27 Sekunden lang badete Erlangen im Glück

12.5.2014, 09:05 Uhr
Essen schmiss den Ball ins Tor und feierte – damit musste der Ex-Essener Ole Rahmel erst einmal fertig werden.

© Sportfoto Zink Essen schmiss den Ball ins Tor und feierte – damit musste der Ex-Essener Ole Rahmel erst einmal fertig werden.

Als hätte die Regie gewusst, was kommen würde, schickte sie um kurz vor halb zehn am Abend plötzlich Mikis Theodorakis über die Boxen. Die Letzten, die noch nicht standen in der Karl-Heinz-Hiersemann-Halle, erhoben sich jetzt, zu dieser irren Melodie mit dem rasenden Takt, die vor Jahrzehnten Filmgeschichte geschrieben hat. Jetzt schepperten die Klatschpappen, es wurde getrommelt, geklatscht. Es fühlte sich so an, als sei ganz Erlangen aufgestanden, als hätte Sebastian Preiß, der Abwehrchef und Weltmeister, die ganze Stadt noch einmal aufgepeitscht für diese letzten acht Minuten.

Es stand 20:20. Gerade eben noch hatte sich ein Essener Torwurf in den Händen der HCE-Abwehr verfangen, es war jetzt, um 21.24 Uhr, als Preiß die Faust ins Publikum reckte, endlich an der Zeit, dieses Erlanger Handball-Märchen zu Ende zu schreiben. Dass das Glück tatsächlich zum Greifen nah war, das wussten aber nur die Zuschauer.

Neben den Knicklichtern in Vereinsfarben hatte man immer wieder auch Smartphone-Monitore in der Dunkelheit leuchten sehen, mit den Zwischenständen aus Leipzig. Die Sachsen sind die Einzigen, die diese wunderbare Geschichte von Niedergang und Aufstieg, von Fast-Kollaps und Durchmarsch bis ins Oberhaus noch verhindern können. Doch eben dieses Leipzig hatte um 21.05 Uhr sein Heimspiel gegen Hildesheim großartig verpatzt.

Stefan Kretzschmar, ein durch und durch tätowierter Mann, der nebenher ein Weltklasse-Kreisläufer war, hatte vorher ein Einlagespiel mit viel Hallo gegeben, der Verein hatte eigens einen Handballsong aufgenommen. Und dann das! Mit der Schlusssirene warf Hildesheim den 24:24-Endstand.

Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer durch die Hiersemann-Halle. Ein Heimsieg, flüsterte man sich jetzt aufgeregt zu, würde reichen gegen TUSEM Essen. Doch der Erstliga-Absteiger lag zu diesem Zeitpunkt vorne, 14:13 (34.), 17:15, 19:18 (50.). Die Nervosität lähmte die Beine, Schrittfehler unterliefen, Fangfehler und zahlreiche Fehlpässe – einmal, ganz wirr, unbedrängt ins Publikum.

„Wir wussten gar nichts von Leipzig“, versicherte Jonas Link, der Linksaußen später, „wir wollten uns auf unser Spiel konzentrieren.“ Ole Rahmel, gesegnet mit einem Wurfarm wie ein römisches Katapult, fand gar, „hätten wir es gewusst, wären wir heute eingegangen“. Frank Bergemann verriet, er habe alles, was mit Leipzig zu tun hat, gar verboten. „Was“, fragte der HCE-Trainer, „bringt denn das in Gottes Namen? Was bitte hätten wir denn anders machen sollen, als einfach nur zu gewinnen?“

"Egal, wann es passiert"

Als der Sirtaki schlagartig wieder verstummt war, nach 54 Spielminuten und 14 Sekunden, hatte dieser Ole Rahmel den Ball schon wieder ins Tor gedonnert: 21:20 für Erlangen, der HC war für diesen Augenblick am Ziel. Sogar Siegfried Balleis, vor wenigen Wochen nach über zwanzig Jahren als Oberbürgermeister abgewählt, sprang gelöst und glücklich von seinem Sitz.

Doch das Glück, das zuletzt so oft aufseiten des HCE gewesen war, es hielt diesmal nur 27 Sekunden.

Essen schmiss den Ball zum Ausgleich ins Erlanger Tor, zog davon, siegte 24:23 (11:10). „Ach, na ja“, fand der 21-jährige Jonas Link und kaute auf einer Banane herum, „natürlich wäre es toll gewesen, heute aufzusteigen. Aber es ist doch eigentlich egal, wann es passiert. Wichtig ist, dass es bald passiert.“ Schon kommenden Samstag, in Bietigheim, würde dem HC wieder ein Sieg reichen – egal, was Leipzig macht. Damit es klappt mit dem Geschichtsbuch, steht ein kostenloser Fanbus bereit. Aber egal, wie viele mitfahren, es wird sich so anfühlen, als wäre die ganze Stadt dabei.

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