Liebe auf den ersten Workout

20.10.2017, 06:00 Uhr
Christopher Plachki und Jonathan Sindel beim Beach-Throwdown in Den Haag.

Christopher Plachki und Jonathan Sindel beim Beach-Throwdown in Den Haag.

Sie selbst nennen es Ehrgeiz, Freunde gar unbändigen Ehrgeiz. Für Außenstehende ist es Sucht. Für Kritiker wohl krankhaft. Jonathan Sindel aber kennt für seine große Leidenschaft nur ein Wort: geil.

Seit fünf Jahren macht der 27-Jährige (Foto: rechts) Crossfit, die Kombination aus Kraft- und Ausdauersport, Turnen und Eigengewichtsübungen. Eine Fitnesstrainingsmethode, bei der man nicht wenig Geld dafür bezahlt, auf abwechslungsreiche Weise an seine körperliche Grenze zu gehen. Oder auch einmal darüber hinaus.

Früher spielte Sindel Tennis und Fußball, ging ins Fitnessstudio. "Als ich die ersten Male Crossfit gemacht habe, habe ich gespürt: Das ist etwas, was mir taugt." Dabei wusste er lange Zeit gar nicht, was er sucht. Für Sindel, 27 Jahre alt, Statur kanadischer Holzfäller, von Beruf aber Fertigungsteamleiter im Elektronikkonzern, war es Liebe auf den ersten Workout.

Bald besucht er sechsmal in der Woche die Crossfit-Kurse: Mal muss man Gewichtsstangen stemmen, mal 400 Meter sprinten, sich an Stangen hochziehen, auf Kisten springen, Taue bis zur Decke klettern. "Es hat riesig Spaß gemacht, war immer etwas anderes, und ich wollte immer mehr." Der einsame Kampf gegen die Uhr, gegen die Erdanziehung, gegen sich selbst hatte begonnen, die Muskeln wuchsen. Das einzige Problem: Man wird diesen Kampf niemals gewinnen, er wird immer weiter gehen. "Zum Glück", sagt Sindel. "Anfangs hat meine Freundin komisch geguckt und mich für verrückt gehalten." Dann fängt sie selbst mit Crossfit an, besitzt heute gemeinsam mit einem Geschäftspartner die erste Crossfit-Box in Erlangen. Ihr Freund setzt sich mittlerweile zum Ziel, 100 Kilogramm zu stemmen. Als es eines Nachmittags gelingt, freut er sich. Doch dann fragt er sich: Soll es das gewesen sein? "Jetzt sind eben die 110 mein Ziel." Auch wenn er es nicht zugibt: So wird es immer weiter gehen.

Täglich drei Stunden Training

Im Internet besorgt er sich mit Kumpel Christopher Plachki Zusatztrainingspläne. Die beiden gehen seitdem täglich drei Stunden in der Box der Freundin trainieren: Gewichtheben, Intervalleinheiten, Stabilitätsübungen. "Unser ganzes Leben ist nur noch auf das Training abgestimmt."

Und weil der Kampf gegen sich selbst langweilig wird, locken jetzt deutschland- und europaweite Vergleichswettkämpfe. Plachki und Sindel reisen nach Den Haag zum "Beach Throwdown", ziehen an der Nordseeküste mit Gurten Schlitten, beladen mit Gewichtsscheiben, durch den Sand. Sie wuchten zentnerschwere Medizinbälle durch die Luft oder drehen riesige, liegende Traktorreifen auf die andere Seite. "Warum?", fragt Sindel. "Es macht einfach Spaß." Sie landen auf Rang elf von 40 – vor Teams aus Spanien, Holland, Österreich, Deutschland. Sie könnten jetzt glücklich sein. Aber es gibt ein Problem: Es geht noch besser.

Nur die 30 Besten dürfen kommen

Neben den Team-Wettbewerben melden sie sich auch für Individuals an, Einzelstarts. Immer kostet es nicht nur Kraft, sondern auch Geld und Urlaubstage. "Für die Qualifikation machen wir in Erlangen verschiedene Workouts", erklärt Sindel. Das ganze wird gefilmt und auf YouTube geladen, so können die Veranstalter sehen, dass sie auch wirklich die besten 30 Bewerber zum Finale einladen.

So war es auch vergangenes Wochenende wieder, in Glasgow: 170 Euro Flug, 150 Euro Unterkunft, 150 Euro Verpflegung, 100 Euro Teilnahmegebühr. Und dafür? Herrliche Qualen: Sechs grenzwertig anstrengende Workouts standen an, alle auf Zeit, alle auf Leistung, an nur zwei Tagen. Sindel und Plachki quälen sich bis an ihre Leistungsgrenze und darüber hinaus, stehen nach vier Runden auf Rang eins — bis im vorletzten Workout, als es darum geht, 80 Mal einen Medizinball in die Luft zu stoßen, 60 Klimmzüge bis an die Brust zu machen, zehnmal ein Seil zur Decke zu klettern, Rang vier aufleuchtet.

"Es war die Hölle"

"Wir waren erstmal geschockt", sagt Sindel. Eine Energieleistung ist jetzt nötig, um aus den müden Schultern, Beinen, Armen, Hüften den Sieg zu holen. "Dieser Wettkampf war die Hölle", sagt Jonathan Sindel. Abwechselnd gilt es jetzt, ein 200-Kilo-Gestell auf die Schultern zu laden, zehn Meter weit zu schleppen. Danach dasselbe mit 80 Kilo Gewicht wie ein Koffer in den Händen. Dann noch ein Stein, 60 Kilo schwer, auf den Unterarmen. Abschließend folgen zehn Burpees – Liegestütz mit Strecksprung. Alles wiederholt sich ganze drei Mal.

Christopher Plachki (links) und Jonathan Sindel.

Christopher Plachki (links) und Jonathan Sindel.

Es reicht tatsächlich: Als Team "Chalkin’ Dirty", das für Crossfit Erlangen startete, gewinnen Plachki und Sindel den Scottish Throwdown — kein Preisgeld, aber Ehre und endlich die Gewissheit, dass diesmal niemand besser war. Auch keines von den gesponserten Teams mit Aufnähern von Nahrungsergänzungsmitteln oder Sportartikelherstellern. Plachki und Sindel hatten nur einmal, nun ja, einen Sponsor: Die Mutter der Freundin hatte die Benzinkosten übernommen.

Sogar die Freundin schüttelt den Kopf

Nach dem körperlich anstrengendsten Wochenende ihres Lebens wollen Plachki und Sindel auf dem vierstündigen Rückflug nach Nürnberg nur noch schlafen: Die Muskeln schmerzen, die Augenlider sind schwer geworden. Aber bevor es vom Flughafen nach Hause geht, fahren sie noch kurz in die Box nach Erlangen-Bruck: Locker trainieren. Sogar die Freundin schüttelt diesmal nur noch den Kopf. Für Jonathan Sindel und Christopher Plachki aber ist es: geil.

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