Schiri-Ärger in Nürnberg: Doch der Chef war "zufrieden"

18.2.2016, 10:34 Uhr
Oft einmal stehen beim Basketball nicht die Spieler, sondern die Entscheider im Hintergrund - die Schiedsrichter - im Fokus.

© Sportfoto Zink / MaWi Oft einmal stehen beim Basketball nicht die Spieler, sondern die Entscheider im Hintergrund - die Schiedsrichter - im Fokus.

Herr Esser, was haben Sie den Schiedsrichtern als erstes nach dem Spiel gesagt?

Norbert Esser: Als erstes lasse ich jeden Schiedsrichter zu Wort kommen und seine Eindrücke vom Spiel, seiner eigenen Leistung und der des Schiedsrichter-Teams spontan schildern. Dabei kommt es vor allem auf den Abgleich an, was sie sich einzeln und im Team im Vorgespräch vorgenommen haben und wie weit sie dies erfüllt haben, dabei moderiere ich nur. Bevor wir dann ins Gespräch einsteigen, lasse ich sie meinen Gesamteindruck wissen, damit sie vorab meine Leistungseinschätzung kennen. Um die Frage konkret zu beantworten: Ich war mit jedem einzeln und mit der Gesamtleistung zufrieden.

"...das wird einem Nürnberger Fan sicher nicht gefallen"

Im BBZ hätten Sie es am Sonntagabend mit dieser Meinung nicht zu großer Popularität gebracht.

Esser: Wenn ich sage, dass ich mit der Leistung der Schiedsrichter in diesem schweren Spitzenspiel der Pro A - es war ja mehr eine Abwehrschlacht als ein Angriffswirbel - zufrieden bin, wird das einem Nürnberger Fan sicher nicht gefallen. Mein Blickwinkel muss aber auch ein anderer sein. Ihr Blickwinkel ist objektiver, wenn auch nicht vollkommen neutral.

Während des Spiels haben Sie sich Notizen gemacht, gab es viele Szenen, die Sie hinterher angesprochen haben?

Esser: Ich habe mir in jedem Viertel etwa vier bis fünf Szenen notiert - fragwürdige aber auch positive Szenen, über die wir uns im Nachgespräch unterhalten haben beziehungsweise die als Videoclip aus dem Spiel geschnitten werden und über die wir uns die nächsten Tage austauschen. Das ist die übliche Form der Nachbereitung eines Spiels. Dabei geht es nicht ausschließlich um Foulentscheidungen, sondern auch um Schiedsrichter-Technik, also Laufwege und Positionen, und um Kommunikationsverhalten und Konfliktmanagement.

"Nichts Schlimmes passiert"

Einmal waren Sie über die Laufwege gar nicht glücklich.

Esser: Angekreidet habe ich, dass in einer Szene alle drei Schiedsrichter bei einem schnellen Gegenangriff nach vorne auf ihre neuen Positionen liefen, ohne die zwei Spieler (Robert Oehle und Lars Wendt, Anm. d. Red.) zu beobachten, die im Rückfeld am Boden lagen und sich dort etwas beharkten. Diese Kritik wurde sofort akzeptiert und ich konnte die Schiedsrichter beruhigen, "nichts Schlimmes passiert".

 

In der ersten Halbzeit wurden auch kleine Konflikte sehr schnell mit Fouls bedacht.

Esser: Das war eines der wesentliche Themen des Nachgesprächs; relativ viele Fouls in der ersten Halbzeit, deutlich weniger im dritten Viertel und dann spielbedingt wieder mehr Fouls im entscheidenden Schlussviertel. Ob jeder Pfiff in der ersten Halbzeit nötig war, werden erst die Videoanalysen zeigen, ich habe mir allerdings nur zwei Szenen notiert, die anzuschauen und zu diskutieren sein werden.

Vorteil, Nachteil - was denn nun?

Für die Zuschauer, aber auch die Spieler ist nicht immer einfach zu verstehen, wann gepfiffen wird und wann und warum nicht.

Esser: Nicht immer nachvollziehbar ist vor allem das Thema "Vorteil/Nachteil" - ja, es gibt bekanntlich auch im Basketball seit einigen Jahren dieses Prinzip. Es besagt, dass im Interesse der Zuschauer und Medien der Spielfluss nur dann unterbrochen werden soll, wenn eine Mannschaft durch eine Aktion, sei es zum Beispiel Schrittfehler oder Körperkontakt, benachteiligt wird. Ein Beispiel aus der Partie: Mitte des zweiten Viertels wird ein Spieler beim Korbleger von seinem Gegenspieler "kontaktiert". Der zuständige Schiedsrichter wartet kurz ab, und erst als der Ball nicht in den Korb ging, pfiff er das Foul. Wäre der Ball in den Korb gegangen, wäre der Pfiff unterblieben. Genau so sollen die Schiedsrichter handeln, nämlich die Balance finden zwischen "Vorteil/Nachteil" und "Pfiff auf jeden Fall nötig, um die Spielkontrolle zu bewahren". Das ist nicht so leicht, wie es sich anhört.

Wie fühlt sich der Schiedsrichter-Beobachter, wenn die Zuschauer "Schieber" oder "ohne Schiris habt ihr keine Chance" skandieren?

Esser: Natürlich habe auch ich dabei zunächst ein unangenehmes Gefühl, aber meine Gefühle spielen keine Rolle. Ein solches Zuschauerverhalten voller Emotionen gehört aber zum Sport dazu. Solange die Fans die Grenzen des guten Geschmacks einhalten und keine Gegenstände aufs Feld werfen, ist das nicht zu beanstanden, zumal sie ja im Einzelfall nicht nur als subjektive Supporter auftreten, sondern auch mal objektiv recht haben können. Also das war schon in Ordnung.

Die Reaktion macht's aus

Sie sind auch für die Schiedsrichter-Ausbildung zuständig, entstehen in diesen Moment keine Vatergefühle?

Esser: Für mich als Schiedsrichter-Coach ist in diesem Moment etwas anderes wichtig: Natürlich hören auch die Schiedsrichter diese Rufe, und jetzt muss sich zeigen, ob sie dies ausblenden können oder ob sie sich beeinflussen lassen. Haben sie den Mut, ihre nachfolgenden Entscheidungen auf der selben neutralen Linie weiter zu treffen, oder gibt es ein Einknicken in Form von Konzessionsentscheidungen oder gar nach dem Motto "jetzt erst recht"? Da war ich sehr zufrieden - weder in Außenwirkung und Körpersprache noch an ihren Entscheidungen konnte ich diesbezüglich Negatives feststellen.

Darius Theus wurde mehrfach gestoppt - in der Schlussphase gegen Jena erhitzte ein Foul am NBC-Akteur die Gemüter.

Darius Theus wurde mehrfach gestoppt - in der Schlussphase gegen Jena erhitzte ein Foul am NBC-Akteur die Gemüter. © Sportfoto Zink / MaWi

Eine der umstrittensten und vielleicht spielentscheidenden Szenen war das "unsportliche Foul" gegen Darius Theus kurz vor Schluss - richtiger oder falscher Pfiff?

Esser: Es gab im vierten Viertel je ein unsportliches Foul gegen Jena und Nürnberg, beide übrigens von demselben Schiedsrichter gepfiffen. Ich konnte beide Situationen gut sehen und beide ähnelten sich sehr: Ein stehender Verteidiger versucht, einen Schnellangriff zu stoppen, indem er ohne erkennbare Verteidigungsabsicht den vorbei laufenden Dribbler mit ausgestrecktem Arm und von der "falschen Seite" abbremsen will. Das ist gemäß Regeln in beiden Fällen ein unsportliches Foul und wurde auf beiden Seiten gleich und identisch entschieden.

In den vergangenen Wochen haben die Trainer in der zweiten Liga immer wieder die Schiedsrichter-Leistungen bemängelt; Hauptkritikpunkt: keine einheitliche Linie.

Esser: Ein solches Statement ist leicht zu formulieren und auch ich höre das meist als ersten Beitrag zu einer Schiedsrichterleistung. Wie will man auch eine solche Aussage widerlegen? Nun, ganz einfach, indem man nach Beispielen aus dem Spiel frägt, die diese These stützen sollen. Das ist kein Ausweichen, sondern ein Fragen nach konkreten Beispielen, die man dann gemeinsam analysieren kann, um zu einem gemeinsamen Ergebnis zu kommen - oder auch nicht. Allgemein formuliert ist die Aussage also wenig hilfreich.

"Hinter den Kulissen geschieht einiges"

Wie geht man beim Verband mit dieser Kritik um?

Esser: Hinter den Kulissen geschieht hierzu einiges. Die Nachbereitung der Spiele per Video - mit oder ohne Mitarbeit der betroffenen Vereine - wird mit großem Aufwand betrieben, meist mehr, als mit ehrenamtlichem Engagement vorausgesetzt werden kann, aber professionelle Strukturen unterhalb der BBL sind hier bis auf weiteres ein Wunschtraum. Dass es nun auch in der Pro A bei jedem Spiel einen Kommissar gibt, der mit den Schiedsrichtern zusammenarbeitet und diese entlastet, ist schon ein richtiger und begrüßenswerter nächster Schritt.

Man muss sich durchsetzen: Doch "nicht die Trainer bestimmen, wie Basketball zu pfeifen ist", sagt der Experte.

Man muss sich durchsetzen: Doch "nicht die Trainer bestimmen, wie Basketball zu pfeifen ist", sagt der Experte. © Sportfoto Zink / MaWi

Was die Trainer aber auch nicht davon abhalten wird, weiter zu schimpfen.

Esser: Allgemein habe ich zum Thema "Wie pfeifen?" einen klaren Standpunkt, mit dem ich mich sicher nicht beliebt mache: Nicht die Trainer bestimmen, wie Basketball zu pfeifen ist, sondern es ist primär der Weltverband FIBA, der für die Schiedsrichter sozusagen von oben nach unten Kriterien für Kontaktbeurteilung und andere Regeln vorgibt. Interesse und Motive unterscheiden sich dabei durchaus von denen der Trainer, denen es um Erfolg mit den ihnen zur Verfügung stehenden Spielertypen geht. Die FIBA hat aber die Aufgabe, durch Modifizierung von Regeln und den erwähnten Kriterien die Attraktivität der Sportart Basketball für Medien und Zuschauer ständig zu steigern - hier geht es um das große Geld und um den Wettbewerb der Sportarten um die Gunst der Medien. Diese Kriterien werden dann vertikal in die Nationen und dort in die Ligen transportiert, und die Mannschaften haben sich grundsätzlich danach zu richten.

Das klingt, als würde das Thema nur von oben nach unten transportiert.

Esser: Natürlich müssen die Verantwortlichen für die Schiedsrichter und die Trainerseite im Gedankenaustausch stehen, daran arbeiten auch beide Seiten und es wird im Vergleich zu früher tatsächlich besser, ist aber noch nicht so gut wie es sein könnte. Ich versuche zum Beispiel nach jedem Spiel auch kurz die Meinung beider Trainer einzuholen, was oft zu konstruktivem Kurzdialog führt.

Austausch: "Wir kennen uns seit Jahren", sagt Esser und meint NBC-Coach Ralph Junge.

Austausch: "Wir kennen uns seit Jahren", sagt Esser und meint NBC-Coach Ralph Junge. © Sportfoto Zink / Wozi

Auch nach dem Spiel gegen Jena hätte ich gerne kurz auch mit Ralph Junge gesprochen, wir kennen uns seit Jahren, aber nach einem Interview verschwand er sofort in die Kabine seiner Mannschaft. Das geht natürlich vor und ich habe für die Prioritäten der Trainer natürlich Verständnis - kein Problem.

Wäre es eine Option gewesen, für ein Spitzenspiel Bundesliga-Schiedsrichter einzusetzen?

Esser: Natürlich wäre das eine Option, aber das Für und Wider wurde hier sorgfältig abgewogen. Auf jeden Fall ist der Schluss, dass dies für die Pro A nur von Vorteil sein könnte, gedanklich zu kurz gesprungen und nicht zu Ende gedacht. Es gilt der Grundsatz, dass die Schiedsrichter, die sich in der Pro A auskennen, auch deren Spiele pfeifen sollen. Außerdem werden die Schiedsrichter-Teams für die einzelnen Spiele ja nicht durch Würfeln ermittelt, sondern sorgfältig zusammengestellt. Im Spiel gegen Jena passte jedenfalls die Teamchemie, die Schiedsrichter waren untereinander weitgehend austauschbar - darum geht es.

Schiri-Ärger in Nürnberg: Doch der Chef war

© NN-Archiv

Sie sitzen in Bundesliga selbst oft am Kampfrichtertisch, wie erleben Sie die Trainer in der höchsten Spielklasse?

Esser: Je höher die Liga, umso mehr ist die bewusste Einflussnahme auf die Schiedsrichter Teil des Game Plans eines Trainers. Ein Trainer-Profi wird niemals emotional und damit irrational agieren, sondern den Eindruck von Emotionen als Teil seiner Strategie einsetzen. Das wissen die BBL-Schiedsrichter natürlich und entwickeln Strategien, die auch Teil des Vorgesprächs sind, um gemeinsam zu handeln.

Suchen die Trainer während des Spiels auch mit ihnen das Gespräch?

Esser: Als Kommissar in der BBL bin ich ein Teil dieses Teams, werde natürlich auch von Trainern "bearbeitet" und habe meine Strategie, freundlich aber bestimmt zu deeskalieren. Dabei spielt gegenseitiger Respekt eine große Rolle, und es ist eine Aufgabe, die höchste und dauerhafte Konzentration verlangt, aber auch abwechslungsreich und interessant ist. Sie sind auch Ausbilder und Coach.

Besondere Vorbereitung braucht's für die Schiris offenbar nicht, wenn sie auf Andrea Trinchieri...

Besondere Vorbereitung braucht's für die Schiris offenbar nicht, wenn sie auf Andrea Trinchieri... © Sportfoto Zink / HMI

Wie bereitet man die Kollegen auf den Umgang mit Trainern wie Svetislav Pesic oder Andrea Trinchieri vor?

Esser: Überhaupt nicht! Nach drei, vier Spieltagen kennen alle BBL-Schiedsrichter jeden einzelnen Spieler und Trainer der Liga und wissen genau, was zu erwarten ist. Der Aufwand, der hier in Sachen Spielvor- und nachbereitung betrieben wird, ist enorm und würde manchen zum Staunen bringen. Die BBL erwartet von ihren Schiedsrichtern, dass sie die Klaviatur der Kommunikation beherrschen. Jedes Spiel wird akribisch analysiert und grobes Fehlverhalten gegen die vorgegebenen Kriterien wird sanktioniert - so einfach ist das. Außerdem wird man ja auch nicht über Nacht zum BBL-Schiedsrichter, sondern hat vorher ein jahrelanges Entwicklungskonzept durchlaufen.

...oder Essers "alten Freund" Dirk Bauermann treffen.

...oder Essers "alten Freund" Dirk Bauermann treffen. © dpa

Mit welchem Trainer hatten sie über die Jahre die größten Schwierigkeiten?

Esser: Einer der schwierigsten Trainer war sicherlich Dirk Bauermann, damit verrate ich auch kein Geheimnis. Im Nachhinein faszinierend war, wie kompromisslos er alles unter das Ziel "Erfolg" unterordnete und wie professionell er die Manipulation aller anderen betrieb, wobei Manipulation in neutralem Sinn gemeint ist und nicht abwertend. Mit diesen Fähigkeiten war er wirklich für viele ein Alptraum und der Erfolg gab ihm recht.

Abseits des Platzes macht er immer einen recht umgänglichen Eindruck.

Esser: Ja, interessant war über die Jahre die Erfahrung, dass ein Trainer, mit dem man sich im Spiel richtig "zoffte", sich als angenehmer Gesprächspartner erwies, wenn man ihn außerhalb eines Spiels mal traf und beide dabei feststellten: "Das ist ja ein ganz netter Mensch, der andere".

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