Nicht immer barrierefrei

Rollstuhlfahrer haben es in Gunzenhausen schwer

16.8.2017, 17:58 Uhr
An diesem hohen Bordstein hat Heike Nahrstedt keine Chance, mit dem Rollstuhl hochzukommen. Zur Rampe zum Reisebüro kommt sie nur auf Umwegen.

© Marianne Natalis An diesem hohen Bordstein hat Heike Nahrstedt keine Chance, mit dem Rollstuhl hochzukommen. Zur Rampe zum Reisebüro kommt sie nur auf Umwegen.

Eine enge Tür, ein steiler Anstieg, eine Treppenstufe – was Menschen, die sich auf ihren zwei Beinen bewegen, oft noch nicht einmal als Hindernis erkennen, kann für Rollstuhlfahrer eine unüberwindbare Barriere sein. Davon gibt es auch in Gunzenhausen mehr als genug. Zunächst aber stellt Heike Nahrstedt ihrer Stadt ein positives Zeugnis aus. Der Marktplatz ist nach ihren Maßstäben "im Prinzip ideal", kann sie sich hier doch dank der fehlenden Bordsteine frei und gut bewegen.

Jenseits der Innenstadt allerdings endet diese Freiheit abrupt: an den teilweise hohen Bordsteinen. Private Initiativen wie etwa von Petra Böhm laufen da schon mal ins Leere. Die Inhaberin des Best-Reisebüros hat am neuen Domizil extra eine Rampe für Rollstuhlfahrer eingebaut. Doch wo sie endet, ist der Bordstein so hoch, dass Rollstuhlfahrer keine Chance haben.

Viele mühsame Umwege

Ein Stückchen ums Eck gibt es zwar eine Bordsteinabsenkung, dort kommt Heike Nahrstedt mit ihrem Rollstuhl auf den Gehsteig. Doch der Weg zurück führt bergauf - das ist halt mühsam. Solche Umwege muss Heike Nahrstadt immer wieder fahren. Sei es wegen eines unüberwindbaren Bordsteins, sei es weil die Straße zu steil ist oder etwas im Weg steht.

Rampen, wie an der Geschäftsstelle des Altmühl-Boten, ermöglichen Rollstuhlfahrern wie Heike Nahrstedt einen problemlosen Zugang.

Rampen, wie an der Geschäftsstelle des Altmühl-Boten, ermöglichen Rollstuhlfahrern wie Heike Nahrstedt einen problemlosen Zugang. © Marianne Natalis

Im Prinzip ist die 54-Jährige sehr beweglich, ihr Gefährt ist - im Gegensatz etwa zu einem Elektro-Rollstuhl - wendig und dank ihres Handbikes kann sie auch weitere Strecken zurücklegen. Diese Beweglichkeit würde sie auch gerne zu Ausflügen in die nähere oder weitere Umgebung nutzen, doch die Reise endet bereits am Gunzenhäuser Bahnhof. Hier hat sie keine Chance, auf den passenden Bahnsteig zu kommen. (Es sei denn, sie fährt nach Pleinfeld. Aber da landet sie dann auch auf dem Abstellgleis.) Mindestens zwei Helfer bräuchte sie, die sie und ihr Handbike zum Gleis hochtragen - und dann ist es immer noch ein Vabanquespiel, auch in den Zug hineinzukommen.

Am Bahnhof geht gar nichts

An sogenannten Hilfebahnhöfen können Menschen mit Handicap vorab bei der Bahn Ein- und Ausstieghilfen buchen. Doch Gunzenhausen ist kein solcher Bahnhof. Heike Nahrstadt muss also, will sie mit der Bahn verreisen, erst mit dem Auto zu einem geeigneten Bahnhof fahren, etwa nach Treuchtlingen. Zwar kann sie alleine mit dem Auto fahren, doch ihr Handbike bekommt sie ohne Hilfe nicht verladen. Da werden der Spontanität doch sehr enge Grenzen gesetzt.

Mangelnde Hilfsbereitschaft ist dabei nicht das Problem von Heide Nahrstadt, darum geht es ihr überhaupt nicht. Vielmehr will sie einfach möglichst selbstständig agieren können - so wie die meisten anderen auch.

Durchwachsene Lage am Marktplatz

Das kann sie etwa bei allen Gunzenhäuser Banken, die Post ist gut erreichbar und auch viele Geschäfte sind barrierefrei. Doch es gibt auch viele Häuser am Marktplatz, die von alters her nur über Stufen erreichbar sind. Das findet sie schade, geht doch so die Individualität, die inhaberbetriebene Geschäfte bieten, an ihr vorbei. Wobei viele Einzelhändler eine Klingellösung anbieten.

Eine große Baustelle in Sachen Barrierefreiheit ist das Rathaus. Seit langem wird daran getüftelt, die Anlaufstelle für die Bürger zugänglicher zu gestalten, bisher wurde das Ei des Kolumbus in dieser Sache noch nicht gefunden. Wenn es nach Heike Nahrstedt geht, muss das auch gar nicht sein.

Klingellösung am Rathaus

Natürlich weiß sie, dass Barrierefreiheit in öffentlichen Gebäuden prinzipiell wünschenswert ist. Doch mit der Klingellösung am Rathaus könnte sie persönlich sehr gut leben. Der Service sei gut und freundlich, mehr als einmal im Jahr müsse man als Bürger doch auch eigentlich nicht ins Rathaus. Höchstens eine kleine Rampe, um im Winter nicht draußen warten zu müssen, fände sie gut.

Man müsse hier doch die Verhältnismäßigkeit sehen und wahren, ist ihr Argument. Dass sie mit dieser Meinung unter den Behinderten eher alleine steht, ist ihr durchaus bewusst, doch wenn es nach ihr geht, sollte das Geld statt in einen teuren Rathausumbau lieber in abgesenkte Bordsteine - und zwar richtig barrierefreie - in der ganzen Stadt gesteckt werden.

Gute Noten für Bäder und Bücherei

Auf den ersten Blick viele Treppen und unüberwindbare Hindernisse gibt es in den beiden Gunzenhäuser Bädern. Doch der Schein trügt, versichert Martin Renk. Längst wurde dort mit diversen Rampen und Treppenliften nachgebessert. Zwar gibt es keinen Lift fürs Schwimmbecken, doch hier hilft das Personal nach Auskunft des Betriebsleiters jederzeit weiter.

Gute Noten würde es eigentlich auch für den Stadtbus geben, Rollstuhlfahrer können genauso problemlos einsteigen wie Mütter mit Kinderwägen. Allerdings nicht mit dem Handbike, diese Erfahrung musste die 54-Jährige zumindest machen, sie wurde einmal nicht mitgenommen mit dem Verweis, dass Fahrräder im Stadtbus nicht erlaubt seien.

Ein Ort zum Wohlfühlen für alle, die gerne lesen, ist die Stadt- und Schulbücherei. Die bekommt von Heide Nahrstedt die Note Eins plus, denn neben einem barrierefreien Zugang gibt es auch eine Behindertentoilette.

Schwierig ist es mit den Toiletten

Die Frage nach dem stillen Örtchen ist durchaus eine sehr wichtige. Als Ortskundige hat Heike Nahrstedt hier ihre Anlaufstellen, doch für Auswärtige ist es sicher nicht ganz einfach, mutmaßt die 54-Jährige. Natürlich gibt es die öffentliche Toilette unterhalb des Museums. Doch die liegt nicht wirklich günstig für Rollstuhlfahrer. Der Weg führt entweder über holpriges Pflaster oder die Rathausstraße. Die allerdings ist so steil, dass Heike Nahrstedt sie allein nicht hochkommt. Ein weiteres Manko ist nach ihren Worten, dass die Tür sehr schwer aufgeht. Ganz zu schweigen davon, dass eine öffentliche Toilette oft nicht eben einladend ist und nicht selten unangenehm riecht.

Wer sich auskennt, findet im Café "Lebenskunst" Abhilfe, auch das Hotel "Adlerbräu" hat eine Behindertentoilette und würde keinen Rollstuhlfahrer abweisen, der sie benutzen möchte.

Von ungünstig gelegenen Ausstellungsräumen über Arztpraxen im ersten Stock bis hin zu Kneipen und Gaststätten, nach all den Jahren hat sich Heike Nahrstedt längst daran gewöhnt, dass sie nicht überall hineinkommt - schön findet sie das natürlich nicht.

Vorbild "Adebar"

Herausragend war deshalb für sie die Initiative von Günther Neubauer und Horst Trinkl. Als die beiden Wirte die "Adebar" einrichteten, bezogen sie die 54-Jährige in die Planung mit ein. Angesichts des sehr begrenzten Raums in der kleinen Kneipe war es durchaus eine Herausforderung, die Toilette wenigstens rollstuhlgeeignet hinzubekommen, für eine echte Behindertentoilette reichte der Platz nicht aus. Mit Schnüren simulierte Innenarchitektin Katharina Lang die Situation so, dass sie zusammen mit Heike Nahrstedt eine funktionierende Lösung fand.

Ein Ansatz, den Heike Nahrstedt gerne öfters erleben würde. Nicht allein auf DIN-Normen gucken, sonder von vornherein die Betroffenen ganz praktisch in die Planung mit einzubeziehen, das wäre für sie der richtige Weg hin zur Barrierefreiheit.

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