Volleyball: Flessa lernt die entspannte Seite kennen

20.10.2014, 08:52 Uhr
Volleyball: Flessa lernt die entspannte Seite kennen

© Foto: Zink

Ein wenig gezweifelt hatte er dann doch. „Zwischenzeitlich habe ich geglaubt, dass unsere Serie heute reißt“, gab Michael Raddatz zu. Drei Siege in drei Spielen hatten Raddatz’ Schützlinge, die Volleyballerinnen des VfL Nürnberg, in der noch jungen Drittligasaison eingefahren – und eben eine Serie hingelegt. Sie hielt auch im Heimspiel gegen die DJK Augsburg Hochzoll, nur: abzusehen war das lange nicht. Augsburg hatte schwach und konfus begonnen, um dann umso stärker aufzuholen. Beim VfL verhielt es sich genau umgekehrt: Er begann dominant und machte schwach und konfus weiter. Der dritte Satz ging deutlich mit 13:25 verloren, der VfL lag nach Sätzen mit 1:2 zurück. Spielerinnenwechsel und Timeouts, nichts schien zu fruchten in einem Spiel, das den Nürnbergerinnen auf unerklärliche Weise entglitten zu sein schien. Eher noch verstärkten sie den Eindruck, dass sie sich nicht zu helfen wussten.

Aber dann: „20.15 Uhr. Der vierte Satz.“ Mit einer Mischung aus High Noon und Programmansage leitete der Hallensprecher ihn ein, den Volleyballkrimi zur Primetime. Live aus Altenfurt. Beide Teams punkteten, doch gegen halb neun war es geschafft. Mit Talent und ein wenig Glück setzten sich die Gastgeberinnen ab. 21:18, 22:18, selbst die Mienen der skeptischsten Anhänger hellten sich allmählich auf. Als der Satzball zum 25:19 verwandelt war, ließen sie sich zu einem grummeligen „schön“ hinreißen – Komplimente auf Fränkisch.

Euphorisierter Hallensprecher

Im spielentscheidenden fünften Satz waren es die Augsburgerinnen, die kein Bein mehr auf den Boden bekamen, geschweige denn Angriffe erfolgreich abschlossen. Möglich, dass die Musikauswahl des DJs „die beste Mannschaft, gegen die wir bislang gespielt haben“ (Raddatz) nach anderthalb Stunden zermürbt hatte. Dass Die Zeit über Scooter schrieb, nicht nur Trommelfelle, sondern auch Sinnstrukturen kleinzuschroten, schließt ja nicht aus, dass man mit dem „Techno auf Tinnitusniveau“ nicht auch Moral und Einsatzwillen eines Volleyballteams brechen könnte. Wahrscheinlicher aber ist, dass die Nürnbergerinnen mit der Wende im vierten Satz schlicht sich selbst und das notwendige Vertrauen in ihre eigenen Stärken wiedergefunden hatten.

Gut ablesen ließ sich das an Juliane Flessa, Außenangreiferin und Neuzugang aus Erfurt. Im miserablen dritten Satz gelang auch ihr nicht viel, doch unterschied sie sich darin nicht von ihren indisponierten Mitspielerinnen. Im vierten und fünften Satz saßen sie dann aber wieder, die Zuspiele und Angriffe, mehr als einmal röhrte der Hallensprecher ein euphorisiertes „Flessa! Juliane!“ ins Mikrofon, als sich die 19-Jährige in die Punkteliste eintrug. Zu Beginn der Saison hatte ihr Trainer Geduld angemahnt, Geduld mit ihr, von der er sagte: „Sie fängt gerade an zu leben.“

Wie er es meinte, ist unklar, bedeuten könnte es: Flessa hat die vielleicht komfortable, aber auch einengende Umgebung des Sportinternats hinter sich gelassen und ist frei. Oder aber der Schritt aus der Komfortzone macht der Spielerin Schwierigkeiten, weil sie sich plötzlich mit all dem Kram herumschlagen muss, der sie vorher nicht zu kümmern brauchte. Solange das Schlaraffenland nur Utopie und das Leben kein Ponyhof, vor allem aber auch kein Sportinternat ist, kann zu leben bekanntlich ungeheuer anstrengend sein.

Zu hoch hängen will Flessa das alles aber nicht. Natürlich organisierte sie Umzug und Studium der Berufspädagogik selbst, vor größere Schwierigkeiten stellte sie dieser Schnitt nicht. Er kam ihr sogar gelegen. „Ich wollte ein bisschen weg vom Leistungssport“, sagt sie, und damit weg von den Erfurtern, die sie gerne in ihre Zweitligamannschaft aufgenommen hätten. Flessa aber fokussiert sich lieber auf die Uni, Volleyball „nur“ drittklassig zu spielen, nimmt sie dafür gerne in Kauf. Zumal das sportliche Niveau kaum niedriger sei als beim Zweitligisten.

Der größte Unterschied liegt denn auch in der Infrastruktur. „Wir schmieren unsere Brötchen selbst, bereiten das Spielfeld vor. In Erfurt dagegen“, sagt Flessa, „kam ich in die Halle, habe gespielt und bin wieder gegangen.“ Positiver Nebeneffekt des Mehraufwands: Das Team wächst darüber zusammen, präsentiert sich auch in schwierigen Phasen als harmonische Einheit. „Bei uns kann jede mit jeder, ohne Grüppchenbildung oder Lästereien“, freut sich Flessa, die mit ihrer Mannschaft vor allem eine gute Saison spielen will. Eine Saison gar, die nicht unbedingt im Aufstieg münden muss – schließlich wollte sie doch weg von Leistungssport und Zweitligavolleyball. Allerdings: Nach dem vierten Sieg in Serie ist der Aufstieg nicht unwahrscheinlicher geworden.

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