Jeffrey Norris: Von ganz unten losgelaufen

16.3.2012, 07:01 Uhr
Auch das gehört zum Trainingsprogramm von Jeffrey Norris (rechts): Abtauchen im Katzwanger Hallenbad-

© Luna-Sport Auch das gehört zum Trainingsprogramm von Jeffrey Norris (rechts): Abtauchen im Katzwanger Hallenbad-

"Nein, nein, ich bin kein Triathlet. Ich bin bloß auf der Suche nach Abenteuern": Jeffrey Norris aus Nürnberg ist 52 Jahre alt. Wer seine Geschichte verstehen will, muss weit zurückreisen - in sein erstes, sein anderes Leben. Ein Leben mit furchtbaren Genickschlägen.

 

Geboren in Missisippi, wächst der junge Jeffrey in den sechziger Jahren in Texas auf. Mit zehn zieht er nach Deutschland, nach Nürnberg, die Heimatstadt seiner Mutter. Doch in der Noris kommt er auf die schiefe Bahn. Jeffrey kokst und kifft, schwänzt die Schule, verliert den Bezug zur Familie.

Mit 19 leiht er sich ein Motorrad, braust davon, verliert die Kontrolle über die Geländemaschine und stürzt.  Mit einer Gehirnerschütterung scheint er glimpflich davonzukommen - doch am nächsten Tag sieht er nur noch verschwommen. Er lässt sich untersuchen und erhält die bittere Diagnose: Sein linkes Auge, durch eine unbemerkte Krankheit ohnehin schon geschwächt, ist beim Sturz implodiert. Es muss herausgenommen werden, Jeffrey erhält ein Kunstauge.

Jeffrey Norris: Von ganz unten losgelaufen

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In den folgenden Jahren versinkt er immer tiefer im Nürnberger Drogenmilieu. Er ist süchtig, süchtig nach Koks und Amphetaminen. Auf der Suche nach dem ultimativen Kick wacht er nach einem mehrtägigen Drogentrip in einer Wohnung in St. Johannis auf, geht zur Tür - und wird brutal zusammengeschlagen. Mit zertrümmertem Gesicht wacht er vier Tage später im Klinikum Nord auf - und hört die schreckliche Diagnose: Sieben Frakturen im Kopfbereich, sein rechtes, gesundes Auge wurde schwer verletzt. Die Ärzte versuchen in mehreren Operationen sein Augenlicht zu retten, doch es ist zu spät. Die Sehkraft sinkt immer mehr, unerbittlich, von zehn Prozent auf fünf, auf ein Prozent - kurz darauf ist Jeffrey blind.



Drogensüchtig, blind, das Ende? Nein, Jeffrey Norris ist keiner, der aufgibt. Er schafft den Entzug, sattelt um und wird Masseur. Auf einer Kur im Taunus trifft er einen Marathonläufer, der nimmt ihn mit auf eine erste kurze Tour  - und der Lebensweg von Jeffrey Norris nimmt an diesem Tag eine neue Richtung: Er entdeckt den Laufsport.

Jeffrey läuft und läuft. Weiter, immer weiter. Der Marathon reicht ihm schon bald nicht mehr. Er startet bei zahlreichen Ultraläufen, von Göteborg bis Monaco ist er unterwegs, er rennt beim Arctic Ultra auf dem zugefrorenen Yukon durch Kanada, er quält sich beim Desert Dash auf dem Mountainbike durch die Sandwüste von Namibia. Jeffrey lotet seine physischen und psychischen Grenzen aus. Der Sport wird ihm, dem Getriebenen, zur Katharsis. Heute weiß er: "Erst nach meiner Erblindung, als ich mit dem Laufen angefangen habe, da war ich soweit. Erst da konnte ich tief in mich selbst reingehen. Aus einem vermeintlichen Schicksalsschlag habe ich ein neues Leben begonnen."

Extremsport, das Erleben eines abenteuerlichen Wettkampfes auf höchster Ebene, an der Grenze des Menschenmöglichen, das wird für ihn zu einem neuen Lebensinhalt. "Das Weite, das Offene, das Unberührte, das ist für mich als Blinden ein sensorisches Happening, da kann ich ganz tiefe Emotion freilassen", schwärmt Jeffrey.

In der Extremsportszene ist er inzwischen eine feste Größe. Mit dem Abenteurer Hubert Schwarz war er in Namibia unterwegs, am vergangenem Samstag finishte er den Brave-Heart-Battle im unterfränkischen Münnerstadtstadt im Team von Peter Althof,  mit dem ihn eine langjährige Freundschaft verbindet. In Althofs Fitnesstudios trainiert er mehrfach pro Woche.  Einen weiteren Freund hat er in Tom Seidel vom "Alpinist" in Erlangen, der ihn in Sachen Ausrüstung unterstützt.



Wenn Jeffrey ausnahmsweise mal nicht sportlich unterwegs ist, dann hält er oft Vorträge zum Thema "Visionen", meist an Nürnberger Schulen. "Ich erzähle den Jugendlichen, von dem Weg den ich gegangen bin, und wie ich nach der Erblindung mein Leben neu organisiert habe. Ich sage ihnen immer: Egal welche Barriere es gibt, versuche dein Potenzial zu spüren."

Sein Potenzial im Triathlon, das will Jeffrey Norris auch dieses Jahr beim Challenge in Roth ausreizen. 2007 ist er schon einmal gestartet, seine Zeit von damals (13:46:08) will er unbedingt toppen. Mit ihm an den Start gehen auf der Schwimmdistanz Michael Dotzauer aus Erlangen, auf dem Rad der Altdorfer Matthias Reitenspieß und auf der Laufstrecke begleitet ihn Tony Gohr aus Nürnberg.


Derzeit trainiert Jeffrey vor allem das Schwimmen und das Laufen, ab Mitte März sind Fahrradtoren durchs Nürnberger Land geplant. "Ich hab noch keinen ausgetüftelten Plan. Ich mach das nach Gefühl", sagt Jeffrey und grinst. "Für mich heißt es beim Challenge zuallererst mal heil aus dem Wasser kommen. Dann will ich unbedingt die 13:46:08 knacken".


Ob's klappt? Jeffrey ist zuversichtlich: "Meine Stärke ist eigentlich, dass ich meine Ziele umsetze. Du weißt ja: Mir geht's darum, dass auch eine scheinbar ganz schwere Sache möglich ist".

 

 

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