Doping im Fußball: "Mafiöse Methoden von mafiösen Systemen"

27.8.2013, 07:02 Uhr
Man muss sich nur mal die Liste der fast 300 weltweit Gesperrten in der Leichtathletik anschauen, dann weiß man, was los ist.

© dpa Man muss sich nur mal die Liste der fast 300 weltweit Gesperrten in der Leichtathletik anschauen, dann weiß man, was los ist.

NZ: Herr Professor Sörgel, hat es Sie überrascht, dass bei der Leichtathletik-WM kein Sportler des Dopings überführt wurde?

Fritz Sörgel: Die Freude darüber in der Leichtathletik währte nicht mal eine Woche. Die Veröffentlichung einer Studie in der „New York Times“ lieferte Ende letzter Woche denn auch eine mögliche Erklärung für die „dopingfreie WM“ in Moskau: bei der vorletzten WM 2011 in Daegu / Südkorea gaben in einer anonymen Befragung 29 Prozent der Athleten zu, in der Vorbereitung gedopt zu haben. Vor den Panarabischen Spielen in Doha/Katar im gleichen Jahr sollen es sogar 45 Prozent gewesen sein. Wenn man dann noch bedenkt, dass nur zwei Prozent der Dopingtests in der Leichtathletik positiv sind, sagt das alles. Die gedopten Sportler wurden diesmal noch besser vor der WM ausgesiebt. Ergebnis: keine Dopingfälle – Mission erfüllt.

NZ: Wenige Wochen vor der WM gab es aber einen richtigen Sturm.

Sörgel: Einige absolute Spitzenathleten und Medaillenanwärter – Tyson Gay, als echter Konkurrent von Usain Bolt über 100 Meter, Asafa Powell aus Jamaika und zwei Damen im Quartett mit den Jamaikanerinnen Sherone Simpson Veronica Campbell-Brown – wurden erst kurz vor der WM gewissermaßen vor unseren Augen aus dem Verkehr gezogen. Man muss sich nur mal die Liste der fast 300 weltweit Gesperrten in der Leichtathletik anschauen, dann weiß man, was los ist. Der Rest der Athleten weiß, wie sie positive Dopingtests vermeiden können, oder hat einfach Glück, im richtigen Moment für sie die Tester an der Haustüre ohne Sorgen empfangen zu können. Wettkampf-Dopingtests während einer WM oder Olympischer Spiele darf man natürlich nicht überbewerten. Nur die ganz Dummen dopen nahe am Wettkampf oder gar Wettkampf selbst!

NZ: Sprechen die Ergebnisse von Moskau aber nicht dafür, dass die Leichtathletik sauberer ist, auch die Tatsache, dass es keinen Weltrekord gab?

Sörgel: Ja, das stimmt schon. Das ist außergewöhnlich, Und hier sind halt die Widersprüche zwischen den Ergebnissen von Moskau und den anonymen Befragungen. Fairerweise muss man sagen, dass die Studie aus der „New York Times“ nicht unumstritten ist. Im Dopingbereich wird leider oft auf das Spektakuläre mehr Wert gelegt als Seriosität. Das betrifft sowohl die Wissenschaftler selbst als auch die Medien. Insgesamt könnte aber zumindest in manchen Ländern, dazu zählt Deutschland, ein Umdenken stattgefunden haben – ich habe die Hoffnung noch nicht aufgeben.

NZ: Haben Sie bei einem Überflieger wie Usain Bolt grundsätzlich einen Verdacht? Sie haben sich ja kürzlich sehr moderat über ihn geäußert, Kollegen sind da wesentlich skeptischer...

Sörgel: Wieso soll ich verdächtigen, wenn ich schlichtweg gar nichts in der Hand habe, außer dass Jamaika den Anti-Dopingkampf nicht ernst nimmt? Bolt ist ein Stammtischthema, das mich nervt. Jeder gibt seinen Senf dazu. Ich halte es ja auch für gut möglich, dass eines Tages ein Anruf kommt: Bolt ist positiv getestet – und jetzt? Andererseits muss man auch sagen, dass sich sehr viele Wissenschaftler mit ihm beschäftigt haben, und die bringen Erklärungen für seine Leistungen. Anerkannte Sportphysiologen haben anhand seines Körperbaues wissenschaftlich errechnet, dass er die 100 Meter bei zulässigen zwei Meter Rückenwind in 9,46 Sekunden laufen könnte. Solche Erklärungen kann man nicht einfach wegwischen und sagen: Bolt dopt. Ich habe darauf hingewiesen, dass sich seine Muskelpartien am Oberkörper schon von einem Ben Johnson – der übrigens ebenfalls aus Jamaika stammt – und anderen Dopern unterscheiden. Gefordert sind die Wada, der Internationaler Leichtathletikverband IAAF und das IOC, die Bolt einem Sonder-Testprogramm unterwerfen und ihn unter besondere Beobachtung stellen müssen. Aber will die IAAF das wirklich, will man sein bestes Zugpferd eventuell dem Dopingkampf opfern? Warten wir ab, wie die Geschichte weitergeht.

NZ: Sie haben das erst Anfang August erschienene neueste Buch von David Epstein schon gelesen, wo eine weitere These diskutiert wird, die „Warrior-Slave-Theory“ (Krieger-Sklaven-Theorie, Anm.d.Red.)...

Sörgel: Man will ja irgendwie erklären, wie ein so kleines Land wie Jamaica innerhalb weniger Jahre so viele Top-Sportler „produzieren“ kann. Kurz gefasst wurde die These aufgestellt, dass die Sklavenhändler in früheren Jahrhunderten besonders widerstandsfähige Westafrikaner aussuchten, die dann auch die mörderische Schiffsreise nach Amerika überlebten. Die allerbesten von ihnen waren dann so widerstandsfähig, dass sie in Jamaika sogar der Sklaverei entkommen konnten und als erfolgreiche Krieger in einem entlegenen Gebiet in Jamaika lebten. Ein „Warrior-Slave“-Stamm sozusagen. Und jetzt laufen die Nachfahren der Krieger halt besonders schnell auf Tartanbahnen. Tolle Story, die Darwin’sche Lehre von der Auslese der Besten erfährt eine weitere Bestätigung durch den Hochleistungssport. Eine abenteuerliche These, die inzwischen durch die moderne genetische Wissenschaft widerlegt wurde. Der „Warrior-Slave“- Stamm unterschied sich nämlich genetisch und anderweitig in Nichts von den anderen Bewohnern Jamaikas. Herrlich, diese Geschichte!

NZ: Das IOC drohte gerade dem jamaikanischen Verband sogar, ihn von den Olympischen Spielen ausschließen zu wollen, wenn man nicht ernsthafter auf Doping testet.

Sörgel: Die Doping-Testung in Jamaika ist in der Tat den Namen nicht wert. Aber in Jamaika experimentiert man scheinbar gerne mit seltenen Dopingmitteln. Innerhalb von zwei Wochen wurden drei jamaikanische Topathleten positiv auf Dopingmittel getestet. Das regt schon gar niemanden mehr auf. Andererseits frägt man sich, warum eine mögliche Aufdeckung nicht von der Wada selbst stärker verfolgt wird, auch wenn es viel Geld kostet, den cleveren Kriegern hinterherzureisen. Epsteins Buch kann das Phänomen Jamaika jedenfalls auch nicht befriedigend erklären.

NZ: Kann man sagen, dass das Verhältnis zwischen Sportlern und Forschern immer dem Hase- und Igel-Spiel gleicht? Hat Bolt womöglich irgendetwas gefunden, wonach noch gar nicht gesucht wird?

Sörgel: Da ist immer der Eindruck, der durch die Krimis entsteht, dass man eine Probe von etwas nimmt, dann geht eine Laborantin an ein kompliziertes Gerät, und hinten kommt dann ziemlich schnell ein Zettel raus, wo drauf steht, was sich in der Probe befunden hat. So läuft es aber nicht. Man muss in der Analytik immer wissen, wonach man sucht. Marion Jones war ja auch lange Zeit unbelastet, und es kam relativ spät heraus bei ihr, womit sie gedopt hat. Hätte da nicht ein Masseur eine Ampulle ins Dopinglabor nach Los Angeles gebracht, hätte man das Mittel THG vermutlich bis heute nicht gefunden. Die Schulmediziner haben auch lange nicht geglaubt, dass man mit einer Mikrodosierung von Epo so viel erreichen kann: Leistungssteigerung und fast unmöglichen Nachweis – ideal für Doper.

NZ: Das Hase-Igel-Spiel von Dopingjägern und Dopern geht also weiter?

Sörgel (schmunzelnd): Das geht weiter. Wir in den Instituten geben jedenfalls nicht auf. Die Gegenseite allerdings auch nicht.

NZ: Im Moment wird in Deutschland wieder heftig darüber diskutiert, ob ein Anti-Doping-Gesetz nötig ist...

Sörgel: Es wird wieder keines kommen. Natürlich haben jetzt vor der Wahl einige wieder ein bisschen Lärm gemacht, weil es im Juli und August an Wahlkampfthemen fehlte. Da ist dann auch noch Platz in den Medien. Der DOSB wird wieder seine bewährten juristischen Einsatztruppen an die Front schicken, und die werden den Politikern schon klarmachen, warum ein Anti-Dopinggesetz nicht geht – in Deutschland. In anderen Ländern sehr wohl. Und das stört zunehmend mehr Menschen, Moral sollte die Rechtsprechung im Dopingbereich entscheidend mitbestimmen, nicht rechtstheoretische ワberlegungen. Sonst werden wir im Sport und insbesondere beim Nachwuchs bald ein böses Erwachen erleben!

NZ: Aber wäre es nicht zwingend notwendig, um dem Thema Doping ganzheitlich beizukommen? Muss der Gesetzgeber nicht wesentlich mehr Druck aufbauen?

Sörgel: Das ist schon richtig. Nur sagen die Juristen eben, sie brauchen den berühmten Anfangstatbestand. Das Hauptproblem ist nach wie vor, dass jeder Sportler nach jetzigem Stand eben das Recht hat, sich zu dopen. Er darf nur nicht mehr als die zugelassene Höchstmenge besitzen – die hätte man schon längst auf Null setzen müssen. Es gibt ja überhaupt keinen Grund, warum ein gesunder Athlet mit einer Epo-Ampulle oder irgendeinem anderen vergleichbaren Medikament herumlaufen sollte. Wenn er es vom Arzt verschrieben bekommt, dann hat er ja ein Rezept, und kann von der Nada relativ leicht eine Ausnahmeregelung erwirken. Man hätte das bei der Änderung des Arzneimittelgesetzes vor einigen Jahren von vornherein auf Null setzen sollen.

Doping im Fußball:

© Sportfoto Zink

NZ: Was ist denn das Hauptargument der Juristen?

Sörgel: Ich habe bei einer Tagung der Schwerpunktstaatsanwaltschaften Drogen/Doping anlässlich meiner Vorträge dort natürlich mit den Staatsanwälten intensiv diskutiert. Die erwischen derzeit nur die Bodybuilder und ihre kriminelle Unterwelt. Ein hartes Gesetz für den Sport wird an dem grundgesetzlich verbrieften Recht auf Selbstschädigung scheitern. Drogen und Dopingmittel darf man konsumieren, nur nicht besitzen oder damit handeln. Meine persönliche Meinung ist allerdings, dass das Recht auf Selbstschädigung einer Überprüfung bedarf, zahlt doch die Gemeinschaft für die gesundheitlichen Schäden, die dadurch entstehen. Vor dem Hintergrund, dass Krankenkassen unverschuldeten Schwerkranken zunehmend eine Behandlung nicht bezahlen wollen, wird so ein Grundrecht irgendwann mal zum Zynismus.

NZ: Warum stellt sich der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) als oberste Sportinstanz so vehement dagegen?

Sörgel: Das muss man schon auch am DOSB-Präsidenten Thomas Bach festmachen. Wenn der jetzt nicht mit scharfen Stellungnahmen gegen das Antidoping-Gesetz zum IOC-Wahlkongress fährt, verschlechtern sich seine Chancen, die Stimmen der Länder zu bekommen, die kein echtes Interesse an einem Anti-Dopingkonzept haben und in denen es immer wieder positive Tests gibt, in denen massiv gedopt wird.

NZ: DOSB-Ehrenpräsident Manfred von Richthofen vertrat einst dieselbe Position wie Bach, hält inzwischen das Gegenteil für richtig ...

Sörgel: Das ist wie bei jedem Politiker oder Funktionär – wenn man nicht mehr im Amt ist, kann man die Wahrheit sagen.

NZ: Andererseits sagt der amtierende IOC-Präsident Jacques Rogge mit Blick auf seinen Nachfolger, dass der Kampf gegen Doping ganz wichtig sein wird...

Sörgel: Das ist scheinheilig und Heuchelei.

NZ: Lassen Sie uns über den Fußball reden – auf der französischen Liste sind keine Fußballer aufgetaucht. Aber nicht, weil sie nicht getestet worden sind, sondern weil die UEFA angeordnet hat, dass die Proben vernichtet werden. Wie schätzen Sie diese Sonderstellung des Fußballs ein?

Sörgel: Die Vernichtung von Proben sind mafiöse Methoden von mafiösen Systemen. Wie groß ist der Aufschrei, wenn so was im Radsport passiert? Armstrongs Proben hat man mehrere Jahre aufgehoben, und das war gut so.

NZ: Macht Doping im Fußball keinen Sinn, oder will man die heilige Kuh Fußball nicht anpacken?

Sörgel: Es gibt für jede Art von Hochleistungssport, bis hin zum Schach, Arzneimittel, mit denen man versuchen kann, seine Leistung zu steigern. Das gilt für den Fußball genauso. Als es um die Frage Blutdoping ging, hat der DFB-Arzt Tim Meyer, der eine Professur für Sport- und Präventivmedizin an der Universität des Saarlandes hat, gesagt, dass kein Fußballer Blutdoping mache, Anabolika seien da doch sehr viel geeigneter. Natürlich bringt aber auch Blutdoping etwas. Ein Supertechniker, der keine Kondition hat, nützt nicht viel, weil er nach 30 Minuten platt ist. Wenn ich dem aber einen halben Liter Eigenblut etwa zwei Tage vor dem Spiel einflöße, ist Blutdoping natürlich auch für einen Techniker äußerst hilfreich. Dann hat er mehr Kraft und Durchhaltevermögen und kann seine Technik auch ausspielen. Welcher Trainer, welche Fans schätzen nicht einen Techniker der 90 Minuten seine Kunst aufblitzen lässt, nicht nur punktuell?

NZ: Da ist der Chefarzt des DFB aber ganz anderer Meinung. Der sagt öffentlich, dass eine Ausweitung der Blutkontrollen unnötig sei, weil es keine Indizien gebe, dass das im Fußball sinnvoll sei.

Sörgel: Das ist genau das Entscheidende, was die Offiziellen und die Spieler, Präsidenten wie einst Theo Zwanziger oder auch die früheren Spieler wie Franz Beckenbauer, einfach falsch machen – dass sie mit ausgesprochen inkompetenten Antworten kein Vertrauen schaffen und nur das Misstrauen weiter schüren.

NZ: Aber das ist immerhin der Chefarzt des DFB!

Sörgel: Herr Meyer ist ein Schüler Kindermanns, der nachweislich mit Keul, dem Anabolikapapst, zusammenarbeitete. Später ging Meyer nach Paderborn wo der DFB–Arzt und bekennende Anabolikabefürworter Liesen wirkte. Der Spitzer-Bericht unterstellt Liesen auch Studien zur Epo- Wirkung. Toni Schumacher berichtete, wie die Spieler 1986 bei Liesens erster WM in Mexiko richtiggehend mit Pillen vollgestopft wurden. Darunter befanden sich sicher auch harmlose Substanzen wie Elektrolyte oder Nahrungsergänzungsmittel, neben etwa 3000 Spritzen bei vielleicht 24 Spielern und ein paar Betreuern, die Liesen verabreicht haben soll. Freilich, in der Hitze von Mexiko darf man nach einem harten Training schon öfter mal Flüssigkeit und Elektrolyte infundieren. Aber 3000? Da nehmen sich die 1500 Injektionen der „Kolbe-Spritze“ – eine in der DDR entwickelte Mischung aus einem Vitamin und einem Nahrungsergänzungsmittel – 1976 bei den Olympischen Spielen in Montreal bei einem Vielfachen der teilnehmenden Athleten ja fast harmlos aus. In Mexiko sollen viele ungewöhnliche Substanzen im Spiel gewesen sein. Felix Magath soll wegen eines „leichten Hirnödems“ mit Schüttelfrost, Durchfall und Übelkeit einen sogenannten Proteinaseinhibitor bekommen haben. Vermutlich Trasylol, das 2007 wegen schweren Nebenwirkungen aus dem Handel gezogen werden musste.

NZ: Meyer sagt, wie alle DFB-Vertreter unisono, dass außer Anabolika im Fußball keinen Sinn machen. Insbesondere nicht das Blutdoping mit Epo oder Eigenblut. Stimmt das?

Sörgel: Nun, da kennt oder will Meyer seine eigene, scheinbar wenigen bekannte Publikation zum Thema Blutdoping nicht kennen, die man in jeder Bibliothek finden kann. Er selbst hat bei Bundesligaspielern Hinweise auf Blutdoping gefunden und auch zugegeben, dass ein Fußballer, der zwölf Kilometer im Spiel läuft, auch viel mit einem Ausdauersportler gemein hat. Welch erstaunliche Erkenntnis eines Sportmediziners!

NZ: Haben wir also trotz Beteuerungen des DFB auch heute ein Dopingproblem in bezahlten Fußball?

Sörgel: Ich bin kein Freund von nicht substanziierten Spekulationen und Überlegungen zu „Dunkelziffern“. Ich weiß es einfach nicht, und mit dem lächerlichen Testprogramm, das der DFB jetzt vorhat werden wir es auch nicht erfahren. Aber die Publikation des DFB-Arztes Meyer hat mich schon sehr nachdenklich gemacht. Auch sein Zitat neulich, im Fußball werde nicht in „relevantem Umfang“ gedopt klingt ja fast wie ein Geständnis oder schon mal wie eine Vorabsicherung für den Fall, dass man bald mal einen echten Dopingfall eines Top-Fußballers kommentieren und erklären muss.

NZ: Sie haben offensichtlich überhaupt kein Vertrauen zum DFB?

Sörgel: Woher sollte ich das auch nehmen? Als der FIFA-„Chefarzt“ Dvorak sich zunächst meiner Meinung anschloss, dass zu wenig getestet wird, folgte kurze Zeit später eine Dementi: „Alles ganz toll und vorbildlich beim DFB“ gab er eine Woche später zu Protokoll. Da werden wohl die Telefonleitungen zwischen Frankfurt und Tschechien ziemlich heißgelaufen sein. Und dann noch sein kapitaler Bock, als er behauptete, Ephedrin – es soll bei drei deutschen Spielern entdeckt worden sein – sei bei der WM 1966 kein verbotenes Dopingmittel gewesen, Er setzte kaltschnäuzig darauf, dass die „Fachwelt“ von Chemie keine Ahnung hat. Ein Jahr vor der WM war aber auf einer Konferenz festgelegt worden, dass Amphetaminabkömmlinge – Stoffe die bestens die Leistung stimulieren – verboten sind, was längst überfällig war. Dvorak und seine Berater, offensichtlich bar jedes chemischen Verstandes, behaupteten, dass Ephedrin kein Amphetaminabkömmling sei. Da geht man als Pharmakologe oder Chemiker an die Decke. Und dann ging auch noch der Kaiser höchstpersönlich in der Bütt! Das war zu viel. Wir sind doch keine Bananenrepublik.

NZ: Wohin steuert der DFB in der Dopingfrage ?

Sörgel: Wenn er so weitermacht in einen riesigen Glaubwürdigkeitsverlust. Und das ohne Not. Derzeit sollen schon 20 Prozent der Befragten Doping im Fußball für wahrscheinlich halten. So fing es in anderen Sportarten wie Radsport und Leichtathletik auch an, obwohl der Fußball zumindest in Deutschland in den letzten Jahren gar keinen großen Skandal hatte. Ob das am nicht ausreichenden Testen oder der Sauberkeit der Sportart lag, wissen wir nicht. In der großen Zeit des Dopings mit Captagon, den 60er bis frühen 90er Jahre, gab es ja keine echten Tests. Hier kann man nur nachträglich von skandalösen Verhältnissen sprechen. So wie der DFB jetzt herumeiert, wird er sich aber bald ins Abseits bringen. Man kann nicht ständig Witzbolde und vom DFB als größten Fußballverband abhängige FIFA-Funktionäre mit abwegigen Statements an die Front schicken.

NZ: Was wäre Ihr Vorschlag?

Sörgel: Ein mehrjähriges ernsthaftes Testprogramm mit Blutpass und alles, was andere in Verruf geratene Sportarten längst durchführen. Es ist doch ein Schlag ins Gesicht anderer Sportarten, wenn ausgerechnet das milliardenschwere Unternehmen Fußball dazu nicht die Mittel zur Verfügung stellen will, man kleinere Sportarten mit einem Testprogramm aber wirklich in finanzielle Probleme bringt.

NZ: Können Sie noch einmal kurz zusammenfassen, welche Dopingsubstanzen was erzeugen?

Sörgel: Anabolika erhöhen die Regenerationsfähigkeit und beschleunigen den Muskelaufbau wie bei den Leichtathleten in den Wurfdisziplinen oder im Sprint. Fußballspielern tun sie auch gut. Wenn ich schneller regeneriere, kann ich mehr trainieren. Das Eigenblutdoping versetzt in die Lage, noch einen Gang zuzulegen, wenn der andere, der nicht gedopt ist, zurückbleibt. Der Techniker ist auch von der Kondition abhängig und profitiert von Eigenblutdoping oder Epo-Doping. Wachstumshormone sorgen für Eiweißaufbau und sind ganz allgemein ein leistungssteigerndes Mittel, das nur sehr schwer nachzuweisen ist. Dann darf man nicht vergessen, dass der Fußball bis hinein in die 80er Jahre mit Stimulanzien wie Captagon verseucht war. Ich weiß von Fußballern, dass sie mit Vorliebe eine Mischung aus Captagon und Alkohol zu sich genommen haben. Captagon ist ein Amphetamin, das puscht, das die zweite Luft erzeugt und die Leistungsgrenzen erweitert. Der Alkohol dämpft oder kappt Nebenwirkungen wie Übererregtheit und Schlaflosigkeit.

NZ: Waren das die Vitaminspritzen, von denen Franz Beckenbauer jüngst im ZDF-Sportstudio nicht wusste, was sie enthielten?

Sörgel: Captagon und Alkohol hat man oral als Tablette eingenommen bzw. getrunken. Dass die Nationalmannschaft 1966 etwas gespritzt bekommen hat, ist nirgendwo behauptet worden. Das Spritzen ist ja nur von der 1954er Elf bekannt. An dieser Tatsache kommt heute niemand mehr vorbei. Die Verharmloser sprechen von Vitamin C, die Hardliner vom Suchtstoff aus dem Zweiten Weltkrieg, Pervitin, in den Spritzen. Wenn die zwei noch lebenden Spieler Hans Schäfer und Horst Eckel nichts dazu sagen, werden wir nie mehr erfahren was es war. Tatsache ist, dass der Fürther Karl Mai an den Folgen einer Hepatitis-C-Erkrankung (besondere Form der Leberentzündung durch einen Virus, Anm.d.Red.) gestorben ist, die auf verunreinigte Spritzen im Jahr 1954 zurückzuführen gewesen sein soll. Auch Max Morlock hatte nach der WM 54 im Herbst eine Hepatitis und fiel mehrere Wochen aus.

NZ: Wie haben Sie denn Beckenbauers Auftritt neulich im Sportstudio erlebt?

Sörgel: Ich empfehle jedem Interessierten, sich die Passage einmal auf YouTube anzuschauen und dann zu überlegen, in welcher Verfassung er sich da befunden haben muss. Ich schätze Beckenbauer als Sportkabarettisten, er bringt mich wirklich oft zum Schmunzeln. Aber er sollte langsam auch verstehen, wo seine Grenzen sind – und die hat er jetzt überschritten, indem er die Dopingfrage ins Lächerliche gezogen hat. Erst kannte er als junger Spieler angeblich den Begriff Doping überhaupt nicht, dann spritzte der Arzt Vitamine, und dann fällt ihm ein, dass er gar nicht wusste, was in den Spritzen war – nur die Ärzte hätten dies gewusst. Ein solches Hin und Her mutet er dem Zuschauer innerhalb von ein paar Minuten zu. Fußball und seine Stars haben in Deutschland Narrenfreiheit. Es passt den DFB-Oberen einfach nicht, dass es überhaupt jemand wagt, zur Königssportart in der Öffentlichkeit Fragen zu stellen – wo kämen wir da hin?

NZ: Wie lange kann sich der Fußball oder konkret der DFB diese Wegschau-Taktik noch leisten?

Sörgel: Nach der Bundestagswahl wird wieder über ein Anti-Doping-Gesetz diskutiert werden, und der Fußball gerät dann auch unter Druck, mehr zu tun. Liga-Präsident Rauball hat ja vorsichtshalber schon mal Zustimmung signalisiert, die ich nicht ernstnehme. Der DFB sollte besser erst mal in den Details offenlegen, wie er bisher getestet hat. Natürlich liest es sich gut und klingt beeindruckend, zumindest für den Laien, wenn ich sage: 500 Tests. Aber man hat die Substanzen nie bekanntgegeben, auf die getestet wurde. Nur in zehn Prozent der Urine testete man auf Epo, und dass in einer Ausdauersportart! Das ist eine Politik des Verheimlichens, um keine Diskussionen aufkommen zu lassen.

NZ: Glauben Sie, dass positive Proben verschwinden könnten?

Sörgel: Ich glaube, dass wir uns da in Deutschland nicht sehr von Spanien unterscheiden, wo Barcelona unter Verdacht steht. Der neue Bayern-Trainer Pep Guardiola ist früher mal wegen Anabolika-Dopings gesperrt gewesen. Ich glaube schon, dass der DFB in Deutschland die Macht hätte, positive Dopingtests in irgendeiner Form unter den Tisch fallen zu lassen. Daran zweifelt, glaube ich, niemand. Der Einfluss der Fußballfunktionäre in unserer Gesellschaft ist da stark genug. Heute kann sich doch kein Politiker mehr erlauben zu sagen, dass er nichts von Fußball verstehe, kein Fußballbegeisterter wäre und sich einen Vereinsschal um seinen Hals hängt. Auch wenn er im Stadion einen Eckstoß nicht von einem Strafstoß unterscheiden kann. Fußball und Politik profitieren gegenseitig, beide setzen auf Sieg um hernach gemeinsam in Fernseh- und Pressebildern zu glänzen. Das ist eine sehr unerfreuliche Entwicklung, wenn man sieht wie Korruption Einzug in den Fußball und ihre wichtigste Organisationen, die FIFA, nachweislich gefunden hat. Als wäre das der richtige Umgang für unsere höchsten Volksvertreter, neben FIFA-Präsident Sepp Blatter zu stehen, so wie einst Nicolas Sarkozy die Nähe Lance Armstrongs suchte.

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