DTM: Marco Wittmann gibt den Fremdenführer

30.4.2015, 17:34 Uhr
Los geht's: Marco Wittmann freut sich auf den Saisonauftakt.

© Sportfoto Zink / MaWi Los geht's: Marco Wittmann freut sich auf den Saisonauftakt.

In der Beuthener Straße ist an diesem Vormittag wenig los. Kaum Verkehr, viele freie Parkplätze. Die historische Steintribüne räkelt sich unschuldig in der Sonne, ein paar Touristen klettern die Stufen hinauf, lesen Infotafeln und knipsen Fotos. Unkraut hat sich breitgemacht. Dann und wann rollt ein Auto vorbei. Nichts deutet auf das PS-Spektakel hin, das hier einmal im Jahr zelebriert wird. Naja, fast nichts: Auf dem Asphalt sind tiefschwarze Reifenspuren eingebrannt.

Vertrautes Terrain

Marco Wittmann kennt hier jeden Zentimeter. Der 25-jährige Rennfahrer aus Fürth ist ganz in der Nähe zu Hause. Als Nachwuchstalent in der Formel BMW und in der Formel 3 Euro Serie raste er bereits viele Male über den Norisring und stand dort auch schon ganz oben auf dem Siegerpodest.

Im Deutschen Tourenwagen-Masters (DTM), der stärksten Tourenwagenserie der Welt, ist Wittmann amtierender Meister. Er holte sich 2014 in seinem erst zweiten Jahr als DTM-Pilot den Fahrertitel und ist damit der jüngste Deutsche, dem das gelang. Klar, dass Wittmann nur ein Ziel hat, wenn am Wochenende in Hockenheim die neue Saison beginnt: Titelverteidigung. Doch diesmal ist die Konkurrenz gewarnt. „Unterschätzen wird mich jetzt sicher niemand mehr“, sagt er.

Seit dem großen Coup eilt er von Termin zu Termin: Interviews, Auftritte, Autogrammstunden. Bei allem muss genug Zeit bleiben für Fitnesstraining, die Optimierung des Autos mit dem Team RMG in der Eifel und für Tests. Kürzlich trafen sich alle acht BMW-Piloten auf Lanzarote zum Trainingslager. „Genau das Richtige, um nochmal den Kopf frei zu bekommen“, findet Wittmann. Hier am Norisring wird der amtierende Champion mit seinen 23 Konkurrenten am letzten Juniwochenende an den Start gehen. Ein DTM-Sieg in seinem „Wohnzimmer“ fehlt ihm noch.

Nun sitzt er wie ein Fremdenführer mit Mikrofon im Bus und erklärt Pressevertretern den berühmt-berüchtigten Stadtkurs. „Es ist eine der schwersten Strecken im Rennkalender, gerade weil wir nur drei Kurven haben“, sagt Wittmann. „Der Norisring verzeiht keine Fehler.“ Er zeigt auf die Bodenwellen im Asphalt. „Da muss man mit Gefühl bremsen, sonst blockieren die Räder.“ Der Anbremsdruck beträgt 100 Bar. „Das ist so, wie wenn man im Fitnessstudio 100 Kilo auf der Beinpresse drückt. Hier am Norisring hat man das dreimal pro Runde über insgesamt 80 Runden. Ziemlich harte Beinarbeit.“

DTM: Marco Wittmann gibt den Fremdenführer

© Foto: melb

Als es auf die Kurve zugeht, steigt die Gruppe aus. „Hier auf der Gerade haben wir einen Top-Speed von 270, 280 km/h und bremsen dann runter auf 50 km/h“, sagt der BMW-Pilot und beschreibt die Ideallinie in der Grundig-Kehre: „Wir fahren zunächst weit außen, wo jetzt die Autos parken, kommen spät nach innen, um gerade anbremsen und früh wieder beschleunigen zu können.“

Immer wieder geht er im Rennen auf Tuchfühlung mit Mauern und Leitplanken, um noch die eine oder andere Tausendstel herauszufahren. Verlorene Außenspiegel werden hier nach dem Rennen gefunden. „Kein Wunder, dass das Wall of Champions oder Wall of Shame genannt wird“, sagt Wittmann. „Manchmal bin ich selber baff, wenn ich nach dem Rennen Bilder sehe, dass gerade noch ein Blatt Papier zwischen Auto und Wand gepasst hätte.“

Zum Bremsen nutzen die Fahrer die Pflastersteine der regulären Fahrbahnbegrenzung, um bessere Bodenhaftung zu bekommen. Von dem Dreck, der jetzt noch auf der Straße liegt, wird am Rennwochenende nichts zu sehen sein. „Wir garantieren eine saubere Strecke und haben dafür schon ab 4 Uhr früh bis zu vier Kehrmaschinen im Einsatz“, versichert Wolfgang Schlosser. Er ist Vorsitzender des Motorsport Clubs Nürnberg (MCN), der jedes Jahr mit 100 ehrenamtlichen Helfern die Straßen um
den Dutzendteich in eine Rennstrecke verwandelt. Für einen reibungslosen Ablauf sorgen weitere 100 Helfer befreundeter Motorsportklubs aus der Region.

"Es ist schon beeindruckend,..."

Nahezu alles, was für Aufbau und Organisation nötig ist, befindet sich auf rund 500 Quadratmetern im Inneren der Steintribüne. „Hier lagern rund sechs Kilometer Stahlseile, Streugut, die Flaggen der Streckenposten, Hinweisschilder, Feuerlöscher, Sichtschutzplanen, das Siegerpodest“, erklärt MCN-Aufbauleiter Norbert Rögner und führt die Gruppe durch die Katakomben. „Wir haben ein Büro, Duschen, Schreinerei, Schlosserei und einen Elektriker.“ Ein ganzer Raum allein für die unterschiedlichsten Schrauben könnte glatt einem Baumarkt Konkurrenz machen. Vereinsmitglied Marco Wittmann ist zum ersten Mal in dem kühlen Gemäuer, das als Norisring-Schaltzentrale des MCN genutzt wird. „Es ist schon beeindruckend, was alles nötig ist, um das Norisring-Wochenende möglich zu machen.“ Er blickt auf die gerahmten Fotos von Rennsportlegenden im Aufenthaltsraum. „Ein Foto von mir fehlt hier aber noch“, sagt er augenzwinkernd. MCN-Boss Schlosser kontert prompt: „Wenn Du am Norisring gewinnst, holen wir das nach.“

Bei Wittmanns „Heimspiel“ in ein paar Wochen wird die Beuthener
Straße nicht wiederzuerkennen sein. Absperrungen, dicke Betonleitplanken, überall Flaggen, Schilder, Pylonen. Die Steintribüne avanciert zum Treffpunkt tausender Motorsportfans mit BMW-, Audi- oder Mercedes-Kluft. Beim Start der PS-strotzenden Boliden wird der Lärm ohrenbetäubend sein und die Spannung mit Händen zu greifen. „Ich kann es kaum erwarten“, sagt Wittmann und grinst.

Informationen und Tickets gibt es unter www.norisring.de

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