Erlanger Flüchtlingsjunge boxt sich nach oben

31.8.2016, 19:00 Uhr
Ehrgeizig und talentiert: Obeidolah Mirzaie könnte später einmal in der Bundesliga boxen.

© Foto: Klaus-Dieter Schreiter Ehrgeizig und talentiert: Obeidolah Mirzaie könnte später einmal in der Bundesliga boxen.

Zu klein war er schon immer. Und auch zu schmächtig. Der Jüngste sowieso. Als Obeidolah Mirzaie das Boxen lernte, musste er immer gegen die Großen ran. Meistens gegen seinen Bruder, mit dem er sich im heimischen Wohnzimmer balgte. Nicht ganz so wie Brüder das eben machen. Die Jungs trugen Handschuhe und Kopfschutz. Der Bruder boxte im Verein, zudem war er älter und größer. „Ich habe immer verloren.“

Obeidolah ist deshalb nicht böse, er sagt es voller Wehmut. Heute würde der 16-Jährige nichts lieber machen, als daheim im Wohnzimmer gegen seinen älteren Bruder zu verlieren. Doch seine Familie lebt in Afghanistan. Und Obeidolah in Erlangen.

"In meinem Land ist Krieg"

„In meinem Land ist Krieg“, sagt er. Es gab Probleme mit den Taliban. Jugendliche in Deutschland kämpfen gegen die Computer-Sucht oder damit, ein Mädchen anzusprechen. Obeidolah kämpfte gegen Terroristen. Seine sanften Gesichtszüge und die schmalen Schultern wirken geradezu kindlich, doch die tiefbraunen Augen haben eine schroffe Härte. Wenn der junge Mann von seiner Heimat spricht, ist die Stimme klar und ruhig.

Er zeigt auf eine rosafarbene Schnittwunde auf der Wange. Sie ist schon fast ganz verheilt. „Da haben sie eine Kalaschnikow hingehalten.“ Die Terroristen hätten auch abdrücken können. Obeidolah säße dann nicht hier, in einer stickigen Turnhalle im Erlanger Westen. „Mein Vater hat gesagt, ich soll gehen.“

Also ist Obeidolah geflohen, über den Iran, Syrien, die Türkei, Griechenland, den Balkan, Österreich und Rosenheim kam er vor mehr als sechs Monaten nach Erlangen. „Ich habe gleich am ersten Tag gefragt, wo ich boxen kann.“ Der unbegleiteter minderjährige Flüchtling ist in einer der beiden Wohngruppen im Frankenhof untergebracht, Betreuer von der „Step-Jugendhilfe“ sind dort für ihn da.

Keine zwei Wochen hat es gedauert, ehe er erstmals bei Igor Krotter im Boxtraining auftauchte. Der Bezirksjugendwart für Mittelfranken übt mit vielen Nachwuchssportlern, darunter sind auch Asylbewerber. „Wir spüren die Integration hier hautnah“, sagt der Coach. „Es ist wichtig, zusammenzuhalten und dabei die Regeln zu befolgen.“ Dass Obeidolah bereits nach einem halben Jahr Training Wettkämpfe bestreitet, ist hingegen eine absolute Ausnahme. Igor Krotter ist da auch ein wenig stolz.

"Er hat souverän gewonnen"

Im März hat der junge Afghane den Bayerischen Meistertitel in der Altersklasse U 19 errungen. „Er hat souverän gewonnen“, sagt sein Coach, den das wenig überrascht hat. „Boxen liegt in seiner Familie. Der Vater, der Bruder, er hat immer mit ihnen trainiert.“ Obeidolah selbst kann sich an die Kämpfe bei der Bayerischen Meisterschaft gut erinnern. Seinen ersten Gegner hat er in der dritten Runde durch K.o. besiegt, den zweiten nach Punkten.

Sein Trainer Igor Krotter (re.) glaubt fest an ihn.

Sein Trainer Igor Krotter (re.) glaubt fest an ihn. © Klaus-Dieter Schreiter

Schwierig sei das nicht gewesen, obwohl er aufgeregt war. „Mir macht Boxen Spaß.“ Dreimal pro Woche geht der Jugendliche ins Training, zusätzlich joggt er. „Sein Siegeswille ist der stärkste, die Motivation und der Fleiß sind enorm“, sagt Krotter. Obeidolah will schnell besser werden — und wird das auch. „Profi-Boxer“. Das ist sein Ziel.

Im ersten Moment klingt das nach einem Jungen-Traum, auf einer Stufe mit Feuerwehrmann und Fußball-Star. Doch wer schafft es, nach nur einem halben Jahr professionellem Training Bayerischer Meister zu werden? „Wenn er weiter so engagiert bleibt, wird er in der Bundesliga kämpfen“, sagt sein Trainer. Krotter weiß, wie man Nachwuchssportler an die Weltspitze heranführt.

Tyson Fury ist das große Vorbild

„Bevor man in das Profi-Geschäft einsteigt und viel Geld verdient, muss man sich auf internationalen Turnieren beweisen.“ Wer dort Titel sammelt, kann ein Großer werden. „Im Fernsehen sehe ich Tyson Fury“, sagt Obeidolah. „Er ist der Beste.“ Mit 1,60 Metern ist der junge Nachwuchsboxer zwar noch ein paar Köpfe kleiner als sein 2,06 Meter großes Vorbild. Dennoch glaubt er fest an sich.

Bis es so weit ist, besucht Obeidolah einen Integrationskurs an der Berufs­schule, lernt Mathe und Deutsch. Ak­tuell hat er Sommerferien und geht bei schönem Wetter besonders gerne schwimmen. Das Boxtraining aber hat natürlich keine Ferien. Wenn die Schule wieder beginnt, gehen auch für Obeidolah Mirzaie die Kurse wei­ter. Wann und ob er zu einer normalen Klasse stoßen oder eine Ausbildung beginnen kann, ist völlig unklar. Sein Deutsch jedenfalls ist schon sehr gut. Obeidolah geht auf neue Leu­te zu.

Doch nichts ist ihm wichtiger als Boxen. Mittlerweile hat er einen eigenen Gesichtsschutz und Hand­schuhe. Die Ausrüstung ist teuer, man­ches zahlt er von seinem Taschengeld, anderes kommt durch Spenden zusam­men. Der Sport hilft ihm, Energie los­zuwerden. Alles um sich herum verges­sen, kann er aber auch im Ring nicht. Denn dort denkt Obeidolah an seinen Bruder. Er weiß nicht, ob er ihn je­mals wiedersieht.

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