Mohr: "Mehr verletzte Spieler kann man gar nicht haben"

7.2.2017, 06:00 Uhr
Mohr:

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Die Bar des Hotels "La Finca" in Algorfa. Thomas Mohr nippt an seinem entkoffeinierten Kaffee und blickt sich in der Lobby um. Die Fuß­baller des Yanbian Football Clubs sind bereits auf ihren Zimmern, die Belegschaft des 1. FC Nürnberg ver­folgt am letzten Abend des Trainings­lagers den Bundesligaauftakt vor dem Fernseher.

"Ein Bier", sagt Mohr, "gönne ich mir erst, wenn meine Spieler im Bett sind". Noch ist nicht Nachtruhe, es könnte jederzeit ein Spieler auf dem Hotelflur auftauchen, also bleibt es vorerst bei entkoffeinierten Kaffee. Mohr wird dafür bezahlt, dass er ande­ren Disziplin beibringt, also lebt er sie auch selbst vor.

Am Nachmittag ist man am Rande des Trainings ins Gespräch gekom­men und hat schnell festgestellt, dass der Mann mit dem drahtigen Körper, den wachen Augen und dem hessi­schen Zungenschlag etwas zu erzäh­len hat. Und dass er etwas erzählen will. Also drückt man an der Hotelbar irgendwann die Aufnahmetaste des Smartphones.

"In der Bundesliga denken sie immer noch, dass der Laktattest sinnvoll ist"

Bei 13 Fußballvereinen ist Ihr Enga­gement als Athletiktrainer dokumen­tiert, aber wie fing das eigentlich an?

Mohr: "Ich habe Ende der 90er Jahre drei Spieler von Dynamo Kiew trai­niert, irgendwann sollte ich dann die ganze Mannschaft übernehmen, aber das hat sich dann wieder zerschlagen."

Zwischen der Ukraine und Tunesi­en, wo Sie zum ersten Mal das Athle­tiktraining einer Vereinsmannschaft geleitet haben, liegen aber noch ein paar Kilometer.

Mohr: "In Tunesien wollte ein Unter­nehmer damals ein Hotel um das Ange­bot für Fußballvereine erweitern. Ich habe mich zunächst um das Sportan­gebot im Hotel gekümmert und um die Mannschaften, die dort ihr Trainings­lager absolviert haben und irgend­wann kam Eckhard Krautzun auf mich zu."

Er hat eine ähnlich bewegte Vita vorzuweisen.

Mohr: "Er war damals Coach des tunesischen Vereins Sfaxien. Die Spie­ler hätten so von meinem Training ge­schwärmt, so etwas wie Aquagym­nastik kannten sie bis dahin nicht, und ob ich nicht bei der Vorbereitung auf die Weltmeisterschafts-Qualifika­tion helfen könnte. Ich müsste mich vor allem um zwei Spieler kümmern, die keinen Verein mehr haben. Der eine 35, der andere fast 30 Jahre alt. Ich habe drei Monate mit ihnen trai­niert, während der Quali waren die beiden die besten Spieler und die Zei­tungen haben groß berichtet und ge­fragt, warum das gerade die beiden sind, die keinen Verein haben."

Der Anfang von Mohrs langer Reise klingt nach einer Geschichte, die man sich so eigentlich nur in Hollywood ausdenken kann. Ein Nobody treibt zwei verlorene Seelen zu Höchstleis­tungen an, danach, meint man, müsste ihm doch eigentlich die Welt offen ste­hen. Weil der tunesische Verband bald nicht mehr die Gehälter der deut­schen Gastarbeiter zahlen kann, zieht erst Krautzun und dann auch Mohr weiter.

Bewerbungen mussten Sie nach der Geschichte vermutlich erst mal keine mehr schreiben.

Mohr: "Kurz darauf hat sich Monas­tir, ein tunesischer Verein, der vom Abstieg bedroht war, gemeldet. Inner­halb weniger Monate ist der Verein dann vom letzten auf den fünften Platz der Tabelle geklettert."

Ein Erfolg, den Sie wahrscheinlich sich zuschreiben?

Mohr: "Naja, der Trainer war in der Zeit ja der selbe. Freiwillig hat er mei­ne Hilfe allerdings nicht angefordert, das war einer, der seine Spieler trainie­ren ließ, bis sie umgefallen sind. Da gibt es heute noch Kandidaten, auch in der Bundesliga, die denken, dass das sinnvoll ist. Auch Tae-ha Park hat mich jetzt zu Yanbian geholt, weil sie in der vergangenen Saison so viele ver­letzte Spieler hatten und dann ins Straucheln kamen."

In der Reisegruppe des Yanbian Football Club fällt Thomas Mohr schnell auf. Insgesamt gibt es mit dem Rehatrainer Jürgen Tölle und einem norwegischen Fußballprofi nur drei Europäer, alle anderen stammen aus China oder Korea. Sprachprobleme gibt es immer wieder, erzählt Mohr, er fühlt sich regelmäßig wie im Kultfilm "Lost in translation".

Dabei hätte er genauso gut der ande­ren Reisegruppe angehören können, die Mitte Januar ihr Trainingslager in Algorfa absolviert. 2003 wollte ihn Wolfgang Wolf an den Valznerweiher holen, zuvor war ihm von Mohr schon ein tunesischer Fußballer namens Jawhar Mnari empfohlen worden. Die Verpflichtung von Mnari war für den Club nicht die schlechteste Idee, den Vorschlag, dass Mohr zwei Tage in der Woche beim Training vorbeischaut, hielt dieser aber für einigermaßen ab­surd. Ein Athletiktrainer muss einen gesamtheitlichen Ansatz haben, fin­det er, und im besten Fall einen etwas moderneren als die meisten deutschen Profi-Vereine ihn derzeit haben.

"Die Vorbereitung ist bei vielen deutschen Vereinen wie in der Steinzeit"

Warum denn nun eigentlich China? Ihre Erfolge müssten Sie doch auch für einen Job in der Bundesliga qualifi­zieren.

Mohr: "In der Bundesliga denken sie immer noch, dass der Laktattest eine sinnvolle Einrichtung ist."

Was ist am Laktattest so verkehrt?

Mohr: "Das ist ein reiner Ausdauer­test. Auch Spieler aus der vierten oder fünten Liga könnten den bestehen, er sagt aber kaum etwas darüber aus, ob sie auf hohem Niveau mithalten kön­nen. Im modernen Fußball geht es viel mehr um die Sprintfähigkeit. Bei Bar­celona ziehen die Spieler pro Partie bis zu 40 Sprints mehr an als die Spie­ler in der Bundesliga. Die Saisonvor­bereitung ist bei vielen deutschen Ver­einen wie in der Steinzeit."

Und Sie stellen den Gegenentwurf dar?

Mohr: "Bei mir gibt es keinen Laktat­test, kein Rundenlaufen, kein Medizin­ballschleppen und solchen Oldschool-Kram. Manche Cheftrainer denken immer noch, dass sie selbst entschei­den müssen, wie das Athletiktraining auszusehen hat. Selbst Männer der alten Schule wie Alex Ferguson haben das am Ende ihren Fachleuten überlas­sen. Der Athletiktrainer entscheidet, wann, was und wie oft die Mannschaft trainiert. So läuft das beim High-Level-Fußball."

Vielleicht erscheint es den Trainern hier zu riskant, etwas zu verändern?

Mohr: "Welches Risiko? Mehr als 40 Prozent verletzte Spieler, so wie in der Bundesliga, kann man ja gar nicht ha­ben. Bei den Vereinen, bei denen ich gearbeitet habe, gab es nie mehr als 16 Prozent Verletzte. Und das in Afrika, wo zum Teil auf Plätzen trainiert wird, bei denen man mit dem Gelände­wagen drüber fahren, aber eigentlich nicht professionell Fußball spielen kann."

Das klingt nach einem Klischee.

Mohr: "Mag sein, aber Fakt ist: Die Spieler dort ernähren sich falsch, sie waren auf keiner Fußballschule, das Wetter ist zu heiß, normalerweise müsste ich dort 80 Prozent Verletzte haben – wenn ich so trainieren lassen würde wie in der Bundesliga. Ich halte es aber nicht wie die Sportstudenten aus Köln, die irgendwohin kommen, ihr schlaues Buch aufschlagen und dann unabhängig davon, was für Spie­ler vor ihnen stehen, bestimmte Übun­gen absolvieren."

Der 1.FC Nürnberg hat derzeit auch ein paar Verletzte, haben Sie sich hier im Hotel untereinander schon mal ausgetauscht, von Athletik­trainer zu Athletiktrainer?

Mohr: "Nö. Lieber nicht, das wird sonst ein Streitgespräch."

Vielleicht würden sich die Kollegen ja über ein paar Tipps freuen.

Mohr: "Auch in der Reha tragen viele Turn- statt Fußballschuhe, das ist aber eine Katastrophe für die Abduk­toren. Es gibt seit 20 Jahren Studien, die belegen, wie schädlich es ist, auf nassem Untergrund mit Turnschuhen zu laufen, trotzdem sieht man das heu­te immer noch. Als normaler Jogger ist das kein Problem, für einen Pro­fisportler mit einer extremen Muskula­tur ist das riskant."

Man merkt: Thomas Mohr würde in Deutschland gerne einiges verändern, aber entweder hat seit Wolfgang Wolf niemand mehr um seinen Rat gebeten oder seine Gehaltsvorstellungen las­sen sich nicht mehr mit der Bundesli­ga in Einklang bringen.

"In Katar wollten sie mich zunächst nicht ausreisen lassen"

Wie viel Geld hat denn der erste Ver­ein auf den Tisch gelegt, um sich Ihre Dienste zu sichern?

Mohr: "In Katar hat es angefangen, interessant zu werden. Wenn ich dann von Kollegen höre, was sie in der Bun­desliga verdienen, frage ich mich, ob das logisch ist. Wenn mein Ferrari kaputt ist, dann bringe ich ihn doch auch nicht zu Volkswagen und lasse ihn von einem Lehrling reparieren. Nur warum stellt dann der FC Bayern München vier Absolventen der Sport­hochschule in Köln als Reha- und Kon­ditionstrainer ein, die nie auf hohem Niveau gekickt haben, die kaum Be­rufserfahrung haben und noch nie im Ausland gearbeitet haben?"

Wie viel wird denn nun in Katar ge­zahlt?

Mohr: "2004 war es schon vier- bis fünfmal mehr netto als in der Bundes­liga. Ich würde auch für wesentlich weniger Geld in Deutschland arbei­ten,  aber du findest keinen Bundesli­gatrainer, der sich nach dem Athletik­trainer richtet. Nach der Hinrunde waren Spieler im Marktwert von 340 Millionen Euro verletzt, aber die Ver­eine geben nicht mal ein Prozent von der Summe für gut ausgebildete Athle­tik- oder Rehatrainer aus und solche Leute gehen dann eben nach Katar oder China.

Und ignorieren, dass man es vor Ort nicht ganz so genau mit den Menschen­rechten nimmt.

Mohr: "Das ist natürlich problema­tisch, wenn man sieht, wie dort zum Beispiel die Menschen aus Bangla­desh behandelt werden. Mich wollten sie damals nicht ausreisen lassen, weil nach Vertragsende noch zwei wichti­ge Spiele anstanden. Erst mit Hilfe deutscher Medien und der Botschaft ist mir das gelungen."

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