Endspiel-Derby? Club, Kleeblatt und die Meisterkür

20.3.2021, 22:05 Uhr
Franken-Clinch in Frankfurt: Auf den Sandhöfer Wiesen wurde 1920 in einem Endspiel-Derby Deutschlands Meister ermittelt.  

© dpa Franken-Clinch in Frankfurt: Auf den Sandhöfer Wiesen wurde 1920 in einem Endspiel-Derby Deutschlands Meister ermittelt.  

Am 13. Juni 1920 treffen sich die Stadtnachbarn auf dem Frankfurter Germania-Platz zum Endspiel um die Deutsche Meisterschaft. Vor der Rekordkulisse von 35.000 Zuschauern behält der Club die Oberhand. Und sichert sich durch ein 2:0 den ersten seiner bislang neun Meistertitel. Chapeau!

Der Vorlauf bereits ist titelverdächtig. Das Endspiel-Derby elektrisiert die Massen schon weit vor Anpfiff. Erstmals in der deutschen Fußball-Geschichte wird ein Sonderzug eingesetzt, um die Anhänger zur Finalstätte an den Sandhöfer Wiesen zu befördern. Tausende Fans, die keine Karte erhalten haben, drängeln sich vergeblich vor dem völlig überfüllten Stadion. In der Arena ist es vielen Ballsportfreunden nur auf findige Weise möglich, einen Blick aufs Spielfeld zu erhaschen. Die Menschen stellten sich auf Backsteine, Leitern und Omnibusdächer. Je nach Sichtvorteil sind diese zuvor teuer vermietet worden.

Zwei Konter schaffen Klarheit

Kurz nach 16 Uhr nimmt erst Schiri Peco Bauwens die Pfeife in den Mund, unmittelbar danach die Spielvereinigung das Heft in die Hand. Andreas Franz, der Ex-Nürnberger Loni Seiderer und der spätere Cluberer Hans Sutor starteten energisch und kombinationssicher in die Partie. Früh zwingt Fürths Paradesturm der reaktionsschnellen Torwart-Legende Heiner Stuhlfauth eine Parade ab. Eine knappe Viertelstunde ist absolviert, als Nürnbergs Boitl Popp die Kleeblättler bei einem Konter jedoch eiskalt abduscht: Über Willy Böß und Heiner Träg landet das Leder beim treffsicheren Halbstürmer. Dieser drischt es gewohnt zielgenau in die Maschen. Die Fürther zeigen sich nicht geschockt, finden aber kein Mittel, die von Hans Kalb bestens organisierte FCN-Abwehr auszuhebeln.

30.000 am Bahnhofsplatz

Auch nach Wiederanpfiff gefällt das Kleeblatt im Spiel nach vorne. Die Schlussviertelstunde beginnt. Und der Club erwischt Fürth bei einem flotten Konter abermals unsortiert in der Rückwärtsbewegung. Peter Szabo zündet auf der linken Außenbahn den Turbo. Von der Strafraumgrenze jagt der Ungar den Ball über die Torlinie, stellt damit das 2:0-Endergebnis und Nürnbergs ersten Meistertitel sicher. Zurück in der Noris werden Stuhlfauth & Co. am Bahnhofsplatz von 30.000 begeisterten Sympathisanten empfangen.

Die Kleeblatt-Freunde sind geknickt, lange hält die Trauer allerdings nicht lange. In den für Fußball-Franken “goldenen 20ern“ heimst die Spielvereinigung 1926 und 1929 die Meistertitel zwei und drei ein, bleibt dem Serientäter aus der Nachbarstadt (weitere Meisterschaften folgen 1921,1924,1925 und 1927) auf den Fersen.

Der Franken-Clasico, Deutschlands am häufigsten ausgetragenes Derby: Davor und danach ist er auch gleichermaßen eine Glaubensfrage. Nürnberg und Fürth sind zusammengewachsen, sie trennt das Ortsschild. Sie eint die gegenseitige Abneigung in Sachen Fußball, welche die Anhänger hegen und pflegen.

Das erste Duell ging im Herbst 1902 über die Bühne. Auf dem Schießanger, einem Teil des Fürther Wiesengrundes, spielte der 1. FC Nürnberg groß auf: Durch ein 15:0 rupfte der Club die Kleeblattstädter förmlich von der Spielwiese. Für den Januar des Folgejahres verabredete man sich erneut. Doch ein gewaltiger Schneesturm hatte beim Stand von 1:0 für Fürth einen Spielabbruch zur Folge. Beim baldigen Wiedersehen watschte der FCN den bis 1906 noch als TV 1860 firmierenden Lokalrivalen erneut ab, diesmal mit 11:0.

"Es war in Magdeburg im Monat Mai"

Das Kräfteverhältnis in der Fußball-Hochburg sollte sich jedoch alsbald ändern. Ab 1910 war der Ronhof die neue Spielstätte der Fürther, wie nun übrigens auch für kommenden 28 Jahre. Noch 1910 glückte dort durch ein 2:1 der erste Sieg gegen den Club. Im Mai 1914 feierte die Spielvereinigung in Magdeburg - noch vor dem Nachbarn - ihren ersten Meistertitel. Karl Franz markierte gegen den VfB Leipzig in der 154. Minute (!) den Siegtreffer.

Auch der Nationalelf drückten die fränkischen Vorzeigevereine ihren Stempel auf. Beim ersten Länderspiel gegen Italien 1923 posieren Georg Wunderlich, Leonhard Seiderer, Kapitän Heinrich Träg, Hans Lang, Andreas Franz, Italiens Renzo de Vecchi, Hans Sutor, Hans Hagen und Heiner Stuhlfauth.

Auch der Nationalelf drückten die fränkischen Vorzeigevereine ihren Stempel auf. Beim ersten Länderspiel gegen Italien 1923 posieren Georg Wunderlich, Leonhard Seiderer, Kapitän Heinrich Träg, Hans Lang, Andreas Franz, Italiens Renzo de Vecchi, Hans Sutor, Hans Hagen und Heiner Stuhlfauth. © dpa

Bei der Ehrung im Fürther Geismannsaal schmetterten die Schützlinge von Erfolgscoach William Townley das Lied: “Es war in Magdeburg im Monat Mai, die Spielvereinigung war auch dabei. Sie schlug die Leipziger mit 3:2, und bracht‘ die Meisterschaft nach Fürth herbei.“ Zehn Jahre später stellten zweimal nur Nürnberger und Fürther die Nationalmannschaft. Nach Amsterdam reisten diese 1924 zusammen, in getrennten Zugabteilen - und siegten trotz unüberbrückbarer Differenzen 1:0.

Wenig später sind die fetten Jahre für Deutschlands Fußball-Platzhirsche vorbei. Der Ruhm verblasst, die Partien bleiben Highlights: Irre Spielverläufe, skurrile Vorbereitungsmaßnahmen, Schmähungen und Derbyhelden. Die Faszination, die von der Begegnung der Stadtnachbarn ausgeht? Sie ist einmalig.

+++ Nüssing gegen Fürth: Als im Derby die Raketen flogen +++


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