Lacrosse: Der kleine Bruder des Krieges

30.7.2014, 14:55 Uhr
Lacrosse: Der kleine Bruder des Krieges

© Stefan Hippel

In Kanada füllen sie Stadien. Hier, in Nürnberg, treffen sie sich am Rande Ziegelsteins. Im Portfolio des DJK BFC, des Vereins also, der ihnen Obdach gewährt, wimmelt es nur so vor exotischen Sportarten. "Casting" und "Mölkky" heißen zwei davon, und wer an diesem Montag das Gelände betritt, muss auch an segelnden Frisbees vorbei. Eine Gruppe junger Männer hat sich ins hintere Eck des weitläufigen Geländes verzogen: An den Rand eines am Rande eines Stadtrand-Viertels gelegenen Sportplatzes also. Jenseits des Zauns beginnt der Sebalder Reichswald

Wer Lacrosse in Nürnberg spielen will, der landet hier, bei den "Titans". Ihr Logo: Ein griechischer Hoplit in Angriffsstellung, den Speer gereckt. Seit 2012 gibt es sie, wie Manuel Hastreiter erklärt. Erst Anfang der 90er schwappte die Sportart nach Deutschland; Erlangen, als Studentenstadt ein klassisches Epizentrum, strahlte das Lacrosse-Fieber weiter, und jetzt spielen sie in Nürnberg sogar schon im Ligabetrieb.

"Nach der Anfangseuphorie standen wir im Training irgendwann nur mehr mit vier Leuten auf dem Platz. Aber wir haben die Talsohle hinter uns", sagt Hastreiter. Inzwischen zählt das Team, dessen Kapitän er ist, 19 Spieler. "Momentan entwickeln wir uns richtig gut."

Fast wie beim Eishockey

Dann wirft er sich in Montur: Brustpanzer, Handschuhe, Ellenbogen-, Unterarmschoner. Er sieht aus wie ein Eishockeyspieler, dem der untere Part seiner Ausrüstung abhanden gekommen ist. Hastreiter greift nach seinem Netzschläger – dem markanten Symbol seines Sports – und schleudert ein paar Hartgummibälle, fest und präzise. Die Erlanger Tribesmen, Testspielgegner für die demnächst beginnende Saison, trudeln langsam ein, natürlich kennt man sich gut, wenn man ein für hiesige Verhältnisse exotisches Hobby teilt.

Weil Semesterferien sind und die Anzahl der fitten Spieler dezimiert ist, mischt man die Teams ein wenig durch und einigt sich auf ein Kleinfeldduell: 6 gegen 6.

Lacrosse, das wird nach wenigen Augenblicken sichtbar, ist ein harter Sport. Baggataway, "der kleine Bruder des Krieges": Nordamerikanische Ureinwohner haben ihn erfunden. Er bereitete sie vor auf Schlachten – oder aber ersetzte kriegerische Auseinandersetzungen mit anderen Stämmen ganz. Der Körpereinsatz ist kompromisslos, auch das Sportgerät hat mehr als eine balltragende und -passende Funktion: Mit ihm werden andere Spieler bearbeitet.

"Ein Schlagen gegen den Schläger ist erlaubt", erklärt Hastreiter – praktischerweise gehört der ganze Unterarm zum Schläger. Aber Lacrosse fordert, abgesehen von Robustheit, auch eine Vielzahl weiterer Eigenschaften: Flinkheit, Präzision, Nervenstärke, und da sich nicht alle Akteure in Angriff- und Abwehrarbeit einschalten dürfen, muss die Abteilung Mittelfeld vor allem eines nachweisen: Ausdauer. Immer wieder kommt es zu schnellen Tempogegenstößen, zusammen mit den harten Zweikämpfen prägen sie das Geschehen.

Pause. Durchatmen. Kreisbilden. "Wenn der den Ball fangen will, blast ihn weg", beschwört der Goalie seine Defense. "1-2-3-Nürnberg" schreien sie, dann kehren sie zurück aufs Feld, immer noch tief atmend. Inzwischen fließt Blut – allerdings nur hervorgerufen durch Stechmücken, die aus dem angrenzenden Waldstück mit seinen Tümpeln und dem Bachlauf ausscheren.

Denn trotz aller Härte ist die Verletzungsgefahr beim Lacrosse gering. Hastreiter deutet auf einen, der seine Hand eingegipst hat: "Erst der zweite gebrochene Daumen, den ich in fünf Lacrosse-Jahren gesehen habe", sagt er. Blaue Flecken aber gehören zu diesem Kontaktsport. Eben kann sich wieder einer drüber freuen: Er bekommt die tennisballgroße Hartgummikugel in die Seite. Es nimmt ihm kurz die Luft.

Nichts für Tussis

Dass Lacrosse in Deutschland zu den am schnellsten wachsenden Sportarten zählt, lässt sich auch im Mikrokosmos der Titans feststellen. Auf dem Nebenplatz trainiert das Damen-Team, es wurde erst im April gegründet und "boomt" derzeit, wie Hastreiter sagt. Bei den Frauen ist deutlich weniger Härte erlaubt, sie verwenden einen Schläger mit flacherem Netz, der das Ballführen anspruchsvoller macht.

Lacrosse: Der kleine Bruder des Krieges

© Stefan Hippel

Mit-Initiatorin Katharina Elßner kam wie viele andere in ihrem Auslandssemester in Kontakt mit dem Sport. "Konzentration, Kommunikation, Schnelligkeit", darauf käme es beim Frauen-Lacrosse an, erklärt sie, aber einstecken können, das müsse man auch hier: "Für Tussis", sagt sie, "ist der Sport nichts."

Es sind nicht nur schmerzresistente sondern auch sehr sympathische Damen und Herren, die diesem Sport hier nachgehen: Kein Snobismus-
Hauch, mit dem Lacrosse ja gerne belegt wird, umweht das Gelände. Sie spielen bis in die Dämmerung hinein, diese Krieger mit ihren Lang- und Kurzwaffen. Über Interessenten, betonen Manuel und Katharina, würden sie sich immer freuen. Montags und donnerstags sei Training, Leihausrüstung sei vorhanden, jedem einzelnen Neuen werde man die Basics beibringen und zunächst Welpenschutz gewähren. Denn die Lacrosse-Gemeinde soll weiter wachsen, raus aus den Rändern der Aufmerksamkeit.

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