HCE-Kapitän Haaß: "Ich traue der Mannschaft den Titel zu"

10.1.2019, 16:22 Uhr
HCE-Kapitän Haaß:

© Marijan Murat/dpa

EN: Herr Haaß, hatten Sie eine Margherita oder eine Schinken-Champignon?

Michael Haaß: Ich hatte gar keine.

EN: Ach, nach zwölf Jahren können Sie doch die Wahrheit sagen . . .

Haaß: Das ist die Wahrheit, wirklich. Plötzlich gab es eine große Krisensitzung, großes Theater – und ich habe erst gar nicht kapiert, worum es geht. Bis dann durchsickerte, dass sich ein paar Spieler eine Pizza ins Hotel bestellt hatten. Ich hatte damit aber absolut nichts zu tun.

EN: Sie sind kurz darauf Weltmeister geworden, hatten aber auch damit verhältnismäßig wenig zu tun. Welche Rolle genau hatten Sie in dieser Handball-Nationalmannschaft von 2007?

Haaß: Meine Rolle war ganz klein. Aus dem erweiterten Kader hab’ ich mich auch durch Verletzungen anderer Spieler erst in den WM-Kader gekämpft. Dann war Markus Baur angeschlagen. Und gegen Argentinien war Mimi Kraus krank, da durfte ich dann bei einem Spiel aushelfen.

EN: Bis zum Viertelfinale saßen Sie noch auf der Bank.

Haaß: Richtig. Dann hat sich Marcus Baur fit gemeldet und das war es dann für mich. Im Finale habe ich mich nochmal warm gelaufen, falls es bei Marcus nicht geht. Das war irre: Kein Spieler der Welt würde ein WM- Finale absagen — daher war mir klar, dass ich wieder auf die Tribüne muss.

EN: Sie haben auch das Halbfinale, diese dreifache Verlängerung gegen Frankreich, das nervenaufreibendste Handballspiel der Geschichte, nur auf der Tribüne erlebt. Schmerzt das?

Haaß: Das war total übel auf der Tribüne, weil wir gesehen haben, wie bei den Mitspielern die Kraft ausgeht. Aber auch wenn unsere Rollen klein waren, so waren wir Teil des Teams. Und wir hatten eine längere Vorbereitungszeit als heute, mir kommt die WM im Nachhinein unglaublich lange vor. Daher war das schon eine unglaubliche Anspannung.

EN: Erstmals seit 2007 beginnt heute wieder eine Heim–WM. Kommen diese Bilder jetzt wieder in Ihnen hoch?

Haaß: Ja klar. Es ist aber anders als 2007. Ich merke, dass dadurch, dass es unsere Geschichte gibt, von Anfang an große Aufmerksamkeit und Euphorie herrscht. 2007 waren die Hallen auch voll, aber wir haben als Spieler gespürt, wie die Euphorie im Turnierverlauf immer krasser wurde. 2019 ist von Anfang an schon ein Riesenfest.

Der Tuniergeist "Projekt Gold"

EN: Wie entwickelt man so einen besonderen Turniergeist, der Deutschland 2007 bis zum Titel trug?

Haaß: Heiner Brand hat Wert darauf gelegt, dass wir uns abschotten. Wir haben vom ganzen Drumherum lange gar nichts mitbekommen. Was in Deutschland wirklich los ist, habe ich erst gemerkt, als wir zu den Achtelfinalspielen nach Köln gefahren sind. Als wir in diesem kleinen Hotel in Gummersbach wohnten und die Menschen auf dem Weg dorthin auf den Straßen standen, habe ich aus dem Busfenster gesehen und gedacht: Was ist denn hier los? Ich glaube, je weiter du kommst, je mehr du mit deinen Spielen begeisterst – desto mehr Menschen bekommst du auf die Straße und desto mehr Energie kommt zurück aufs Feld. Wir haben heuer wieder so eine Mannschaft zusammen, die genau so etwas auslösen kann.

EN: Dieser besondere Geist wird auch in dem Kinofilm "Projekt Gold" thematisiert. Ist der Film authentisch?

Haaß: Das war schon genau so, wie wir das auch empfunden haben, ja. Wir hatten wirklich eine gute Gemeinschaft, viel Spaß und feste Rituale. Ein besonderes Klima, das zum Schlüssel wurde. Wahrscheinlich hole ich den Film in 40 Jahren noch raus, um das nochmal so zu erleben.

Der WM-Kader 2019

EN: Die Gesichter dieser Weltmeistermannschaft gehörten Leuten wie dem 38-jährigen Christian Schwarzer, der als TV-Experte gestartet nochmal reaktiviert wurde. Oder Mimi Kraus, Henning Fritz, Markus Baur. Wer könnte das Gesicht 2019 werden?

Haaß: Uwe Gensheimer, Silvio Heinevetter, Hendrik Pekeler vielleicht? Die sind wie Schwarzer damals auch seit Jahren erfolgreich und nicht nur dem Handballfan bekannt.

EN: Besitzen diese Spieler die Aura, um unerfahrenere Spieler zu führen?

Haaß: Davon gehe ich aus, wobei die aktuelle Mannschaft ja fast nur aus einer Generation besteht. Gensheimer und Michael Strobel sind länger dabei, der Rest hat schon was erlebt.

EN: Sie haben Zweitligaspieler Strobel angesprochen, dessen Nominierung Kritik bei Experten ausgelöst hat. Heiner Brand hat 2007 eine Mannschaft zusammengestellt, von der man auch erst im Nachhinein sagte: genial. . .

Haaß: Die Kritik, weshalb nur ein Rechtsaußen dabei ist, die gab es 2007 auch schon. Natürlich kann man im Sport immer über alles diskutieren, aber über Personalia. Ich glaube aber, wir sollten den Bundestrainer in Ruhe arbeiten lassen, er wird sich bei allem etwas gedacht haben.

Der WM-Titel 2019

EN: Herr Haaß, wie weit kann Deutschland zwölf Jahre nach dem letzten Weltmeistertitel kommen?

Haaß: Damals gab es das "Projekt Gold" als Ziel. Das war sehr ehrgeizig, wir waren nicht Favorit. Ich glaube aber, dass es sehr schwer werden wird, gegen die deutsche Mannschaft Tore zu werfen. Ich traue der Mannschaft den Titel zu. Gerade, weil ich ja weiß, wie so eine Heim-WM laufen kann.

 

 

 

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