Referendum: Hamburger lehnen Olympia überraschend ab

29.11.2015, 21:40 Uhr
Referendum: Hamburger lehnen Olympia überraschend ab

© Carsten Rehder (dpa)

Zu diesem Zeitpunkt lag das Lager der Gegner mit 51,6 der Stimmen uneinholbar vorn - eine herbe Enttäuschung auch für Scholz und den rot-grünen Senat. «Das ist eine Entscheidung, die wir uns nicht gewünscht haben. Sie ist aber klar», sagte Scholz.

Damit erlebte Deutschland seine zweite olympische Pleite binnen zwei Jahren. 2013 hatten München und Umgebung in einer Volksbefragung gegen Winterspiele 2022 votiert. Nachdem die Ausrichtung des größten Sportspektakels hierzulande erneut durchgefallen ist, hat sich Deutschland damit vorerst ins Abseits katapultiert. Da hilft auch nicht, dass die Kieler mit großer Mehrheit (65,57 Prozent) für Segel-Wettbewerbe auf der Förde stimmten.

Der Abend wurde zum Zitterspiel. Gegner und Befürworter lieferten sich lange ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Das ZDF hatte mit einer Prognose die Auszählung eingeleitet, die 56 Prozent Zustimmung ausgemacht haben wollte. Ein Fehlurteil.

Tatsächlich lagen mit der Auszählung der ersten Wahllokale die Gegner knapp vorn. Das verfestigte sich auf einen Vorsprung von rund vier Prozent. «Wir haben einen Stimmungswandel in der Stadt bemerkt», sagte Florian Kasiske aus dem jubelnden Lager der Initiative NOlympia. «Die Menschen sehen, dass es Sachen gibt, wo das Geld besser angelegt ist.»

Unerwarteter Tiefschlag

Für Scholz ist die Absage ein unerwarteter Tiefschlag. Er hatte Olympia als wichtigstes Projekt der Legislaturperiode ausgegeben. Die Stadtentwicklung sollte bis 2024 auf einen Stand gebracht werden, der normalerweise 20 bis 30 Jahre in Anspruch genommen hätte. Aus der Traum.

Die Frage Olympia ja oder nein hatte die Hamburger stärker mobilisiert als andere Themen. Rund 650 000 der 1,3 Millionen Wahlberechtigten gaben in dem vierwöchigen Verfahren ihre Stimme ab. Das entspricht einer Beteiligung von etwa 50 Prozent. «Ich bin enttäuscht und traurig. Es wäre eine große Chance gewesen», sagte der Vorstandschef des Fußball-Bundesligisten Hamburger SV, Dietmar Beiersdorfer.

Die Teilnahme am Referendum überstieg vergleichbare Volksbefragungen in der Hansestadt deutlich. Am Volksentscheid über die Schulreform fünf Jahre zuvor hatten sich nur 39,3 Prozent beteiligt. Das amtliche Endergebnis steht erst am 15. Dezember fest.

Größte Bedenken hatten in der Hansestadt zuletzt wegen der ungeklärten Finanzierung geherrscht. Der Bund sträubte sich selbst wenige Tage vor Referendumsschluss, den von Hamburg errechneten Anteil in Höhe von 6,2 Milliarden Euro zu übernehmen. «Es geht um viel Geld. Und da werden wir uns am Ende schon einigen», versuchte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) zu beruhigen. Das gelang ihm offensichtlich nicht. Insgesamt sollten die Spiele 11,2 Milliarden Euro kosten. Maximal 1,2 Milliarden hätte Hamburg übernommen. Als Erlöse wurden 3,8 Milliarden Euro erwartet.

Begeisterung bröckelte zusehends

Zuletzt war den Olympia-Planern nach anfänglicher Euphorie der Gegenwind kräftig ins Gesicht geblasen. Im Frühjahr wollten noch 64 Prozent Olympia an die Elbe holen. Doch die Begeisterung bröckelte zusehends. Flüchtlingskrise, Terroranschläge in Paris, abgesagtes Fußball-Länderspiel in Hannover, DFB-Affäre, FIFA-Skandal, flächendeckendes Doping in der russischen Leichtathletik - das alles sorgte für Nachdenklichkeit, Verunsicherung und Abkehr von sportlichen Idealen. «Alles, was über 50 Prozent an Zustimmung liegt, gilt unter Demokraten als Legitimation weiterzumachen», hatte DOSB-Präsident Alfons Hörmann gesagt und damit die Gratwanderung vorausgesehen.

Mit der Entscheidung gegen eine Bewerbung ist auch eine stärkere Förderung des Leistungssports in Deutschland durchgefallen. Der DOSB hatte auf eine Kehrtwende gehofft. Seit der Wiedervereinigung ist die Medaillen-Ausbeute der Athleten mit dem Bundesadler auf der Brust stetig geringer geworden. Bei den Olympischen Spielen 1992 in Barcelona gewannen die Deutschen 82 Medaillen, bei den Spielen 2012 in London ware es nur noch 44. Olympische Spiele im eigenen Land sind wie ein Katalysator für die Entwicklung des Spitzensports. Schließlich will der Gastgeber nicht nur mit modernen Sportanlagen und einem funktionierenden Nahverkehr auffallen.

«Wir wollen Sport-Deutschland mit dem Projekt Gutes tun», hatte Hörmann vorab geworben. Von neuen finanziellen und personellen Zuwendungen sollte auch der Breitensport profitieren, der Erweiterung und Sanierung der Hallen und Anlagen fordert. Zudem wollte der DOSB mit Olympia in Hamburg die Schieflage im Sport bekämpfen. «Es geht darum, in der Zwei-Klassen-Gesellschaft zwischen dem erfolgreichen Profifußball und den anderen Sportarten ein annäherndes Gleichgewicht zu schaffen», sagte Hörmann. Der DFB will sich um die EM 2024 bewerben.

Im Wettstreit um Olympia müssen die Bewerber Paris, Los Angeles, Rom und Budapest - sie fragen ihre Einwohner allesamt nicht um Zustimmung - Hamburg nicht mehr fürchten. Das Konzept der kompakten Spiele in der Innenstadt mit dem Herz aus Olympiastadion, olympischem Dorf und Olympia-Halle auf einer Elbinsel hätte sich von anderen Konzepten deutlich unterschieden.

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