Neustart mit Olympiasiegerin bei Nürnbergs Korbjägern

20.8.2014, 13:23 Uhr
Neustart mit Olympiasiegerin bei Nürnbergs Korbjägern

© Sportfoto Zink

Es gibt da ein schwarzes Buch, in dem alles drinsteht, was ein erfolgreicher Zweitligatrainer wissen muss. Aber Ralph Junge wird dieses Buch in den kommenden zwei Stunden kein einziges Mal aufschlagen. Trotzdem wird er ununterbrochen reden, Anweisungen geben, antreiben, motivieren, erklären, loben und tadeln. Nach der ersten flotteren Übungsform sagt er: "That’s probably C-Jugend-Niveau." Das Niveau des Coachings bei dieser ersten Trainingseinheit ist hingegen wahrscheinlich ungewöhnlich hoch – auch wenn Fachkundige den Vergleich mit Junges Vorgängern nur hinter vorgehaltener Hand ziehen.

Im schwarzen Buch steht alles, was Junge sich vorgenommen hat, dieser neu formierten Mannschaft beibringen zu wollen. Bei ihm zu Hause finden sich viele dieser schwarzen Bücher. Junge ist seit 16 Jahren Basketballtrainer, noch nie hat er eines dieser schwarzen Bücher weggeschmissen, zwischendurch blättert er immer mal wieder darin herum, um sich von alten Übungen inspirieren zu lassen. Am ersten Tag in Nürnberg beginnt er mit Übungen, die das richtige Defensivverhalten automatisieren sollen. Junge unterbricht immer wieder, korrigiert, sein Ton ist klar, aber nicht unfreundlich. Seine Stimme hallt durch die Dreifachturnhalle. auch Will Chavis, einst Identifikationsfigur auf dem Parkett, neuerdings Junges Assistenz-Trainer, spricht, aber man hört ihn nicht.

Es ist schummrig in der Bertolt-Brecht-Schule, als hätte Markus Mende, der neue Öffentlichkeitsarbeiter des NBC, einen Instagram-Filter über die Szenerie gelegt. Tempo und Intensität aber bleiben hoch, bis zur letzten Minute. Sie sollen auch nicht abnehmen, wenn jeder der sieben neuen Spieler gezeigt hat, was er drauf hat, wenn das Training zum Alltag geworden ist. Ralph Junge verspricht das – antreiben, erklären, loben und tadeln will er auch weiterhin. Und das schwarze Buch wird er erst nach den Trainingseinheiten aufklappen, nur um darin aufzuschreiben, dass sich das Übungs-Niveau allmählich dem einer ambitionierten Zweitliga-Mannschaft angleicht.

Natürlich gab es Szenen, in denen Matthew Meredith aussah, als sei er gerade einmal 14 Jahre alt. Das ist nicht überraschend, Matthew Meredith ist ja tatsächlich erst 14 Jahre alt. Und bei einem 14-Jährigen kann es schon einmal passieren, dass der Ball schon wieder weg ist, ehe er ihn überhaupt hat fangen können. An diesem Montag im August muss er sich Josh Young erwehren, der zuletzt drei Spielzeiten das Trikot der Bundesliga-Mannschaft der Tübingen Tigers hat tragen dürfen, oder Jud Dillard, der zuletzt in Litauen, Europas heimlicher Basketballgroßnation, sein Geld verdient hat. Matthew Meredith hat zuletzt gar kein Geld verdient, er ist Schüler und hat in seiner Freizeit zuletzt das Trikot der JBBL-Mannschaft des Nürnberger Basketballclubs getragen. Was also macht er hier, unter diesen ambitionierten Profis, die Ralph Junge zum ersten Mal um sich versammelt hat? Was machen Pal Ghotra und Tim Handt hier, die zwischen den Übungen, auch das ist nicht überraschend, sie sind ja lediglich zwei Jahre älter als Meredith, vor allem durch ausgeprägtes pubertäres Phlegma auffallen? "Sie sollen jetzt erst einmal drei Monate um ihr Überleben kämpfen", sagt Coach Junge, „und dann werden sie hier mithalten können.“

In Ehingen hat er das schon oft genug erlebt. Lucca Staiger war ebenfalls 14 Jahre jung, als er in der ersten Mannschaft zum Leistungsträger wurde, Nicolai Simon und Bogdan Radosavljevic, die heute ebenfalls der großen Auswahl an deutschen Auswahlspieler zugerechnet werden, waren 15. Meredith, Ghotra und Handt sind vielleicht nicht so talentiert wie es Staiger einst war, aber sie sind nicht zufällig und unvorbereitet in diese erste Trainingseinheit geplatzt. Sie wissen, was man schon jetzt von ihnen erwarten darf: jeden Laufweg sprinten, dagegenhalten, so weit ihnen das in ihren dürren Körpern möglich ist und, vor allem, sich die Nervosität nicht anmerken lassen. Ein peinlicher Ballverlust, keine Reaktion. Eine gute Penetration, keine Reaktion. Ein Ballgewinn gegen Young, keine Reaktion. Ein verwandelter Distanzwurf, ein Lächeln, aber ganz kurz nur.

Michael Fleischmann ist ja nun auch schon . . ., Moment mal, kann das richtig sein, gerade einmal ein Jahr hier in Nürnberg? Das kann schon sein. Aber nach zwei Trainerwechseln, einer zuweilen peinlichen Punkterunde und überraschend starken Play-offs fühlt es sich so an, als würde dieser großartige Dauersprücheklopfer in seine siebte Spielzeit mit dem NBC starten, mindestens. Fleischmann zögert kurz, als er gefragt wird, wie sich das nun anfühle, in Nürnberg zum ersten Mal unter der Anleitung eines echten Trainers arbeiten zu dürfen. Er zögert und sagt dann doch nur: "Es fühlt sich gut an."

Neu fühlt es sich nicht an. Fleischmann war mit Ralph Junge in China unterwegs. Zweimal hatte ihn der Coach zuvor bereits gefragt, zweimal hatte Fleischmann abgesagt. 2012 wurde Tochter Linea geboren, 2013 zog er samt Familie nach Nürnberg um. Im Sommer 2014 heiratete er – und flog trotzdem mit nach China, auch um Junge noch ein wenig besser kennenzulernen. Nach "einer richtigen guten Zeit" kann Fleischmann nun von "einer neuen Intensität, neuen Ansprüchen und neuen Ansätzen" berichten. Von diesem Montag im August sagt er, dass er der schönste Tag des gesamten Sommers sei. Wegen des Trainingsauftakts, echt jetzt? Nein, weil er am Abend seine Tochter und seine Frau wiedersieht, die noch einmal einen Kurzurlaub eingeschoben hatten.

rent4office hat eine Olympiasiegerin verpflichtet. Natürlich ging es bei der Entscheidung, Sandra Kiriasis künftig mit dem Athletiktraining zu betrauen, auch um solche Sätze. Es ging aber auch darum, die Mannschaft mit echten Gewinnertypen zu konfrontieren. "Sandra Kiriasis", sagt Ralph Junge, "hat etwas gewonnen – und das nicht nur einmal." Sondern siebenmal (Weltmeisterschaften) und einmal (Olympische Goldmedaillen), allerdings nicht im Basketball, sondern im Bobfahren. Für Ralph Junge war das kein Hindernis, sondern ein guter Grund, mit der 38 Jahre alten Wahl-Nürnbergerin zusammenzuarbeiten, die nach dem fünften Platz in Sotschi ihre große Karriere beendet hat.

"Um was geht es beim Bobfahren? Um Explosivität und Sprintfähigkeit auf den ersten 20 Metern", erklärt Junge. "Und um was geht es beim Basketball?" Genau. "Vor allem weiß sie, wie viel Arbeit nötig ist, um Titel zu gewinnen." Viermal in der Woche wird Kiriasis die langen Kerls sprinten und springen lassen, während der Saison noch dreimal. Sollte es dann trotzdem nichts werden mit dem Gewinnen im Basketball, bleibt Kraftpaketen wie Robert Oehle immer noch eine Zweitkarriere im Bob Nürnberg I.

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