Heinz Höher: Liebe, Glück und Alkohol

17.7.2013, 10:51 Uhr
Aus der zweiten Liga in den Europacup: Heinz Höher (rechts, mit Präsident Gerd Schmelzer) trainierte von 1984 bis 1988 den 1. FC Nürnberg.

© Matejka Aus der zweiten Liga in den Europacup: Heinz Höher (rechts, mit Präsident Gerd Schmelzer) trainierte von 1984 bis 1988 den 1. FC Nürnberg.

Also rief Heinz Höher Ronald Reng an. Der alte Trainer wählte die Nummer des Schriftstellers in Barcelona. Man müsse reden, sagte Höher. Und fragte, ob Reng denn wisse, wer er sei. Reng wusste es. Er ist auch Sportjournalist. Man verabredete sich lose für einen unbestimmten Zeitpunkt. Eine Stunde später rief Höher noch einmal an. Er habe jetzt, sagte er, einen Flug nach Barcelona gebucht. Er bringe ein paar Unterlagen mit. „Bitte geben Sie mir nur ein paar Stunden Ihrer Zeit“, sagte Heinz Höher. „Ich möchte Ihnen etwas erzählen. Ich muss Ihnen das erzählen.“ Dann saß der alte Trainer, ausgestattet mit einem neongelben Adidas-Rucksack aus den Achtzigern, beim Schriftsteller in Barcelona.

Vergilbte Zeitungsartikel im neongelben Rucksack

Sie redeten über die Liebe. Über Glück und Schmerzen. Über Frauen und Moral. Über Angst und Alkohol. Also: über Fußball. Über fünfzig Jahre Bundesliga. Im neongelben Rucksack hatte Heinz Höher vergilbte Zeitungsartikel über seine Zeit als Fußballprofi, in der er die unerfüllte Hoffnung des Bundestrainers Sepp Herberger war, dabei, Notizen über Juri Judt, seinen Lieblingsspieler, über seinen Kampf mit dem Alkohol und über die Gespräche mit jenem Herrn Winzlinger, der sein Alter ego war.

Herrn Winzlinger hatte schon der junge Heinz Höher erfunden, wenn er nachts nicht schlafen konnte. Er konnte oft nicht schlafen. Er erwartete viel von sich, er war ein begabter Fußballer, ein Freigeist und ewiger Student, und es waren die Zweifel, die ihn antrieben. Dann besprach er sich mit Herrn Winzlinger, und der stachelte ihn an. Bis Höher Mut fasste. Oder sich betrank – und Winzlinger verschwand, eines Tages für immer. Erst vor drei Jahren kam er zurück – als Heinz Höher das Trinken aufgab.

Schon der junge Heinz Höher war manchen in der Branche verdächtig. Talentiert, risikofreudig, schwärmerisch, aber auch nachdenklich und schweigsam. Ein Spieler. Und ein oft unverstandener Einzelgänger. Heinz Höher wurde später ein Trainer, der beim 1.FC Nürnberg Geschichte schrieb. Als die Mannschaft gegen diesen verschlossenen, bisweilen mürrischen Schweiger rebellierte, entließ Präsident Gerd Schmelzer die Wortführer des Aufstands. Höher durfte bleiben, stieg mit dem Club in die Bundesliga auf und führte die Mannschaft in den Europapokal.

Auch davon erzählte Höher in Barcelona, und aus ein paar Stunden wurde dann ein Jahr. Ronald Reng sprach mit vielen Menschen, die Heinz Höher kennengelernt hatten. Auf hundert Stunden Interviews, schätzt Reng, sei er gekommen, und je intensiver er den Lebensweg dieses labilen Intellektuellen begleitete, desto besser verstand er auch die Faszination dieser Bundesliga mit all ihren Fleißarbeitern, Exzentrikern, Blendern und Strebern, mit ihren Winzlingen und Größenwahnsinnigen, in ihrer Wucht, Heuchelei und Schönheit.

Heraus kam ein Buch. „Spieltage“ heißt es, Untertitel: „Die andere Geschichte der Bundesliga“, und von all den Büchern, die zum Halbjahrhundertjubiläum des schönsten deutschen Ballhauses erschienen, ist es das beste und berührendste. Weil es kein Buch über Fußball ist, ist es ein besonders schönes Buch über Fußball, und weil es ein Buch von Ronald Reng ist, muss man sich noch nicht einmal besonders für dieses großartige, seltsame Spiel interessieren, um Freude daran zu haben.

Näher an den Menschen

Ronald Reng hat ein wunderbares Buch geschrieben über den Hobby-Torwart Lars Leese, der dank märchenhafter Umstände auf einmal in der Premier League spielte („Der Traumhüter“), seine Biographie über den verstorbenen Nationaltorwart Robert Enke ist ein starkes Stück Fußball-Literatur. „Mein ungewöhnlichstes Buch“ nennt Ronald Reng jetzt aber sein jüngstes Werk. Vielleicht sei es sogar – „in stillen Momenten, wenn mich niemand beim Größenwahn ertappen kann“ (Reng) – sein bestes. Das könnte sein. Und wer sich besonders für dieses großartige, seltsame Spiel interessiert, versteht hinterher vielleicht – wenigstens ein bisschen – warum das so ist, warum man so am Fußball hängen kann, gegen jede Vernunft bisweilen, und warum die Bundesliga vielleicht auch 2013 anders ist, als sie manchmal aussieht. Näher an den Menschen.

Das Buch heißt "Spieltage: Die andere Geschichte der Bundesliga", ist im Piper-Verlag erschienen, kostet 19,99 Euro – und ist sehr zu empfehlen. Am Freitag, 19. Juli, stellen es Reng und Höher in Nürnberg vor. Es ist der erste öffentliche Auftritt Höhers seit Jahren. Lesung und Diskussion - initiiert von der Deutschen Akademie für Fußballkultur - beginnen um 19.30 Uhr im Katharinensaal in der Stadtbibliothek im Bildungscampus Nürnberg (Am Katharinenkloster 6, Eintritt 5 Euro, Tageskasse). 


 

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