Ruthenbeck: "Das geht mir einen Tick zu schnell"

20.5.2016, 06:00 Uhr
Ruthenbeck:

© Sportfoto Zink

Herr Ruthenbeck, wie haben Sie den Abend nach dem letzten Saisonspiel verbracht?

Stefan Ruthenbeck: Ich hab’ noch ein Bierchen getrunken mit den Leuten von der Geschäftsstelle. Zuhause habe ich mir noch ein Glas Wein eingeschenkt und war dann früh im Bett. Ich habe am Montag und Dienstag Analyse betrieben, Fazit gezogen von dem Jahr.

Wie fiel es aus?

Ruthenbeck: Es war eine ordentliche Saison nach einem ganz schweren letzten Jahr. Wir haben vieles auf einen anderen Weg gebracht, auch aufgrund der Personalentscheidungen. Zwei, drei Plätze mehr hätte gehen können.

Enttäuscht?

Ruthenbeck: Nein, auch wenn wir sehen, dass noch etwas mehr gehen kann. Das spricht für das Potential der Spieler. Immerhin haben wir den zweitjüngsten Kader der Liga.

Ein harter Hund hätte nach den drei Niederlagen zum Saisonende auf den Tisch gehauen. Wie haben Sie reagiert? Wie ein harter Hund oder ein Spielerversteher?

Ruthenbeck: Wenn harter Hund bedeutet, dass ich jemanden vor der Mannschaft denunziere, damit der gedemütigt ist, dann will ich das nicht sein. Wenn du willst, dass die Jungs einen Plan verfolgen, dann musst du sie mit ins Boot holen. Dann musst du ihnen klar Grenzen aufzeigen, bis hierher und nicht weiter. Und ich glaube, das tue ich. Ich bin in meinen Entscheidungen sehr konsequent, zum Beispiel bei Transferentscheidungen im Winter. Wir sind nicht Wege gegangen, die einfach sind.

Trotzdem sah man sie zuletzt ein wenig ratlos.

Ruthenbeck: Der Trainer ist darauf angewiesen, dass der Plan auch umgesetzt wird. Vielleicht wird der Trainer manchmal auch überbewertet. Zumal es in der zweiten Liga immer auf die kleinsten Kleinigkeiten ankommt, die manchmal Spiele in eine Richtung lenken.

Wie haben Sie denn versucht, den Negativlauf zu durchbrechen?

Ruthenbeck: Wir haben alles versucht: Wir sind laut geworden, wir haben sie in Ruhe gelassen, durchtrainiert, frei gemacht, klare Ansagen gemacht, Mut zugesprochen. Die Mannschaft hat dann aber Charakter gezeigt und es war beeindruckend, dass sie gegen so einen unangenehmen Gegner wie Sandhausen fast schon souverän gewonnen hat.

Die Spielvereinigung hat in dieser Saison die höchste Zahl an Gegentoren bekommen seit dem Aufstieg in die zweite Liga 1997. Warum?

Ruthenbeck: Weil wir sehr viel riskiert haben dieses Jahr, wir haben versucht, nach vorne Fußball zu spielen und viele Siege einzufahren. Wir betreiben viel Aufwand, wir haben immer viele Leute im gegnerischen Enddrittel, dadurch bist du immer konteranfällig. Wir wollten jedes Heimspiel gewinnen, auch gegen Freiburg und Bochum haben wir uns nicht hinten reingestellt. Dafür sind wir oft bestraft worden. Das haben wir nicht ganz in den Griff gekriegt.

Was ist die Konsequenz aus dieser Einsicht?

Ruthenbeck: Dass wir an der Balance zwischen Nach-vorne-spielen und Gegentoren arbeiten müssen, ist ganz klar ein Punkt für die neue Saison und wird ein Schwerpunkt der Vorbereitung. Ich gebe aber zu bedenken: Außerhalb von Fürth gilt der Fußball von uns als sehr attraktiv. Wir hatten mit 49 Toren, die wir geschossen haben, die sechstbeste Offensive der Liga. Wir haben 13 Siege eingefahren, genau wie die Bochumer, die damit Fünfter geworden sind.

Im Winter hat sich der Verein von "unzufriedenen Spielern" getrennt, ist der Plan aufgegangen?

Ruthenbeck: Viele haben anhand der Abgänge geglaubt, dass wir wegbrechen. Aber wir haben es geschafft, stabil zu bleiben. Wir sind schon ein Risiko eingegangen, weil wir uns von erfahrenen Spielern getrennt haben, aber wir wollten diesen Weg gehen. Schlussendlich haben wir eine vernünftige Rückrunde gespielt. Fünf, sechs Punkte mehr wären auch verdient gewesen. Wir haben immer wieder ohne Not gewechselt und auf junge Spieler gesetzt, weil wir auch entwickeln und trotzdem viele Punkte holen wollten. Diesen Spagat haben wir nicht ganz hinbekommen, das ist auch ein Vorwurf an meine Person.

Wieso holte man in der Winterpause Leihspieler für ein halbes Jahr, anstatt Spieler aus der eigenen Jugend hochzuziehen?

Ruthenbeck: Benedikt Kirsch war ein halbes Jahr mit Schambeinentzündung verletzt und ist jetzt im Kader. Stefan Maderer ist ein absolutes Talent, hatte aber immer wieder gesundheitliche Probleme, war nicht so belastbar wie die anderen Spieler. Außerdem darf man die athletische Umstellung im Profibereich nicht unterschätzen. Auf George Davies hatte ich ein halbes Jahr keinen Zugriff, weil er Probleme mit der Patellasehne hatte. Dominik Schad war insgesamt acht Monate verletzt.

Aber muss man junge Spieler nicht auch einfach mal hineinwerfen?

Ruthenbeck: Es gibt auch bei Talenten noch den Leistungsgedanken, ich kann ja nicht einen spielen lassen, nur weil er jung und talentiert ist, aber nicht so gut wie einer der älteren. Es gibt Gründe, warum sie nicht so weit sind. Das Einfordern von Talenten geht mir einen Tick zu schnell. Die Anpassung aus dem Jugendbereich an den Profibereich dauert eben. Und was nicht vergessen werden darf: Wir hatten nach Leipzig den zweitjüngsten Kader dieser Saison. Wir sind wirklich jung aufgestellt.

Was erwartet Kirsch, Schad und Maderer im Sommer?

Ruthenbeck: Jeden Spieler musst du einzeln sehen. Maurice Hirsch geht zurück nach Hannover, weil wir glauben, dass Benedikt Kirsch diese Rolle als Achter im zentralen Mittelfeld einnehmen kann. Von ihm sind wir absolut angetan. Wenn er gesund bleibt und sich weiterentwickelt, wird er Einsätze bekommen. Dominik Schad muss nach diesem Katastrophenjahr gesund bleiben und man muss abwarten, wie er den Belastungen standhält. Unsere bisherigen Außenverteidiger werden nicht 34 Spiele machen können, sodass er auf Einsätze hoffen kann. Stefan Maderer ist gerade an den Adduktoren verletzt. Wir haben mehrere Gedankenspiele mit ihm. Aber erst mal muss er wieder gesund werden.

Lassen Sie uns träumen: Worin würden Sie investieren, wenn Sie zehn Millionen Euro Budget zusätzlich zur Verfügung hätten?

Ruthenbeck: Klar würden wir da in die Profimannschaft investieren, aber auch in Talente. Ich glaube, dass man schon ab der U15 investieren muss, um Talente zu bekommen. Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass man bereits welche im Verein hat. Man sollte längerfristig versuchen, junge Spieler zu verpflichten, die man später nicht mehr kostenlos bekommt.

Wohin geht der Trend im Fußball: defensive Ausrichtung und maximaler Effizienz wie Atletico Madrid oder individuelle Klasse, Kurzpassfußball und Spektakel wie Bayern München?

Ruthenbeck: Ich hoffe, dass es in beide Richtungen geht. Ich hoffe, dass dieser Ballbesitzfußball weiter optimiert wird, um genau diese tiefstehenden Mannschaften zu knacken. Stellt euch mal vor, der Trend geht da hin: tiefstehend und geschlossene Mannschaftsleistung. Ich glaube, dann gehen nicht mehr viele ins Stadion. Das Spannende ist doch, wenn die Mannschaften ihre eigene Art entwickeln und mit ihrer Idee gegen die andere Idee angehen. Bayern München und Dortmund haben damit riesigen Erfolg, aber Darmstadt schafft mit seiner Art den Klassenerhalt. Das kann beides funktionieren.

Werden Sie Ihr Spielsystem beibehalten?

Ruthenbeck: Wir haben das Spielsystem häufiger geändert in diesem Jahr. Ob das 4-3-3 war, 4-2-3-1 oder 4-4-2 mit Raute, auch das ist mein Ding, flexibel zu sein. Aber die Art und Weise sollte trotzdem ähnlich bleiben: Wir wollen häufiger Ballbesitz haben als der Gegner und die Pressinghöhen variieren. Dafür steht Ruthenbeck.

Welchen Erfolg wollen Sie in Ihrer Trainerkarriere unbedingt erreichen?

Ruthenbeck (überlegt lange): Erfolg zu messen an einer deutschen Meisterschaft oder an der Champions League, das ist mir zu groß gedacht. Das ist doch der Traum von allen. Für mich geht es darum, sich von Jahr zu Jahr zu verbessern. Fußball ist zwar Ergebnissport, aber ich will, dass man die Handschrift erkennt, dass man sieht, was trainiert wird. So ein Musterspiel habe ich noch nicht gehabt. Die 60 Minuten zu Hause gegen Kaiserslautern waren gut (bis dahin 2:0, Endstand 2:4, d. Red.). Aber 90 Minuten lang dein Ding brutal durchdrücken, da kam vielleicht das 2:2 in Leipzig nahe heran. Oder das Spiel auf Sankt Pauli. Mein Ding ist, mal so ein Spiel zu haben, in dem 90 Minuten meine Handschrift zu sehen ist, konsequent durchgezogen, was erarbeitet worden ist. Da krieg’ ich Gänsehaut.

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