Patrick Erras: Vom Balljungen zum Bundesligaspieler

19.5.2018, 13:46 Uhr
Schuften für den großen Traum: Patrick Erras hat sich unzählige Stunden gequält, um seinem Club wieder helfen zu können.

© Sportfoto Zink / DaMa Schuften für den großen Traum: Patrick Erras hat sich unzählige Stunden gequält, um seinem Club wieder helfen zu können.

Einen Vollsprint hat Patrick Erras diesmal nicht hinlegen müssen, um vor den euphorischen Massen zu flüchten. Einen Vollsprint könnte Patrick Erras in diesen Tagen aber auch gar nicht hinlegen. Der junge Fußballprofi aus der Oberpfalz ist verletzt, mal wieder. "Aber das", sagt er nun, als das Nürnberger Fußballstadion nach neun Jahren wieder einmal fast übergelaufen ist vor Glück, "hat diese Saison nicht geprägt." Viel wichtiger war etwas anderes: "Entscheidend war, dass ich zurückgekommen bin", findet er; entscheidend für ihn, vor allem aber auch für seinen Club.

Die Männer, die ab sofort den Beinamen "Aufstiegshelden" tragen, haben viele besondere Geschichten geschrieben, die von Patrick Erras ist noch ein wenig spezieller.

Beim letzten Mal, als der 1. FC Nürnberg in die Bundesliga aufgestiegen ist, war er gerade einmal 14 Jahre jung, die Kräfte, die so ein Aufstieg freisetzt, erlebte er trotzdem schon hautnah. Als Balljunge im Stadion.

2007 war der gebürtige Amberger von seinem Heimatverein SV Raigering in die Nachwuchsabteilung am Valznerweiher gewechselt und traf dort auf einen Club, der sich gerade zu einem sehr seriösen Mitglied der Bundesliga zu entwickeln schien. Pokalsieger durfte sich der 1. FC Nürnberg in diesem Jahr nennen und in der folgenden Spielzeit mit Teams aus Liverpool und Lissabon messen. Dass Erras als Balljunge trotzdem sehr bald Zweitligaspiele begleitete, dürfte eine lehrreiche Erkenntnis über seinen neuen Verein gewesen sein.

Erras musste allerdings nicht lange ein Balljunge in der zweiten Bundesliga sein. Ende der Saison 2009 setzte sich Nürnberg in der Relegation mit 3:0 und 2:0 gegen Energie Cottbus durch und weil die Fans ihrer überbordenden Freude auch damals durch einen Platzsturm Ausdruck verliehen, musste Erras eben einen Vollsprint hinlegen.

Flucht mit einem Lächeln

Frühzeitig hat er damals die Ansage bekommen, dass sich die Balljungen am besten noch vor dem Abpfiff zum Ausgang begeben sollen, erinnert er sich heute. Als die große Mehrheit der 46 780 Zuschauer den Rasen flutete, war er bereits im Bauch des Stadions in Sicherheit – natürlich mit einem Lächeln im Gesicht, es handelte sich ja lediglich um eine Flucht vor euphorisierten Fußballfans.

Diesmal musste er sich deswegen nicht sorgen, stellte der 23-Jährige nach dem Saisonabschluss gegen Düsseldorf mit einem Schmunzeln fest, er saß ja auf der Tribüne; zusammen mit den anderen Kollegen, deren Körper früher oder später in dieser Saison gestreikt haben.

Außergewöhnliche Qualitäten

Wer die Geschichte des Fußballprofis Patrick Erras erzählen will, der kommt an seiner Krankenakte nicht vorbei. Gefüllt hat er sie nahezu an einem Tag im März 2016.

Im März 2016 war der 1. FC Nürnberg wieder einmal auf einem guten Weg, in die Bundesliga zurückzukehren. Zu verdanken hatten sie das auch einem Talent, das erst in der laufenden Saison zu den Profis gestoßen war. In 16 Spielen kam der knapp zwei Meter große Mittelfeldspieler zum Einsatz. Mit einer erstaunlichen Ruhe und Übersicht ordnete er das Spiel einer Mannschaft, die seit dem letzten Abstieg kaum Gelegenheiten gehabt hatte, wieder Selbstvertrauen zu entwickeln. Patrick Erras durfte sofort Selbstvertrauen entwickeln und mit ihm der ganze Club.

Kein einziges dieser 16 Spiele, in denen Erras das Geschehen zwischen Abwehr und offensivem Mittelfeld kontrollierte, ging verloren. "Sechzehn", sagte der Aufsteiger der Saison damals, "ist schon eine Riesenzahl." Und: "Ganz realisiert man das wohl erst, wenn mal Pause ist."

Pause war dann leider sehr bald.

Nach seinem 16. Einsatz bei den Profis verlor Erras im Training die Kontrolle über seinen Körper, in seinem rechten Knie ging so ziemlich alles kaputt, was in einem Knie kaputtgehen kann, vor allem riss er sich das Kreuzband. Es allein mit Erras’ Verletzung zu begründen, dass es am Ende der Spielzeit 2015/16 nicht reichte für den Aufstieg, wäre eine grobe Vereinfachung, dass der 1. FC Nürnberg auch aufgrund seiner Rückkehr nun mit Verspätung aufgestiegen ist, das lässt sich aber zweifelsfrei behaupten.

Über ein Jahr dauerte es, bis er überhaupt einmal wieder seinen Beruf ausüben konnte. Unzählige Stunden quälte er sich in Donaustauf und der Rehaabteilung am Valznerweiher, zog einsam seine Kreise ums Trainingsgelände, um wieder ein richtiger Fußballer sein zu dürfen. Nach einem weiteren Rückschlag in der Vorbereitung auf die neue Saison, kehrte er am sechsten Spieltag in die Startaufstellung zurück. Es folgten: ein 6:1 in Duisburg, ein Heimsieg gegen Bochum und der Erfolg im Derby gegen Fürth. Michael Köllner, sein Trainer, sagte: "Die Art, wie er spielt und die Mannschaft führt, ist außergewöhnlich."

Reha bis zum Auftakt

16 Partien ungeschlagen: Das glückte Erras und dem Club diesmal nicht, dennoch reichte es, um sich oben festzusetzen. Als sich Erras am 31. Spieltag, in Kiel, auf dieser so wichtigen Etappe, wieder verletzte, rechneten nicht wenige Beobachter wohl mit dem Schlimmsten. Von den Betreuern gestützt verließ er das Feld, die Diagnose: Innenbandriss – bei Erras muss man sagen: "nur" ein Innenbandriss.

Während seine Kollegen jetzt in den Urlaub fahren, wird sich der 23-Jährige wieder einmal der Reha widmen, bis zum Auftakt in die neue Saison will er fit sein. Dass er seiner Krankenakte wieder ein Blatt hinzugefügt hat, nimmt er diesmal einigermaßen entspannt. Er hat ja schon deutlich schwierigere Aufgaben bewältigt.

"Ich habe damals von so etwas geträumt", sagt Patrick Erras über sein neun Jahre jüngeres Ich. "Aber damit rechnen konnte ich nicht." Er hat dabei immer noch die großen leuchtenden Augen eines kleinen Balljungen.

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