Altmeister und Freunde: Wie der FCN einst Schalke inspirierte

22.11.2018, 06:00 Uhr
Den Club und Schalke verbindet nicht nur eine besondere Freundschaft - sondern auch große Duelle auf dem Platz.

© dpa Den Club und Schalke verbindet nicht nur eine besondere Freundschaft - sondern auch große Duelle auf dem Platz.

Dass Freundschaften auf dem Platz enden, gehört zu den ältesten Weisheiten aus der kleinen Lebensschule des Fußballs, der 1. FC Nürnberg erfuhr es bei seinen jüngsten beiden Abstiegen schmerzlich: Jeweils nach Niederlagen gegen den FC Schalke 04 war 2008 und 2014 das Unglück perfekt, aber an den 10. Mai 2014 hat Jürgen Bergmann trotzdem auch gute Erinnerungen.

Als 50.000 Schalker anfingen, den 1:4-Verlierer zu besingen, fühlte sich der Nürnberger Fan-Beauftragte auf besondere Weise getröstet. Weil die Kräfte des fränkischen Anhangs verbraucht waren, übernahm es die Schalker Liedertafel, den populären Gassenhauer von der baldigen Rückkehr des ewigen Fahrstuhlvereins ("Der FCN steigt wieder auf") zu intonieren, nicht nur Bergmann war gerührt – und vier Jahre lang half nun Königsblau mit beim Wiederaufstieg, bei Gastspielen im Zweitliga-Westen mischten sich immer hunderte Schalker in den Nürnberger Anhang.

Gemeinsam Rekordmeister

Anders als fast alle anderen Fan-Freundschaften hat diese die Zeit überdauert, seit etwa vierzig Jahren halten Schalker und Nürnberger zusammen, wie alles begann, lässt sich gar nicht mehr rekonstruieren. Es gibt verschiedene Versionen, Bergmann glaubt, dass man sich, an einem Fußball-Wochenende in der Bahn unterwegs, eher zufällig näherkam und irgendwie mochte – wie es eben ist mit Freundschaften, man kann sie, wie andere Gefühle auch, selten erklären.

Am Samstagabend sehen sie sich auf Schalke wieder, diesmal steht Nürnberg noch nicht unmittelbar vor dem Abstieg, beginnt aber zu ahnen, dass es wieder passieren könnte – und trifft auf Schalker, die ob ihrer eigenen Malaise nichts zu verschenken haben, der Vorjahres-Zweite verpatzte den Saisonstart gewaltig.

Leiden verbindet – vielleicht steckt auch das hinter dieser Zuneigung, denn die besondere Beziehung ist noch viel älter als die Fan-Freundschaft. Nürnberg und Schalke stehen für das Früh- und Hochmittelalter des deutschen Fußballs, der größten Ära des einen folgte die größte des anderen, beide Vereine teilten sich für einige Jahre sogar den Ehrenrang des Rekordmeisters: Mit seiner sechsten deutschen Meisterschaft im Jahr 1942 holte der FC Schalke 04 die Nürnberger ein, die mit fünf Titeln in den zwanziger Jahren den Grundstein ihrer Legende gelegt hatten.

Es gehört zu den weitgehend vergessenen Kapiteln der Fußball-Geschichte, dass ein Nürnberger Meisterspieler am Anfang der ersten Schalker Blütezeit stand – weil sie von den Grauen des Nazi-Terrors überschattet ist und weil sich dieser Hans Schmidt, Frontsoldat im Ersten Weltkrieg und 1937 in die NSDAP eingetreten, vom Regime willfährig instrumentalisieren ließ, auch wenn er offenbar kein innig überzeugter Nazi war.

Schmidt, geboren 1893 in Fürth und besser bekannt unter seinem Spitznamen "Bumbes", wird als gewiefter Stratege und zäher Facharbeiter beschrieben, der im Umgang gleichermaßen derb wie herzlich sein konnte. Seine Anweisungen ließen es an Akkuratesse nicht fehlen: "So, ihr Arschlöcher, geht rein und gewinnt", der Satz ist überliefert, aber seine Fußballer berichteten auch vom familiären Klima, das der ehemalige Nationalspieler auf Schalke gepflegt habe.

Als Außenläufer hatte Schmidt mit der Spielvereinigung Fürth die deutsche Meisterschaft 1914 gewonnen und mit dem 1. FC Nürnberg die Titel 1924, 1925 und 1927. Sein bewunderter Lehrmeister war William Townley, ein englischer Berufstrainer, der in Fürth als eine Art deutscher Fußball-Missionar für das von der Insel importierte Spiel wirkte. Der Fürther Flachpass war bald ein geflügelter Begriff, aus dem wilden Bolzen wurde unter Anleitung britischer Fachmänner ein geordnetes Spiel, und was er von Townley im Ronhof gelernt hatte, brachte Schmidt ab 1933 als Trainer von Schalke 04 einer hoch talentierten Generation um Ernst Kuzorra und Fritz Szepan bei. Der Zufall wollte es, dass Schalke und Nürnberg im Endspiel um die Meisterschaft 1934 aufeinandertrafen, der Club führte im völlig überfüllten Berliner Poststadion bis kurz vor Schluss mit 1:0, ehe zwei späte Tore von Szepan und Kuzorra das Spiel auf den Kopf stellten.

Vom Flachpass zum Kreisel

"Schalke 04 könnte nach dem 1. FC Nürnberg der zweite Verein sein, die eine fußballerische Ära prägt", notierte die Gelsenkirchener Allgemeine Zeitung nach dem ersten Titel für die Knappen – und sollte Recht behalten; Schmidt führte Schalke zu den Meisterschaften 1935 und, wieder im Finale gegen Nürnberg, 1937. Das sogenannte "Kreiselspiel", die Weiterentwicklung des Fürther Flachpasses, avancierte zum bewunderten Stilmittel einer Zeit, in der gerade der Arbeiterverein aus dem Ruhrgebiet perfekt in die Nazi-Ideologie passte, zumal Trainer Schmidt nie vergaß, vom Wert der Disziplin zu predigen.

"Wir wollten Fußball spielen und sonst nichts", erklärte der Bergarbeiter-Sohn Kuzorra viel später; dabei vereinnahmt zu werden, habe er öfter erleben müssen. Kuzorra und Szepan – die die Superstars ihrer Zeit gewesen wären, hätte es schon solche gegeben – stammten aus Familien, die aus den ehemaligen polnischen Provinzen Preußens ins Ruhrgebiet gekommen waren. Die als "Polacken" geschmähten Einwanderer hatten Schalke den Schimpfnamen "Polackenverein" beschert, nach dem Endspielsieg 1934 über Nürnberg hieß es in der polnischen Sportzeitung Przeglad Sportowy: "Die deutsche Meisterschaft in den Händen von Polen! Triumph der Fußballer von Schalke 04, der Elf unserer polnischen Landsleute."

 

Von den neuen Machthabern ließen sie sich bereitwillig zu Masuren und damit zu "Ariern" erklären. Auch Szepan und Kuzorra traten 1937 in die NSDAP ein, Szepan übernahm 1938 das Kaufhaus einer erst enteigneten, dann ermordeten jüdischen Familie. Die braunen Schergen gesellten sich gern zu den Fußballern, die ließen es zum eigenen Vorteil gern geschehen – und flüchteten sich in Verdrängung.

Die Schönheit ihres Spiels entfaltete sich in Zeiten des furchtbarsten Terrors. Der beliebte jüdische Metzgermeister Leo Sauer, ein Mentor Kuzorras und großer Gönner seines Vereins, der zum Endspiel 1934 gegen Nürnberg mit einem in den Vereinsfarben Blau und Weiß angestrichenen Glücksschwein für Unterhaltung gesorgt hatte, starb 1944 im Konzentrationslager Stutthof. Heute sind viele Schicksale belegt, aber bis zur Aufarbeitung sollte es fast fünfzig Jahre dauern. Die Ergebnisse historischer Untersuchungen sind so banal wie erschütternd. Der Verfolgung und Ermordung von jüdischen Mitgliedern und Gönnern setzte der Verein – wie nahezu alle anderen Klubs – keinen Widerstand entgegen, der Inszenierung der Arbeiterbiografien seiner Fußballer für das NSIdeal einer Volksgemeinschaft genausowenig. Im Gegenteil, auf jeden Wink hin war die "Arbeiterelf" dem Regime zu Diensten.

Die ewigen Altmeister

Der 1971 in seiner Heimatstadt Fürth gestorbene Hans Schmidt – er erstickte in Folge eines Gas-Unfalls in der eigenen Küche – hat sich nie zu dieser Zeit geäußert. 1941 als Trainer zum 1. FC Nürnberg zurückgekehrt, entdeckte er dort zwar den später zum Jahrhundertspieler seines Vereins avancierten Max Morlock, musste aber nach Kriegsende auf Geheiß der US-Militärregierung seinen Dienst quittieren (und gewann 1949 mit dem krassen Außenseiter VfR Mannheim seinen vierten deutschen Meistertitel als Trainer).

Mit Max Morlock, bei seinem Debüt 1942 erst 16 Jahre alt, gewann der 1. FC Nürnberg die Meisterschaften 1948 und 1961, aber an ihre größte Ära konnten weder Nürnberger noch Schalker je wieder anknüpfen. In Franken feierte man in diesem Sommer das Fünfzig-Jahr-Jubiläum der bisher letzten deutschen Meisterschaft, auf Schalke wartet man schon zehn Jahre länger, seit 1958. Altmeister: Der Terminus ist erst darüber entstanden.

Die vereinigten Fan-Scharen haben sich inzwischen auch der Geschichte ihrer Vereine angenommen, in Nürnberg setzten die Ultras ein viel beachtetes Zeichen, als sie an den vor dem NS-Terror geflüchteten jüdischen Club-Trainer Jenö Conrad erinnerten, ein Banner mit seinem Konterfei überzog die ganze Nordkurve im Stadion. Auf Schalke lud das Fanprojekt des Vereins zur Ausstellung "Tatort Stadion" in den Saal der jüdischen Gemeinde; "eng verbunden", sagte die Gemeinde-Sprecherin Judith Neuwald-Tasbach, fühle man sich dem Fußball. "Wie kann Sport gegen Diskriminierung wirken?", lautete eine der Fragen auf einer Podiumsdiskussion in der Gelsenkirchener Synagoge.

Man kann manchmal vielleicht wirklich etwas lernen in der bescheidenen kleinen Lebensschule des Fußballs. Zum Beispiel, wie schön und wertvoll es sein kann, sich näher kennenzulernen.

Verwandte Themen


9 Kommentare