Club: Charakterstark auf den letzten Metern

30.4.2012, 06:57 Uhr
Club: Charakterstark auf den letzten Metern

© Zink

Im Fußball kann es manchmal ganz schön schnell gehen. Also musste die Frage natürlich kommen und ließ auch nicht lange auf sich warten. Noch auf dem Platz sollte Dieter Hecking vor laufenden Kameras am besten sagen, dass der 1. FC Nürnberg jetzt reif sei fürs internationale Geschäft. In zwei Wochen vom Abstiegs- zum Europa-League-Kandidaten, Respekt, Der Trainer sah dabei aus, als hätte er zuvor mitgespielt beim 3:2 (1:1)-Erfolg, dem ersten überhaupt gegen Hoffenheim. Hochroter Kopf, das Polohemd durchgeschwitzt.

Hecking lächelte etwas verlegen – denn er wusste bereits, dass es theoretisch noch geschehen könnte am letzten Spieltag. Drei Punkte und drei Tore müsste sein Club (gegen Leverkusen) auf Hannover (erwartet Kaiserslautern) gutmachen, worauf man nicht Haus und Hof verwetten sollte. Viel wichtiger schien Hecking das Gefühl, mal wieder darin bestätigt worden zu sein, erhört zu werden. Die Mannschaft, lobte Hecking also, habe „zum wiederholten Mal ihren hervorragenden Charakter gezeigt“. Indem sie sich nicht hängen ließ, sondern unbedingt gewinnen wollte. Auch bei über 30 Grad im Schatten.

„Brutal“ sei es gewesen, berichtete Raphael Schäfer, der überragende Torwart, „wirklich schwer“ – auch für mögliche Laien im Stadion. Wer sich vielleicht nicht so gut auskennt im Fußball und speziell mit der TSG Hoffenheim, wird am Samstagnachmittag vielleicht einiges nicht ganz verstanden haben. Etwa, warum Tom Starke von seinem Anhang unentwegt gefeiert wurde, obwohl er doch eigentlich ein Sicherheitsrisiko war für seine Elf. Vor dem 0:1 (Pekhart, 9.) sah er schlecht aus, vor dem 1:2 (Didavi, 45.) nicht gut und vor dem 1:3 (Pekhart, 71.) wieder schlecht. Eine katastrophale Leistung des Schlussmanns, der wahrscheinlich Tim Wiese weichen muss. Spätestens seit vorgestern weiß man, warum.

Auch deswegen geriet die Pressekonferenz zu einer Art Hoffenheimer Krisengipfel, in deren Verlauf ein Journalist sogar darüber spekulierte, ob zum 1. Juli vielleicht der Trainer des 1. FC Nürnberg übernehmen könnte. Der wurde schon wieder rot („Habe Vertrag“) und konnte wohl oben auf dem Podium nicht ganz glauben, wie wichtig man sich nach wie vor nimmt beim Dorfverein. Für die Champions League wollen sie sich nächste Saison qualifizieren. Man höre und staune.

Fünf Spiele, elf Punkte

Wohin Größenwahn führen kann, wissen sie unter anderem beim Club nur zu gut. Spitzenreiter der unteren Tabellenhälfte zu sein, ist somit bereits eine sehr schöne Momentaufnahme, ebenso wie ihre kleine Erfolgsserie. Fünf Partien in Folge haben die Nürnberger ohne Niederlage überstanden und dabei elf Punkte geholt, insgesamt schon 42, viel mehr konnte man wirklich nicht erwarten. Allein der Umstand, dass sich der 1. FC Nürnberg rechnerisch noch für die Europa-League-Qualifikation qualifizieren könnte, sollte als Würdigung für eine wiederum großartige Runde reichen.



Intensiv damit beschäftigen will man sich nicht. Sondern bloß genießen, was noch passiert. Am Samstag kam den Gästen zudem entgegen, dass Hoffenheim in badischer Hitze früh einem Rückstand hinterherlaufen musste, der spätestens nach Pekharts zweitem Treffer zu groß war für vereinzelt etwas lustlos wirkende Kraichgauer. Weil sich ihre Chancenverwertung den übrigen Leistungsdaten anpasste (Beck traf zum zwischenzeitlichen 1:1, 22.), hatte der Club, angetrieben vom unermüdlichen Hanno Balitsch, nach der Pause verhältnismäßig leichtes Spiel.

Doch der Eindruck täuschte gewaltig. „Es war schwer, die letzten Meter zu gehen“, sagte ausgerechnet der nicht für seine Lauffreude berühmte Torwart Schäfer, aber sie gingen sie trotzdem, Pekhart sogar mit starken Kopfschmerzen seit einer heftigen Kollision mit Jannik Vestergaard. Dass Hoffenheims überwiegend antriebsloser Vizeweltmeister Ryan Guno Babel bis zur 87. Minute durchhielt, dürfte viele in der Arena dann aber doch überrascht haben, für ihn kam Vizeweltmeister Edson Braafheid (dem wenig später sogar noch das 2:3 glücken sollte, 88.).

Zu wenig für die TSG und ihre internationalen Ambitionen, welche nun plötzlich Nürnberg angedichtet werden. „Europa League möglich“ stellte gestern die Deutsche Presse-Agentur fest, was Hecking wohl geahnt hatte. Und sogar irgendwie daran zu glauben schien, wenigstens ein bisschen. „Mal schauen, was der Fußballgott noch mit uns vorhat“, sagte Hecking und merkte bei dieser Gelegenheit gleich noch an, dass es sein Club an einem letzten Spieltag schon mal von Platz zwölf auf 16 geschafft hat. „Vielleicht“, orakelte Hecking, „passiert ja etwas Ähnliches.“

Nur müsste es diesmal eben nach oben gehen, von zehn auf sieben. Letztlich nicht mehr als eine hübsche Zahlenspielerei, um noch etwas Spannung zu erzeugen, probieren wollen sie das praktisch Unmögliche aber dennoch. Und wenn es nicht klappen sollte, wovon alle ausgehen, wäre es „auch kein Beinbruch“, wie Didavi trefflich anmerkte; sein Chef erinnerte wenig später noch an die zweite April-Woche, „da haben wir noch mit Küttel in der Hose gespielt“. Wo Hecking herkommt, spricht man so. Allerdings nicht vor laufenden Kameras.

Hoffenheim: Starke; Beck, Vestergaard, Compper, Johnson – Rudy, Salihovic – Vukcevic, Musona (69. Mlapa), Babel (87. Braafheid) – Schipplock (77. Lakic).

Nürnberg: Schäfer; Feulner, Nilsson, Wollscheid, Pinola – Simons – Chandler, Didavi (75. Wießmeier), Balitsch, Mak (25. Bunjaku) – Pekhart (83. Hegeler).

Schiedsrichter: Kircher (Rottenburg). – Zuschauer: 30150 (ausverkauft). – Tore: 0:1 Pekhart (9.), 1:1 Beck (22.), 1:2 Didavi (45.), 1:3 Pekhart (71.), 2:3 Braafheid (88.). – Gelbe Karten: Beck (13) – Chandler (5).

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