Schamfrist nicht eingehalten

8.8.2009, 00:00 Uhr
Schamfrist nicht eingehalten

© Hippel

Wer Recht im Namen des Volkes spricht, kann nicht riskieren, dass sich im Volk der Eindruck von Kuhhandel und Kumpanei breitmacht - die Bürger würden ihr Vertrauen in die Gerechtigkeit, gar in den Rechtsstaat verlieren. Der «Fall Richard Walther» löst im Justizministerium Unbehagen aus - freilich nicht wegen des pensionierten Richters selbst; in der dicken Akte, die seine Berufstätigkeit nach seinem Ruhestand betrifft, werden grundsätzliche Fragen gewälzt.

Im «Fall Walther» eine «konsequent harte Linie» durchgezogen

Im Klartext: Schadet ein ehemaliger Richter dem Ansehen der Justiz, wenn er sich im Ruhestand als Rechtsanwalt engagiert? Könnte die Öffentlichkeit, wenn sie davon erfährt, glauben, dass bei der Justiz mit zweierlei Maß gemessen wird, alte Seilschaften und persönliche Beziehungen Rechtssachen beeinflussen? Gar gemauschelt wird?

Diesen Verdacht will man im Justizministerium nicht auslösen - daher wird im «Fall Walther» eine «konsequent harte Linie» durchgezogen, so wies das Ministerium den Präsidenten des Nürnberger Oberlandesgerichts an.

Vorschrift im Bayerischen Beamtengesetz

Hintergrund ist eine Vorschrift im Bayerischen Beamtengesetz: Demnach muss die Anwaltstätigkeit dem Richter a. D. untersagt werden, wenn «zu besorgen ist, dass durch sie dienstliche Interessen beeinträchtigt werden». Dieses «Vertretungsverbot» gilt für maximal drei Jahre nach dem Eintritt des Richters in den Ruhestand - und keineswegs für jedes Gericht.

Im «Fall Walther» ist nur seine Tätigkeit vor allen Senaten des Oberlandesgerichts gemeint, denn einem der dortigen Bausenate hatte er während seiner aktiven Dienstzeit zuletzt angehört.

Walther wusste von dieser strengen Anweisung nichts

Schwierig wird die Sache, weil Walther von dieser innerdienstlich strengen Anweisung nichts wusste, als er in einer renommierten Nürnberger Kanzlei als «freier Mitarbeiter» anheuerte. Der Internetauftritt der Kanzlei verhehlt freilich die langjährige richterliche Tätigkeit nicht - und der Jurist macht Eindruck: Rechtsanwalt Walther lockt einen Mandanten mit einer Bausache mit einem Streitwert von rund 100 Millionen Euro an, ausgerechnet die Schweizer Firma «Thermoselect» sollte er in einer Berufungsverhandlung vertreten.

Das Aus für die höchst umstrittene und nie in Betrieb gegangene Müllverschwelungsanlage in Ansbach stürzt die Firma bereits seit Jahren in komplizierte Verfahren, nun sollte Rechtsanwalt Walther mit seiner Mandantin «Thermoselect» den Rechtsstreit ausgerechnet vor dem Senat des Oberlandesgerichts, seinem früheren Senat, austragen.

Walther streikt

In der Chefetage des Justizgebäudes riet man dem früheren Kollegen dazu, diese Tätigkeit von sich aus einzustellen - doch Walther streikt. Er fühlt sich im Recht. Erstens hat er bereits ein Verfahren vor dem betreffenden Bausenat verloren, zweitens hat sich seit seinem Eintritt in den Ruhestand vor drei Jahren die Zusammensetzung des Senats fast vollständig verändert.

«Und außerdem kann ich doch meinen Mandanten Thermoselect nicht von heute auf morgen im Stich lassen», sagt Walther - die Schweizer vertrauen ihm, hatten ihn gerade wegen seiner reichen Fachkenntnis kontaktiert. Die Prozessakten füllen mehrere Meter im Regal und welcher seiner Anwaltskollegen könnte sich denn quasi über Nacht einarbeiten?

Die Firma beschwerte sich erfolglos

Sein Vertretungsverbot wurde ihm von OLG-Präsident Stefan Franke bis 31. Mai 2009 erteilt, die Verhandlung zum Thema Thermoselect terminierten die Richter drei Wochen vor Ablauf dieser gesetzlichen Höchstfrist, zu einer Verlegung des Termins auf einen Zeitpunkt nach dem 31. Mai 2009 war der Senat nicht bereit.

Walther schöpfte den Rechtsweg aus: Er klagte vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof und verlor. Er legte Verfassungsbeschwerde ein, doch das Bundesverfassungsgericht nahm sie nicht an. «Nicht nachvollziebar», ärgerte man sich bei Thermoselect. Die Firma beschwerte sich - erfolglos - im Justizministerium, inzwischen wurde der Fall vor den Petitionsaussschuss des Landtages gebracht.

Kollegen loben ihn als «Rackerer»

Derweil ist im Justizgebäude die Stimmung gespalten: Etlichen Richtern ist Richard Walther als fleißiger Kollege in Erinnerung, «Rackerer» loben sie ihn, erinnern sich an einen, der für die Juristerei lebt.

Walther selbst schildert, nie so recht Hobbys gepflegt zu haben - und als für ihn der Ruhestand losging und die Kollegen im Alltag blieben, konnte er sich nicht vorstellen, zwischen Kühlschrank und Fernsehgerät hin- und herzupilgern. Den Ruhestand empfand er als Schock - die Arbeit war Leitschiene in seinem Leben und wie soll einer runterschrauben, wenn er wie eine Maschine gearbeitet hat?

Eine üppige Rente

Doch es gibt auch kritische Stimmen: Der rührige Richter-Rentner schnappt jungen Anwälten die Aufträge weg, heißt es, dabei verdiente er zuletzt über 6000 Euro brutto, kassiert heute eine üppige Rente. Ein früherer Kollege am Landgericht wurde besonders deutlich: Als Walther im Sitzungssaal erschien - es ging um den Streit einer Bauherrin mit einem Handwerker - wollte er wissen, ob er keine Skrupel habe, vor ehemaligen Kollegen als Rechtsanwalt aufzutreten. Sein Verhalten nannte er instinktlos.

Richard Walther will diese Vorwürfe nicht auf sich sitzen lassen - von der Bekanntschaft zu alten Kollegen wolle er auf keinen Fall profitieren - jedoch auch keine Nachteile erleiden. Dass er zwei Verfahren, übrigens vor seinem früheren Bausenat, verloren hat, ist für ihn Alltag im Streit ums Recht. Doch sein Eindruck ist auch: Manche der ehemaligen Kollegen nehmen es in seinem Fall ganz genau - und behandeln ihn gar schlechter als andere Rechtsanwälte. Seit 31. Mai 2009 ist die «Schamfrist» abgelaufen, Rechtsanwalt Walther kann seither praktizieren, die Firma Thermoselect weiter beraten und sieht nichts Schlechtes darin - schließlich, so argumentiert er: Der Bürger kann durchaus sachlich denken und wittert nicht zwangsläufig Kumpanei und Kuhhandel.