Das einsame Rennen des Seniors

15.7.2013, 11:57 Uhr
Das einsame Rennen des Seniors

© Mark Johnston

77 ist Einsiedel, die meisten seiner Altersgenossen lassen es ruhiger angehen. Und so duellierte er sich in Roth in seiner Altersklasse, der AK 75, auch nur mit einem einzigen Gegner: Hans Brinkmann, aus Erwitte und zwei Jahre jünger, stellte sich dem bald dreifachen Urgroßvater aus Wendelstein zum sportlichen Vergleich.

Warum, die Frage liegt auf der Hand, tut sich Einsiedel die Tortur Triathlon auf der Langdistanz überhaupt noch an? „Wenn ich mich zu keinem Wettkampf anmelde, dann mache ich nichts“, erklärte Einsiedel ganz einfach. „Wenn ich mich aber anmelde, muss ich was machen. Dann bin ich moralisch praktisch verpflichtet.“ Er zwingt sich zur Bewegung, das Sprichwort „Wer rastet, der rostet“ klingt wie gemalt für Einsiedel.

Sein Vater war 1928 bei den Olympischen Spielen in Amsterdam auf dem Rennrad dabei, er selbst begann mit ungefähr 13 Jahren damit, an Radrennen teilzunehmen. Nach dem Zweiten Weltkrieg fuhr der im Ostteil des Landes aufgewachsene Einsiedel für Einheit Bad Langensalza und gehörte zur DDR-Kernmannschaft, also der nationalen Auswahl.

Irgendwann zwischen 1950 und 1952 gab es dort aber Knatsch wegen Westmaterials für sein Fahrrad, das aus Italien gekommen war. Den Genossen gefiel das gar nicht. Nach einigem Hickhack bekam Einsiedel sein Material zwar wieder, trat aber trotzdem aus der Mannschaft aus.

Einsiedel wechselte zum Radball, hörte später komplett mit dem Leistungssport auf. „Bis zum Alter von 40 habe ich sportlich nichts gemacht“, erzählte er. Ohne Bewegung kam er aber ab 1972 nicht mehr aus und begann mit dem Laufen. Seinen ersten Triathlon absolvierte der Senior des Rother Feldes 1983 in Bad Arolsen. Es folgten so viele, dass er die genaue Anzahl gar nicht mehr genau weiß. „Ich glaube, es sind so um die 220“, rechnete er geschwind zusammen. Bei so einer stolzen Zahl kommt es auf einen mehr oder weniger nicht mehr an. Im Laufe der Jahre änderte sich freilich seine Vorgehensweise. „Früher war ich doppelt so schnell“, beschrieb er den Wandel, „heute ist das Einzige, was gut bei mir ist, die Ausdauer.“

Mit zwei Startern war das Teilnehmerfeld in seiner Altersklasse leicht zu überblicken. Einsiedel wusste auf der Strecke genau, wo er gerade stand. „Wenn ich aus dem Wasser komme, und das Fahrrad von Hans Brinkmann steht noch da, weiß ich, dass ich vorne liege“, scherzte Einsiedel vorher. Brinkmanns Fahrrad stand dort, und dort blieb es auch. Einsiedel lief ein einsames Rennen, denn sein einziger Konkurrent stieg unmittelbar nach dem Schwimmen um kurz nach 9Uhr aus. Erster werden fand Einsiedel aber nicht entscheidend: „Wichtig ist, dass ich durchkomme.“ Ohne Trainer, ohne Betreuer, ganz auf sich gestellt, ließ er sich von einem seiner Söhne am Athletenbereich absetzen – und nach seinem Zieleinlauf einsammeln.

Eine dreistellige Zahl an Triathlon-Teilnahmen und vier Starts beim Ironman auf Hawaii schützen aber nicht vor Nervosität. Wie die Rennpferde warteten die Sportler an der Hilpoltsteiner Kanallände auf den Startschuss zu der körperlichen Schinderei. Ist das Fahrrad in Topzustand? Bin ich es auch? So geisterte es durch die Köpfe. Einsiedel bildete da keine Ausnahme, blickte aber positiv auf das, was ihn erwartete: „Ich fühle mich gut. Es ist vor dem Start alles okay und gut gelaufen.“ Dabei blieb es bis zum Schluss. Kurz nach 20.30Uhr überquerte er die Ziellinie.

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