Zum Radiomachen muss man nicht sehen können

14.11.2016, 06:00 Uhr
Zum Radiomachen muss man nicht sehen können

© Foto: Roland Fengler

Seit ich 13 bin, mache ich Radio. Jeden Freitag bereite ich mit anderen Jugendlichen die Sendung "Funkenflug" vor. Wir interviewen Promis, schneiden Beiträge, schreiben unsere eigenen Moderationen und modieren auch selbst. Da läuft schon viel übers Auge. Kann man all das auch stemmen, wenn man blind ist?

Ziemlich gespannt starte ich in den Workshop – und kann erstmal keine wirklichen Besonderheiten feststellen. Okay, die Betreuer stellen sich ziemlich ausführlich vor – damit die blinden Jugendlichen ihnen eine Stimme zuordnen können. Aber ansonsten geht es nach einer Vorstellungsrunde gleich los mit der Arbeit.

Wir teilen uns in vier Gruppen auf. Zwei werden zu Umfragen raus auf die Straße geschickt, zwei sollen Interviews führen. Ich entscheide mich für eine Interviewgruppe. Wir erfahren, dass wir zwei Mitglieder der Post-Pop-Rock-Band "Leak" zu Gast haben werden, die 2015 die NN-Rockbühne gewann und in diesem Jahr bei Rock im Park auftrat.

Das Brainstorming beginnt, wir überlegen uns Fragen für das Interview – und haben bald viel zu viele gesammelt. Also heißt es: kürzen und sich auf das Wichtige und Spannende beschränken. Bevor wir mit dem Interview loslegen, werden wir mit den Aufnahmegeräten vertraut gemacht.

"Das sieht ja cool aus!"

Die sehbehinderten Jugendlichen, die über den Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbund zum Workshop gekommen sind, ertasten Knöpfe und das Mikro. Dabei sagt eine 14-Jährige plötzlich: "Wow, das sieht ja cool aus!" Ich bin verwirrt – sie kann die Geräte doch gar nicht sehen. Aber Tasten ist für die Blinden offenbar wie Sehen.

Das Interview läuft dann super. Die Jungs von Leak sind echt freundlich und lassen sich von uns auch nach dem offiziellen Teil mit Fragen löchern. Auch die Umfrage-Gruppen, die sich als Themen "Instrumente" und "Musik" ausgesucht haben, kommen gut voran. Auf der Straße ist die Sehbehinderung kein großes Problem. Das Ansprechen der Passanten übernehmen zwar die Jugendlichen, die sehen können. Aber die eigentlichen Fragen stellt jeder mal.

Genügend Material haben die Gruppen nun gesammelt – bleibt noch das Schneiden der Beiträge. Das sei für Sehbehinderte der schwierigste Part, sagt Coach Artin, aber nicht unmöglich. Dafür ist der 21-Jährige selbst das beste Beispiel: Artin erblindete, als er drei war, und ist trotzdem seit zehn Jahren begeisterter Radiomacher. Er arbeitet auch beim Jugendradiomagazin "Funkenflug" mit, außerdem gründete er mit 13 seine Hobbysendung "GeilFM".

Alles über Tastatur

"Am Anfangen war das Schneiden echt kompliziert", erzählt Artin, "denn ich muss alles über die Tastatur machen. Die Maus bringt mir nichts, da ich den Pfeil nicht sehe." Aber: Übung macht den Meister – und ich bin fasziniert, wie schnell und gut Artin schneidet. Ob ich das wohl so gut hinbekäme, wenn ich den Ausschlag oder die Tonspur nicht am Bildschirm sehen könnte?

Artin, der in Nürnberg zur Blindenschule gegangen ist, macht das inzwischen aus dem Effeff. Für seine Sendung "GeilFM" produziert er Beiträge, spielt Musik ein und moderiert. Das Mischpult ist dabei sein einziger Helfer. Denn abgsehen vom Schneiden "ist Radiomachen für Sehbehinderte nicht schwerer als für Sehende", findet Artin. "Die Moderation etwa denkt man sich im Kopf aus – nicht mit den Augen."

Mehr über Artin steht auf www.artin-akhavan.de – wer seine Sendung hören will, schickt ihm eine E-Mail und erhält einen Link.

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