Den Torhüterinnen fehlt die Übersicht

30.6.2011, 18:42 Uhr
Den Torhüterinnen fehlt die Übersicht

© Stephanie Händel

Wenn Hubert Müller an seine Trainerstation beim TSV Crailsheim zurückdenkt, fällt ihm zunächst das allererste Training ein. Gerade mal fünf Spielerinnen hatten den neuen Coach damals auf dem Trainingsgelände erwartet, „und mehr wurden das an diesem Tag auch nicht“, erzählt der Fußballlehrer und ergänzt nachdenklich: „Ich glaube, ich bin damals ein bisschen naiv an die Sache rangegangen.“

Die Crailsheimerinnen hatten gerade den Bundesliga-Klassenerhalt mit Ach und Krach geschafft, ein Großteil der Mannschaft hatte den Verein verlassen. Der neue Coach musste aus zahlreichen jungen und unerfahrenen Jugendspielerinnen ein komplett neues Team formen. Die Spielzeit endete mit dem Abstieg, Müller verließ den Verein wieder; trotzdem erinnert sich der heute 58-Jährige gerne an das „Abenteuer“, wie er seine Zeit als Frauenfußballtrainer nennt. „Ich habe mich auf jedes Training gefreut, weil die Mannschaft so wissbegierig und lernwillig war“, erzählt er.

Der gebürtige Ansbacher mit einer Bundesliga-Trainerlizenz kennt sich aus im Fußballgeschäft. Zwischen 1983 und 1987 war Müller Trainer bei den Club-Amateuren, danach folgten Stationen in Ansbach, Vestenbergsgreuth, Augsburg und bei der Club-Jugend. Als 2008 das Angebot aus Crailsheim kam, musste Müller nicht lange überlegen. „Ich war dem Frauenfußball schon immer recht offen gegenübergestanden, fand, dass der Sport viel zu geringschätzig behandelt wird“, sagt er.

Sein Training musste Müller im Vergleich zum Männerbereich an einigen Punkten etwas umstellen: Er legte den Fokus mehr auf Athletiktraining, um die muskuläre Ausdauer zu stärken, übte außerdem viel Koordination und Taktik mit den Spielerinnen. Der Umgang miteinander sei respektvoller gewesen: „Ich habe mich nicht so flapsig ausgedrückt, wie ich das vielleicht bei einer Männermannschaft tun würde“, meint Müller. Außerdem habe er teilweise mehr erklären müssen als bei Männermannschaften. Der entscheidende Unterschied lag für ihn allerdings im Entwicklungspotenzial, das er bei den Frauen beobachtete. „Die Spielerinnen sind trotz teils hoher Niederlagen mit einer riesigen Beharrlichkeit drangeblieben, um sich zu verbessern, das war der Wahnsinn“, schwärmt Müller. Von so einer Moral, auch was lange Anfahrtswege anbelange, könnte sich manch männlicher Fußballer eine dicke Scheibe abschneiden, sagt er.

Beim spielerischen Können sieht er den Frauenfußball auf einem guten Weg. „Man sieht das jetzt auch wieder bei der WM, dass der Sport doch schon viel schneller geworden ist als noch vor zwei Jahren.“

Größtes Manko vieler Frauenteams sei allerdings die Position des Torwarts. „Da passieren leider immer wieder gravierende Fehler“, hat er beobachtet. „Ich denke, das Hauptproblem der Torhüterinnen liegt darin, dass ihnen die nötige Spielübersicht fehlt, sie nicht wirklich mitspielen können.“

Die derzeit einzige Ausnahme weltweit stellt für Müller – er hat gemeinsam mit Andy Köpke zwei Torwartvideos produziert – die deutsche Keeperin Nadine Angerer dar. „Wenn sie durchhält, nicht verletzungsbedingt ausfällt“, glaubt der Fußballlehrer, „dann ist der WM-Titel für das deutsche Team durchaus realistisch.“

Für Hubert Müller war nach dem Intermezzo in Crailsheim erst einmal eine Pause als Fußballehrer angesagt. Er konzentriert sich derzeit hauptsächlich auf seine Aufgabe als Ansbacher Stadtrat und seine Arbeit als Inhaber eines großen Schreibwarengeschäfts. Außerdem hält er regelmäßig medizinische Fortbildungen für Übungsleiter ab. Ausschließen mag er jedoch nicht, dass es ihn irgendwann doch noch mal auf die Trainerbank zurückzieht.

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