"Mir ging nicht die Düse": Schletterer feiert Handballtraum

28.11.2017, 14:01 Uhr
Lange Zeit ambitionierter Hobby-Handballer, dann Trainingsgast mit besonderem Sitzplatz. Seit Samstagabend Bundesligatorschütze: Jonas Schletterer.

© Sportfoto Zink / OGo Lange Zeit ambitionierter Hobby-Handballer, dann Trainingsgast mit besonderem Sitzplatz. Seit Samstagabend Bundesligatorschütze: Jonas Schletterer.

Der Traum war ja eigentlich schon vorbei. Weggepackt und abgehakt, nicht mehr als ein Hirngespinst vielleicht, aus Jugendtagen. Erste Liga, in diesen vollen Arenen, gegen die großen Klubs und noch größeren Namen – "klar, man träumt immer davon", sagt Jonas Schletterer. Aber dann war er irgendwie immer verletzt, damals, unter Frank Bergemann, als er zu Zweitligazeiten mittrainieren durfte. Der Traum jedenfalls, er erfüllte sich nie.

Für Jonas Schletterer, der an einem Julitag vor 22 Jahren in Erlangen geboren wurde, als Sohn eines Koreaners und einer Deutschen, war die U23 fortan die sportliche Heimat. Erst Bayernliga, jetzt dritte Liga unter Trainer Tobias Wannenmacher in der Hiersemann-Halle. "Dritte Liga", sagt er, "ist ja auch schon ordentlich, finde ich." Als einziger Linkshänder im Team lastet viel Druck dort auf ihm, Druck der ihn schon mal mehr hemmt, als dass er antreibt.

Schletterer profitiert von Verletzungen

Seit zwei Wochen und den schwereren Verletzungen von Johannes Sellin und Nicolai Theilinger, ist Schletterer wieder dabei im Training der ersten Mannschaft. Nicht etwa, weil man an ihm aufgrund der gezeigten Leistungen in der U23 nicht vorbei käme – so ehrlich ist auch er selbst. "Die beiden Linkshänder sind verletzt, jetzt habe ich auf diesem Weg noch einmal eine Chance bekommen." Doch für viel mehr als Training schien lange Zeit für den 1,90-Meter-Mann nicht drin zu sein. Zwar stand er gegen Schlusslicht Tus N-Lübbecke erstmals auf dem Spielberichtsbogen, auch in Magdeburg gehörte er zum Kader – doch seinen Pullover musste Schletterer in den großen Arenen nie ausziehen. Es war vielmehr so, dass er seinem alten Traum schlagartig sehr nah war, ja, nur einen Schritt saß er entfernt vom Spielfeld. Nur mitspielen, das durfte er eben nicht.

"Ich habe eben auf der Bank alles gegeben", sagt Schletterer. Mitspieler anpeitschen, aufbauen, nach vorne schreien – das war aus dem Traum zuletzt geworden. Man kann sagen, Jonas Schletterer hatte einfach einen besonderen Sitzplatz. 

"Das ist ein Riesengefühl"

Bis am Samstagnachmittag in der Arena gegen die MT Melsungen der junge Maximilian Lux auf Rechtsaußen drei von vier Würfen recht kläglich Melsungens Nebojsa Simic an die Hüfte donnerte. "Mir ging nicht mit jedem Fehlwurf ein wenig mehr die Düse", behauptete Schletterer. "Es war vielmehr so, dass ich mich gefreut habe, als der Trainer mich aufs Feld schickte. Ich mein’: Dafür spielt man doch Handball." Und dann war Jonas Schletterer schon mitten drin in seinem Traum, vor 4581 Menschen in der Arena. "Die meisten Spiele hatte ich im Fernsehen gesehen", erzählte er, "oder ich war mal als Zuschauer hier."

Jetzt war er der Rechtsaußen. Die, die er sonst im Fernsehen sah, wie sie 2016 Weltmeister wurden zum Beispiel, waren jetzt die Gegenspieler: Finn Lemke, Julius Kühn oder Tobias Reichmann. "Ich kann das kaum beschreiben. Das ist ein Riesengefühl, da plötzlich mitzuspielen." Nicht nur das: Jonas Schletterer machte seine Sache sehr ordentlich, hielt diszipliniert die Positionen in der Deckung und im Angriff. Er setzte kaum Akzente, fiel aber auch nicht negativ auf – bis zum 15:16. Eben war Michael Haaß auf die Strafbank geschickt worden, ein irrer Katsigiannis hielt einen dieser vielen Würfe – und Martin Stranovsky schnappte sich den Ball. Dann sah er am Kreis völlig frei: Jonas Schletterer.

Der fing den Pass, hob ab – und legte ihn Simic, der vergangene Woche noch die Werfer des Deutschen Meisters völlig entnervt hatte, lässig durch die Beine. "Wenn diese Arena halb wegfliegt, weil man ein Tor macht, das ist ein unglaubliches Gefühl", gestand er später und musste immer noch beim bloßen Gedanken daran grinsen. Zwei, die in diesem Moment vermutlich am meisten ausflippten auf den Rängen, waren sein Vater und sein Bruder. "Eigentlich wohnen meine Eltern derzeit in Korea, ich bin mit meinem Bruder in Erlangen geblieben", freute sich Schletterer, im dritten Semester studiert er Wirtschaftswissenschaften in Nürnberg. "Aber Papa musste für eine Geschäftsreise zufällig nach Erlangen." Und konnte miterleben, als der Kindheitstraum seines Sohnes Realität wurde. 

Keine Kommentare