom Watch auf der anderen Seite und beobachten wie wir das Gedränge. Eine der Freiwilligen versucht, das Verhalten der Soldaten zu erklären: „Sie sehen in den Palästinensern nur Terroristen, den Feind. Das haben sie ihr Leben lang eingetrichtert bekommen. Es ist ihnen völlig egal, ob vor ihnen ein Kind oder ein alter Mensch steht.“

Ganz in der Nähe des Checkpoints befindet sich das Caritas-Baby-Hospital, die einzige Kinderklinik im Westjordanland. Behandelt werden hier sowohl christliche als auch muslimische Kinder, und jede Familie zahlt so viel, wie sie sich leisten kann.

Auf der Intensivstation liegt ein Baby mit einem angeborenen Herzfehler, das auf eine Genehmigung zur Operation in Israel wartet. Nierenkranke Kinder überqueren mehrmals pro Woche den Checkpoint, um in Ost-Jerusalem zur Dialyse zu gehen, manche ohne Begleitung durch ihre Eltern. Überrascht erfahre ich, dass im Wartebereich der Ambulanz Kinder mit Atemproblemen sitzen, die Tränengas eingeatmet haben.

Zu Bethlehem geboren . . .

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Während der Mittagspause stehe ich mit den Ärzten im Hof, wir reden über deren Studium in Syrien, Ägypten oder Europa. Als Akademiker könnten sie überall arbeiten, doch vor allem wegen ihrer Familien sind sie nach Palästina zurückgekommen. „Viele andere gut ausgebildete junge Leute sehen hier keine Perspektive und kehren ihrer Heimat den Rücken“, klagt Chefärztin Dr. Hiyam.

Als wir uns an einem anderen Tag gerade von unserem morgendlichen Checkpoint-Dienst ausruhen, werden wir angerufen und über die Verhaftung zweier Schüler im nahegelegenen Ort Al Khadr informiert. Israelische Soldaten hätten den Schulhof während der großen Pause betreten und zwei Jungen mitgenommen.

„Politik interessiert mich nicht“

Bei unserem Eintreffen werden die beiden auf einem Feld in der Nähe ihrer Schule festgehalten. Sie werden beschuldigt, Steine auf Autos von israelischen Siedlern geworfen zu haben. Sie seien anhand von Videoaufzeichnungen identifiziert worden.

Als ich nachfrage, geben zwei der Soldaten zu, die Aufzeichnungen nie gesehen zu haben. „Ich führe nur Befehle aus. Politik interessiert mich nicht“, sagt der eine, 19 Jahre alt. Warum wir als Ausländer uns so sehr für die Rechte der „Araber“ interessieren, kann er nicht verstehen.

Nach über zwei Stunden, in denen die Jugendlichen ohne Wasser oder Schatten draußen gewartet haben, werden sie in einen Militär-Jeep verfrachtet. Erst Stunden später können wir den Eltern dank einer israelischen Anwaltsorganisation mitteilen, wo ihre Söhne festgehalten werden. Das israelische Recht sieht bei der Befragung von Minderjährigen die Anwesenheit der Eltern und eines Anwalts vor. Diese grundlegenden Rechte sind beiden Jungs verwehrt geblieben.

Wir fahren zurück zum Krippenplatz in Bethlehem. Touristen aus der ganzen Welt strömen zur 1600 Jahre alten Geburtskirche. Souvenir-Händler verkaufen handgeschnitzte Krippen und Heiligenfiguren. Die Christen in Bethlehem sind stolz, am Ort der Geburt Jesu zu leben. Sie bezeichnen sich als „lebendige Steine“. „Denn ohne uns“, erklärt mir Fadi, ein orthodoxer Christ, „wäre Bethlehem nur noch ein Museum.“

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