Volle Aufmerksamkeit auf Kugelstoß-Mama Schwanitz

20.7.2018, 05:57 Uhr
Kugelstoß-Mama Christina Schwanitz will auch in Nürnberg triumphieren.

© Sportfoto Zink / JüRa Kugelstoß-Mama Christina Schwanitz will auch in Nürnberg triumphieren.

Am liebsten wäre es Christina Schwanitz, wenn an diesem Freitag alles schiefgehen würde; wenn sie am Flughafen im Knoblauchsland vergeblich auf ihren Koffer warten würde; wenn sie gerade noch dazu käme, sich im Hotel ihre taubenblaue Spezialschuhe anzuziehen; und wenn sie mit einem Puls von 180 in den Ring auf dem Hauptmarkt schreitete. "Wenn ich voll im Stress bin, dann mache ich meine besten Wettkämpfe", sagt die beste Kugelstoßerin der Welt – und dann lacht sie, wie nur Christina Schwanitz lachen kann.

Gerade eben hat sie ihre "Krümel" ins Bett gebracht. Vor zwei Tagen hat sie in Marokko gewonnen, in vier Tagen wird sie Monaco an den Start gehen und am Freitag eben in Nürnberg. Christina Schwanitz ist eine Handlungsreisende in Sachen Kugelstoßen. Sie ist seit einem Jahr Mutter von Zwillingen. Und sie ist entspannt an diesem freien Sonntag.

"Alles gut", sagt sie, "mein Mann hat übernommen. Hahaha!" Später erzählt sie, dass das nicht immer so war, dass "die ersten zwei, drei Monate echt Hardcore" waren, dass ihre Kinder erst austesten mussten, wie sie gehen konnten, ohne dass die Mama einen Nervenzusammenbruch erleidet. "Mittlerweile aber", sagt sie, "das stimmt schon, sind wir ziemlich entspannt."

Dreifache Eingewöhnung

Leichtathleten sind Individualisten, Einzelkämpfer. Wenn sich Christina Schwanitz die vier Kilogramm schwere Eisenkugel an den Hals schmiegt, ist sie der einsamste Mensch der Welt, selbst wenn Zehntausende Menschen dabei zusehen – so wie vor drei Jahren, als sie im Olympiastadion von Peking Weltmeisterin wurde, oder vor zwei Jahren im Olympiastadion von Rio, als sie verkrampfte und Sechste wurde. 2018 aber ist das "Wir" wichtiger denn je.

Natürlich wegen ihrer Kinder, die in diesem Juli ihren ersten Geburtstag gefeiert haben, vor allem aber wegen des "superklasse Teams" um die Familie herum: die Kinderkrippe, die "total stolz ist, Teil der Mission Gold zu sein", der Trainer, der die Trainingszeiten anpasst, die Freunde, die auf die Zwillinge aufpassen, der Arbeitgeber, der ihren Mann von zu Hause arbeiten lässt.

Es ist erstaunlich, was Christina Schwanitz aus Dresden im letzten Jahr geleistet hat. Aber alleine hätte sie es nicht geschafft. Vor etwas mehr als einem Jahr hat sie ihr Fachabitur gemacht, drei Wochen später hat sie entbunden. Seit Januar trainiert sie wieder. "In der ersten Woche war ich hochmotiviert, ich habe mir gedacht, dass es nichts Schöneres als Leistungssport gibt. In der zweiten Woche habe ich mich gefragt, warum ich so verrückt bin, mir so etwas freiwillig anzutun. Mir hat wirklich alles wehgetan."


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Die Schmerzen wurden weniger, obwohl die Arbeit härter wurde. Schwanitz brachte ihre Kinder in die Krippe, erst zwei Stunden, dann drei, dann vier, die Eingewöhnungszeit ihrer Zwillinge, war ihre Gewöhnungszeit an die harte Arbeit, die nötig ist, um im entscheidenden Moment, eine Kugel auf der perfekten Bahn schneller zu beschleunigen als alle anderen Kugelstoßerinnen dieser Welt.

"Es lief perfekt", sagt sie – wahrscheinlich auch deshalb, weil sie die wichtigste Frage zuvor schon geklärt hatte. "Wollte ich Mama mit ganzem Herzen sein? Oder Mama plus?" Sie hat sich für die Plus-Variante entschieden. "Aber hätte ich das Gefühl, die Kleinen leiden unter mir, würde ich sofort mit dem Stoßen aufhören. Ich will keine Mutter sein, die Spaß und Erfolg hat auf Kosten meiner Familie. Wenn ich am Abend in den Spiegel schaue, will ich sagen können, dass ich alles so gemacht habe, wie ich das selbst als Baby von meiner Mama erwartet hätte." Diesmal lacht sie nicht, das Thema ist ihr ernst.

Nummer zwei in der Welt

Mama mit Leidenschaft, Kugelstoßerin mit Leidenschaft – bisher hat sich das sehr gut verbinden lassen. Seit Mai ist sie wieder auf Tour, ihr erster Wettkampf in Halle hat sich angefühlt wie ihr erster Wettkampf überhaupt. Schwanitz ist zweimalige Europameisterin, Weltmeisterin, zigfache deutsche Meisterin, in diesem einsamen Moment im Ring aber war sie aufgeregt. Mit den ersten guten Weiten aber kam die Sicherheit wieder. Von Wettkampf zu Wettkampf steigerte sie sich.

In Biberach stieß sie die Kugel kürzlich auf 19,78 Meter und selbst auf Platz zwei der Weltjahresbestenliste vor. Seit der Geburt ihrer Zwillinge war da noch nicht einmal ein Jahr vergangen. Im marokkanischen Rabat hat sie ihr erstes Diamond League-Meeting gewonnen. Und auf Nürnberg freut sie sich ein bisschen mehr als auf "normale deutsche Meisterschaften".

Bei normalen deutschen Meisterschaften "bekommen die meisten Leute gar nicht mit, dass wir da sind, ob wir schon dran waren oder ob wir noch kommen". Auf dem Hauptmarkt aber werden die Zuschauer sehen, wie explosiv Kugelstoßen ist, welche Energie freigesetzt wird, wenn die Kugel die Hand verlässt. "Sie werden die Schweißtropfen aus dem Ring fliegen sehen", sagt Christina Schwanitz.

Und wahrscheinlich wird davor auch nichts schiefgehen. Ihr Flugzeug aus Monaco wird pünktlich in Nürnberg landen, im Hotel wird sie Zeit haben, mit ihren Krümeln über Skype zu reden. Und dann wird Christina Schwanitz zum Wettkampf antreten. "Voller Karacho!"

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